Wasserball:"Wasserball ist im Alphabet die letzte Mannschaftssportart"

Deutsche Wasserball-Nationalmannschaft mit Bundestrainer Hagen Stamm

Mitten im Geschehen: Der alte und neue Bundestrainer Hagen Stamm (im schwarzen Hemd) will die deutschen Wasserballer wieder zur WM führen.

(Foto: Giorgio Scala/imago)
  • Die Zeiten, in denen die Nationalmannschaft der deutschen Wasserballer ihre letzten großen Erfolge feierte, wie die EM-Siege 1981 und 1989, liegen lange zurück.
  • Hagen Stamm, damals noch Spieler, ist mittlerweile der Trainer der Nationalmannschaft.
  • Er hat ein Problem: Wasserball hat hierzulande keine Präsenz. Deutschland schwimmt Ländern wie Ungarn oder Kroatien hinterher, wo der Sport einen ganz anderen Stellenwert besitzt.

Von Javier Cáceres, Berlin

Einen wie Hagen Stamm kann der deutsche Wasserball wieder gut gebrauchen. Das heißt: Jenen Hagen Stamm, der in den Achtzigerjahren zur Ikone seines Sports wurde. Das Spiel sei, wie alles auf dieser Welt, "schneller und rasanter" geworden, sagt Stamm, und wenn es etwas gebe, was unerlässlich sei, um konkurrenzfähig zu sein, dann dies: dass ein Wasserballer die 100 Meter in 55 Sekunden kraulen kann. So wie er damals, als er unter anderem zweimal mit der deutschen Mannschaft Europameister wurde und bei den Olympischen Spielen von Los Angeles 1984 die Bronzemedaille um den bis heute mächtigen Hals gehängt bekam. Andererseits: Hagen Stamm, 58, ist ja nie wirklich weg und auch nicht wegzudenken gewesen. Stamm ist sogar wieder Bundestrainer, wie schon zwischen 2000 und 2012. Und er träumt davon, ab Dienstag beim Weltcup in Berlin mit seinem Team einen der vier Startplätze für die nächste Weltmeisterschaft zu ergattern.

Rein arithmetisch hat Deutschland beim Heimturnier eine 50:50-Chance - das Feld umfasst acht Mannschaften. Und sollte die Chance ergriffen werden, wäre eine Abwesenheit bei WM-Turnieren beendet, die schon viel zu lange dauert: Bei den beiden letzten Weltmeisterschaften 2015 und 2017 waren die Deutschen ebenso wenig vertreten wie bei den letzten beiden Olympischen Spielen. Die Gegner allerdings sind etablierte Kräfte, die wie Übermächte daherkommen: der WM-Zweite Ungarn, der am Dienstagabend der deutsche Auftaktgegner sein wird, dazu Japan und Australien, die bei der WM unter den Top 10 landeten. Und doch gibt es Grund zur Hoffnung, sagt Stamm.

"Wir haben eine gute EM gespielt, und mit Platz neun das Maximum dessen geholt, was ich mir vorher ausgerechnet hatte", blickt Stamm auf das Turnier im Juli in Barcelona zurück. Gegen Ungarn gelang sogar ein 4:4, "die größte Überraschung der gesamten EM überhaupt", findet Stamm. Der Verjüngungsprozess sei vollzogen, im Kader fanden sich ausschließlich Twens. Allein: Für sein Team sei es sehr schwierig, EM und Weltcup, also zwei Höhepunkte in einem Jahr, austragen zu müssen. "Eine deutsche Mannschaft muss ihre Defizite mit Kopf und Motivation ausgleichen", erklärt Stamm. Und das heiße, den Kopf auf eine "einhundertzwanzigprozentige Leistungsbereitschaft" zu trimmen.

Die Defizite rühren daher, dass andere Länder eine ganz andere Wasserballkultur haben. Vor dem Weltcup war die deutsche Mannschaft unter anderem im Trainingslager in Kroatien und stellte wieder einmal fest, warum dort der Fundus an Spielern größer ist: In der Adria sind Wasserballtore verankert, gefühlt so weit das Auge reicht. Von derartigen Verhältnissen ist man in Deutschland weit entfernt, selbst in Berlin, obwohl die Wasserfreunde Spandau in der Vergangenheit die meisten nationalen Titel in die Stadt geholt haben. Die schon vor Jahrzehnten versprochene Wasserballhalle ist stets ein Traum geblieben, die Folge: Wasserballer und Schwimmer konkurrieren um Trainingsmöglichkeiten. Das potenziert die Nachwuchsprobleme, als wären die nicht eh schon groß genug.

Stamms Plan: Schwimmer abwerben, die es nicht in die Weltspitze schaffen

"Wasserball ist im Alphabet die letzte Mannschaftssportart", formuliert es Stamm, was so viel bedeutet wie: Sie ist weniger attraktiv als andere Ballsportarten, auch finanziell. "Bei uns geht es nur mit Ehrgefühl und Enthusiasmus", sagt der Trainer. Wozu das führt, hat man neulich wieder gemerkt: Die U19 des Deutschen Schwimmverbandes (DSV) hat die Qualifikation für die EM ihres Jahrgangs verpasst, sie ist nicht unter den besten 16 Teams des Kontinents. Die aktuellen Schwierigkeiten werden sich also auf absehbare Zeit fortsetzen. "Unser grundsätzliches Problem ist, dass wir keinen Druck aus der Jugend bekommen. Pro Jahrgang brauchen wir eigentlich mindestens einen Spieler, der die Tür zum A-Nationalteam niederreißt. Doch davon sind wir weit entfernt", sagt Stamm, dem der DSV als Bundestrainer nur eine halbe Stelle bieten kann - der aber in diesem Jahr schon mehr als 100 Lehrgangstage hinter sich hat.

Auch deshalb liegt ihm sehr daran, das Verhältnis zu den Schwimmern zu verbessern, mit einem sehr konkreten Ziel: Jene, die es als Schwimmer nicht an die Weltspitze schaffen, sollen zumindest dem Wasserball erhalten bleiben. Das sei auch deshalb wichtig, weil in Berlin neue Regeln ausprobiert werden, die das Tempo im Wasserballsport verschärfen dürften und die famosen 55 Sekunden über 100 Meter ein Muss werden lassen. Unter anderem sollen die Freiwürfe nicht mehr aus fünf, sondern aus sechs Metern ausgeführt werden, um den Torwart besser zu schützen, zudem sollen die Angriffszeiten bei Ecken oder neuen Angriffssituationen, etwa nach Pfostentreffern, von bisher 30 auf 20 Sekunden verkürzt werden. Die angreifenden Mannschaften, so die Logik hinter der Reform, sind ja bereits in der gegnerischen Hälfte.

Das stellt die deutsche Auswahl vor eine weitere Herausforderung - in einem Turnier, in dem es mittelbar auch um Stamms Zukunft geht. Sein Vertrag läuft bis Ende 2018, ob er ihn verlängert, will er vom Resultat des Weltcups abhängig machen. Gespräche hat es mit dem DSV noch nicht gegeben. "Ich habe mir die WM-Teilnahme zum Ziel gesetzt, das ist der Anspruch an mich und an die Mannschaft", sagt Stamm: "Alles weitere ist davon abhängig, ob ich das Ziel schaffe."

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