Süddeutsche Zeitung

Walter Erlbruch:Die meisten nennen es Minigolf - er nennt es "Wissenschaft"

  • Walter Erlbruch ist mehrfacher Weltmeister im Minigolf und hält sich seit 30 Jahren in der Weltelite.
  • Mit seinem Hang zur Perfektion hat der 47-Jährige den Sport in Deutschland verändert.
  • Erlbruch sagt: "Das ist zu einer Wissenschaft geworden, die andere vielleicht nicht ganz so ernst nehmen wie ich."

Von Matthias Schmid

Drei, vier Stunden können schon mal vergehen, bis Walter Erlbruch seine Tasche mit den Bällen gepackt hat. Er sucht schwere und leichte, welche mit glatter und rauer Oberfläche, harte und weiche und solche, die springen wie ein Flummi. Es ist nicht übertrieben zu behaupten, dass der 47-Jährige ein inniges Verhältnis zu seinen Bällen aus Naturkautschuk pflegt. Es kommt sogar vor, dass er sie vor und während eines Wettkampfes liebevoll streichelt, sie an seine Lippen führt und anschließend in einem Socken in seiner Unterhose verschwinden lässt, um sie dort vorrübergehend zu parken, damit sie warm werden oder bleiben - am besten rollen sie nämlich, so lautet ein ungeschriebenes Gesetz in der Szene, wenn sie menschliche Körpertemperatur erreichen.

2600 verschiedene Bälle liegen allein in einem Zimmer bei ihm zuhause in Krefeld, Erlbruch hat es nur für sie eingerichtet, was man halt so macht, wenn das Hobby den Tagesablauf bestimmt. Die Bälle sind sein wichtigstes Spielzeug - und Erlbruch ist ein Mensch, der den Zufall gerne mit akribischer und detailversessener Arbeit austrickst.

Dass ihm das bisher ganz gut gelungen ist, zeigen seine Erfolge. Erlbruch gehört seit 30 Jahren zur Weltelite im Minigolf, er ist mehrfacher Weltmeister, Europameister und Europacupsieger mit seinem Klub BGS Hardenberg-Pötter. Zuletzt hat er im italienischen Predazzo seine Sammlung um zwei weitere EM-Titel erweitert. "Wenn man über so lange Jahre erfolgreich spielt, macht das natürlich Spaß", sagt er über den Sport, den in Deutschland unregelmäßig mehr als 20 Millionen Menschen in ihrer Freizeit ausüben, wie es der Deutsche Minigolf-Verband beziffert.

Die Gelegenheitsspieler können natürlich nicht das, was Erlbruch und seine Kollegen in der Bundesliga oder in der Nationalmannschaft mit dem Schläger alles so anstellen. Ein Ass - also ein Schlag nur, bis der Ball vom Loch verschluckt wird - ist bei Spielern wie Erlbruch nicht die Ausnahme, sondern die Regel, ja fast schon ein Muss, wenn sie international Erfolg haben wollen.

274 Minigolf-Vereine gibt es in Deutschland, mit insgesamt mehr als 10 000 Mitgliedern. Die erfolgreichste Mannschaft ist Hardenberg-Pötter. Der Klub aus Essen ist seit vielen Jahren Serienmeister, eine Art FC Bayern des Minigolfs. Und Walter Erlbruch ist, was Franz Beckenbauer als Spieler war: die bekannteste Persönlichkeit seiner Sportart.

Erlbruch trainiert täglich an seiner Fitness

Erlbruch hat Minigolf in Deutschland auf ein höheres Niveau gehoben, sich dem beliebten Freizeitsport mit wissenschaftlicher Genauigkeit genähert, obwohl er das alles auch nur nebenbei macht, im Hauptberuf arbeitet er für eine große deutsche Bank. Es ist nicht nur das Gespür für den richtigen Ball und seine Technik, die ihn von den vielen Konkurrenten unterscheidet, sondern vor allem sein Bemühen um Perfektion mit Hang zur Obsession: Er richtet sein ganzes Leben nach dem Minigolf aus.

