Wasserspringer Patrick Hausding:Erfolgreich im Badezimmer

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Erfolgreich in Berlin: Patrick Hausding (Foto: AFP)

Wasserspringer Hausding ist ein Ausnahmetalent mit unglaublichem Fluggefühl. Bei der Heim-EM in Berlin bringt ihm das dreimal Gold ein. In Deutschland nimmt davon kaum jemand Notiz, aber die Chinesen sind ganz verrückt nach ihm.

Von Saskia Aleythe, Berlin

Im Grunde geht es nur um zwei Sekunden. Nicht mal zwei Sekunden. Und um das Geräusch, das dann ertönt. Bis zu zehn Meter über der Wasseroberfläche auf dem Sprungturm abspringen, Salti, Drehungen, Schrauben, Eintauchen. Ein dumpfes, tiefes Geräusch: wunderbar. Ein helles Platschen: nicht so toll. Und unfassbar schmerzhaft.

Patrick Hausding ist Experte des dumpfen Tons, er ist auch Experte für alles, was davor an Akrobatik in der Luft passiert. Bei der Europameisterschaft in Berlin hat er gerade drei Goldmedaillen gewonnen, eine silberne auch. Erfolgreicher als er war noch kein anderer Europäer, jemals, der Russe Dimitri Sautin liegt mit seiner Leistung vor 14 Jahren mit ihm gleich auf. "Es ist schön, wenn man in den Geschichtsbüchern steht und auf einen zurückgeblickt wird. Dann hat man später immer ein Gesprächsthema", sagt Hausding. Nun ist es nicht so, dass er das bräuchte, gesprächig ist er auch ohne Rekord. Mit Batman-Mütze präsentiert er sich in Berlin, wenn er gerade nicht springt. "Batman kann fliegen, ich anscheinend auch."

Schwimm-EM in Berlin
:Goldenes Rennen der deutschen Freistil-Staffel

Die nächste deutsche Medaille bei der EM ist aus Gold: Die Freistil-Staffel der Männer landet auf Platz eins, weil Paul Biedermann ein starker Schlussspurt gelingt. Auch Rückenschwimmer Christian Diener freut sich über eine Medaille.

Nur eines hat Hausding in Berlin nicht nicht geschafft: Wie vor zwei Jahren im fünften Wettbewerb seine fünfte Medaille zu holen - vom Turm schrammte er auf dem vierten Rang an Bronze vorbei. Es war fast schon ein beruhigendes Zeichen, dass er keine Maschine ist. "Es wäre die unwahrscheinlichste Medaille", hatte er vor dem Wettkampf angekündigt, das Springen vom Turm stand nicht im Fokus seiner Vorbereitung. Und dann reicht es trotzdem noch zum vierten Platz in Europa. "Das ist fast wie eine Medaille", bekannte Hausding, "ich habe jede Menge hochrangiger Sportler hinter mir gelassen."

Der Weg zu dem perfekten Geräusch ist ein harter und Hausding einer, der sich nicht schont. Überhaupt in fünf Wettbewerben anzutreten an fünf Tagen, ist ein enormer Kraftakt für den Körper. Nach zehn Metern treffen die Sportler mit einer Geschwindigkeit von 60 Kilometer pro Stunde auf der Wasseroberfläche auf, bei einem Bremsweg von gerade Mal drei Metern.

60 Sprünge zeigte er in Berlin, in Vorkämpfen und Finals, vom 1-Meter-Brett, vom 3-Meter-Brett und vom Turm, mal alleine, mal im Synchron-Springen. Und was sagt so ein dreimaliger Europameister? "Schade, dass es schon vorbei ist." Bis zu 15 000 Sprünge absolviert er in einem Jahr. Begleitet von Schmerzen vom Knie bis zur Schulter. In manchen Zeiten habe er Iboprofen wie Gummibären genascht, erzählt er dann.

Wasserspringen ist ein Sport der Grenzen. Es ist ein Sport, der schon beim Beobachter an die Grenzen der Wahrnehmungsfähigkeit geht, in diesen nicht mal zwei Sekunden vom Absprung bis zum Eintauchen, in denen sich der Körper überschlägt, gehockt, gedreht, gestreckt. Im Idealfall so ästhetisch, dass die Punktrichter am Ende die Haltungsnote 10 zücken.

Wie schmerzhaft es sein kann, wenn am Ende dieses helle, laute Platschen ertönt, musste Hausding Anfang 2012 erleben: Damals missglückte ein Sprung vom Turm, er berührte zehn Meter über der Wasseroberfläche die Plattform mit den Füßen und verlor die Kontrolle, er klatschte waagerecht mit dem Bauch aufs Wasser. Als er das Becken verließ, war sein Körper von oben bis unten blau, die Bauchdecke stellenweise aufgeplatzt, er hatte Blut im Mund. Andere würden vermutlich nie wieder auf den Sprungturm klettern.

Mit einer ",Katze, die man aus dem Fenster wirft" hatte ihn Bundestrainer Lutz Buschkow mal verglichen, ob der Fähigkeit, dann trotzdem gut zu landen. Bei dieser EM in Berlin kam ein weiterer Tiername dazu: "Kampfschwein".

Denn der dritte Wettbewerb verlief für Hausding alles andere als ideal. Vom 3-Meter-Brett verpatzte er den Auftaktsprung, lag als Zwölfter hinter allen anderen Startern. "Ich habe mich in eine Ecke gesetzt und gefragt: Bist du eigentlich bescheuert? Das war der einfachste Sprung", sagte Hausding. Doch der 25-Jährige kämpfte sich in den nächsten fünf Sprüngen beeindruckend zurück und holte Gold. "Ein Ausnahmeathlet" nannte ihn Christa Thiel, Präsidentin des Deutschen Schwimm-Verbandes (DSV). Nervenstärke, das ist ein weiteres Talent von Hausding, "er ist mental unheimlich stark", sagt Buschkow.

Positiv ausgewirkt hatte sich wohl auch die Vertrautheit in Berlin: Die Halle kennt Hausding seit seiner Kindheit, hier trainiert er, es ist sein Badezimmer. "Die Kulisse war überwältigend", meinte er, "das hat alles tierisch Spaß gemacht". 100 Tickets hatte er für Freunde und Familie gekauft, um sich anfeuern zu lassen.

Ritterschlag in China

Während ihn kaum jemand außerhalb der Schwimmszene kennt, ist Hausding in China ein bekanntes Gesicht. Beim Weltcup in Shanghai zuletzt wurde er im Hotel angesprochen, bei den Wettkämpfen sammelten sich Groupies in der Halle. Denn ihm war ja bei der WM in Barcelona vor einem Jahr Historisches gelungen: Zusammen mit Synchron-Partner Sascha Klein holte er die Goldmedaille vom Turm - das hatte vor ihnen noch nie ein Deutscher geschafft. Die Chinesen waren trotz der Dominanz in ihrem Volkssport bezwungen, der Trainer gratulierte anerkennend. "Ein Ritterschlag", befand Buschkow damals, für Hausding ging ein Traum in Erfüllung.

Damit, dass diese Hausding-EM in Berlin auch mal vorüber gehen muss, konnte sich der Sportler dann doch recht schnell abfinden nach seinem letzten Sprung. Die Schulter machte ihm Probleme, er zählte die Sprünge schon runter am Ende. Nun geht es in den Urlaub nach Ägypten. Weit weg von der Trainingshalle und dieses Geräusch nach nicht mal zwei Sekunden.

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