Süddeutsche Zeitung

VfB Stuttgart:Wie Markus Weinzierl mal fast der Chef von Hansi Flick wurde

Lesezeit: 3 min

Die Rückkehr des Ex-Coaches nach Stuttgart lenkt den Blick zurück zur wilden Abstiegssaison des VfB - in der ein spektakuläres Trainermodell erwogen wurde, aber nicht zustande kam.

Von Christof Kneer, München

Hat mit Markus Weinzierl alles angefangen? Je nach Quellenlage haben die Verantwortlichen des FC Schalke 04 im Sommer 2016 zwischen drei und fünf Millionen Euro investiert, um Weinzierl dem FC Augsburg abzukaufen. Damals dachte man: Okay, das ist ziemlich viel Geld für einen Trainer, die kosten ja sonst nichts oder zumindest nicht viel. Aber immerhin ist dieser Weinzierl einer der interessantesten Trainer der neuen Generation, also warum nicht?

Fünf Jahre später hat sich der Blick auf den Deal von damals in mindestens dreierlei Hinsicht verändert. Erstens würde man drei bis fünf Millionen für einen Trainer heute fast schon für unter Tarif halten. Zweitens weiß man inzwischen, dass diese drei bis fünf Millionen nicht zu den glücklichsten Investitionen in der Schalker Vereinsgeschichte zählen. Und drittens würden sich heute sämtliche verfügbaren Trainergenerationen wehren, wenn man versuchen würde, ihnen Markus Weinzierl als Prachtexemplar unterzujubeln.

Weinzierl, 46, hat eine Art von Imagetransfer hinter sich, die ihm kein PR-Experte empfehlen würde. Er ist jetzt wieder zurück auf Los, zurück an dem Ort, an dem alles begann, aber es ist - Stand jetzt - nicht diese Art von Geschichte, bei der sich am Ende harmonisch Kreise schließen. Damals brach Weinzierl in Augsburg auf, weil ihm Augsburg zu klein geworden war, er wollte nicht gleich die Welt, aber vielleicht ein bisschen die Bundesliga erobern. Nun ist er nach Augsburg heimgekehrt, weil ihm nicht nur die Welt, sondern schon Schalke 04 zu groß war. Und danach auch der VfB Stuttgart.

Seit es die Bundesliga gibt, sind das immer wieder besondere Geschichten: wenn ein Trainer mit seiner neuen Mannschaft an seine alte Wirkungsstätte zurückkehrt, wie das in dem für solche Fälle vorgesehenen Bundesligadeutsch heißt. Bei Markus Weinzierl ist die Geschichte spezieller: Seine neue Mannschaft, der FC Augsburg, ist seine uralte, und an der vermeintlich alten Wirkungsstätte, beim VfB Stuttgart, war er nur kurz und wurde nie heimisch. Vor zwei Jahren haben sie ihn beim VfB entlassen, nach einer 0:6-Niederlage - beim FC Augsburg. Es war ein absurdes Fußballspiel damals, an Ostern 2019: Was die Stuttgarter zeigten, grenzte an eine von den Lizenzspielerverträgen kaum gedeckte Arbeitsverweigerung. Selten dürfte es den Augsburgern in einem von Berufsfußballern betriebenen Spiel so leicht gefallen sein, zu Toren zu kommen.

Ob die VfB-Profis den Trainer Weinzierl loswerden wollten? Manchmal muss man so eine Frage gar nicht stellen, weil man sowieso keine Antwort bekommt. Es reicht, sich einfach das Spiel anzuschauen.

Wenn Markus Weinzierl nun am Freitagabend mit seinen Augsburgern beim VfB aufkreuzt, dann tut er das in seinem neuen Leben als Milieutrainer. Er kommt als einer, von dem man glaubt, dass er nur an einem Ort der beste Trainer ist, der er sein kann. In Weinzierls Fall: in Augsburg. Dort hoffen sie, dass der Neue, der ein Alter ist, die Elf im Abstiegskampf vitalisiert, dass er ihr wieder jenen geradezu soldatischen Marschierstil beibringt, mit dem sein FCA einst in den Europacup stampfte.

Für den VfB wollte Flick sein Sabbatical nicht opfern. Da musste dann schon der FC Bayern kommen

Vor allem aber bietet Weinzierls Rückkehr nach Stuttgart einen Anlass, sich nochmal an das Frühjahr 2019 zu erinnern, es waren jene Chaoswochen, die den VfB bis heute verändert und aus dem traditionellen Trainerfresserverein einstweilen ein jugendbewegtes Unternehmen mit Start-up-Logik gemacht haben. Nur wenige Wochen nach Weinzierls Verpflichtung im Herbst 2018 hat Stuttgarts damaliger Sportchef Michael Reschke gemerkt, dass Team und Trainer dramatisch aneinander vorbei leben, dass der Abstieg mit dem neuen Mann eher wahrscheinlicher als unwahrscheinlicher würde. Reschke war hin- und hergerissen, Engelchen und Teufelchen führten lautstarke Pro-und-Contra-Debatten auf seinen Schultern. Sollte Reschke, um Ruhe zu bewahren, den Trainer öffentlich stützen, wider besseres Wissen? Konnte er sich eine Entlassung überhaupt erlauben, nachdem er zuvor schon den Aufstiegstrainer Hannes Wolf und dessen Nachfolger Tayfun Korkut ihrer Ämter enthoben hatte?

In diesem Dilemma hatte Reschke eine großartige Idee. Das Problem war aber erstens, dass er selbst nicht wusste, wie großartig sie war. Und dass die Hauptperson der Idee, zweitens, sowieso nicht mitzog.

Reschke traf sich damals in Stuttgart mit Hansi Flick, der war nach seinem Abschied in Hoffenheim gerade Privatier. Reschke schwebte jenes Modell vor, das der FC Bayern später erst erfinden sollte: Flick zu einem starken Assistenten zu machen, der im Entlassungsfall des Cheftrainers - pssst! - vielleicht sogar mal dessen Posten übernehmen könnte. Flick hat sich das mit Interesse angehört und dann abgesagt. Assistent unter Weinzierl mit vager Aussicht, bei einem Trainerfresserverein im Abstiegskampf: Das war nicht das, wofür er sein Sabbatical opfern würde. Zu diesem Zeitpunkt wusste nicht mal er selbst, dass er es ein gutes halbes Jahr später doch opfern würde, um beim FC Bayern sechs (und demnächst sieben) Titel zu gewinnen. Ob der VfB mit Flick damals auch abgestiegen wäre?

Im Februar 2019 hat sich Reschke dann doch entschlossen, Weinzierl zu entlassen, er hatte auch schon den damals noch unbekannten Oliver Glasner als Nachfolger organisiert. Aber der Aufsichtsrat wollte ihn diese Rochade nicht mehr vollziehen lassen, Reschke musste gehen.

Markus Weinzierl blieb dann noch ein paar Wochen. Bis zu einem 0:6 in Augsburg.

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