Erlbruch trainiert täglich 60 Minuten am Crosstrainer an seiner Fitness, er ernährt sich vielseitig, und bevor er an einem Wettkampf wie zuletzt in Porto teilnimmt, reist er mindestens einmal vorher für ein langes Wochenende an, um die 18 Bahnen zu analysieren und zu testen.

"Das ist für mich zu einer Wissenschaft geworden, die andere vielleicht nicht ganz so ernst nehmen wie ich", erzählt er. Er probiert zum Beispiel stundenlang verschiedene Linien aus: Soll er das Loch direkt anspielen, mit Bande oder mit einer Doppelbande? Er quält sich so lange, bis er für sich die perfekte Lösung gefunden hat. "Auch für eine Bahn ohne Hindernis gibt es zwei Dutzend Möglichkeiten, wie ich sie spielen kann", sagt er.

Das größte Kompliment für Erlbruch ist, wenn die Konkurrenten ihn kopieren, seine Linienwahl abschauen und ihm nacheifern. Meist scheitern sie dabei. Beim Minigolf auf diesem Niveau geht es auch darum, das Risiko richtig einzuschätzen. "Gehe ich auf ein Ass oder ziehe auch mal zwei Schläge vor, weil die attraktive Variante bei einem Fehler einen dritten Schlag beansprucht?" Solche Fragen stellt sich Erlbruch.

Auch ihm gelingt nicht alles, so wie am vergangenen Wochenende in Porto beim Europacup, wo sein Verein sich dem schwedischen Kontrahenten Uppsala BGK im Stechen geschlagen geben und mit dem zweiten Platz vorlieb nehmen musste. Und wenn ihm ein Schlag mal misslingt, bleibt sein Inneres nicht im Inneren. Er ist ein emotionaler Spieler, er lebt und leidet auf der Bahn, er schreit dann, und es fällt das eine oder andere Schimpfwort. "Manchmal brauche ich das, um mich aufzuwecken", sagt Erlbruch. In früheren Zeiten hat seine Wut auch mal der Schläger abbekommen, "aber vom Oberschiedsrichter bin ich nie disqualifiziert worden".

Er will künftig mehr Zeit mit seiner Frau verbringen - ohne Minigolf

Was er alles erlebt hat in seiner Karriere und wie er sich so viele Jahre an der Weltspitze behaupten konnte, will er künftig weitergeben, an Nachwuchsspieler oder auch in internationalen Workshops wie in Prag. Er wird dazu künftig mehr Zeit haben, nach der EM hat er seine Karriere in der Nationalmannschaft beendet. Fünf von sechs Wochen Urlaub im Jahr sind für das Minigolf draufgegangen, er will nun mehr Zeit mit seiner Frau verbringen und nicht mit Bällen, die Namen tragen wie "mg3, "h4" oder "a1".

Reich wird man mit dem Sport nicht. Erlbruch hat nach seinem WM-Sieg 2011 eine eigene Ballkollektion herausgebracht, der "World Champion 2011 Walter Erlbruch", ein Standardball, daran verdient er, das schon. Doch das bestdotierte Turnier in Deutschland schüttet an den Sieger 500 Euro aus. Ganz anders als im Golf, das Erlbruch nie interessiert hat. Er hat höchstens mal ein paar Abschläge auf der Driving Range gemacht, mehr nicht. Dabei gibt es durchaus Parallelen, vor allem beim Putten ähneln sich die beiden Sportarten. In Schweden wollten sie es einmal ganz genau wissen, wer das kurze Spiel besser beherrscht: der Golfer oder Minigolfer? "Der Golfer hat nicht so gut ausgesehen und war beim Putten klar unterlegen", behauptet Erlbruch.

Für ihn ist das aber keine Alternative. Er überlegt sich eher, ob er auf dem Dachboden daheim mal aufräumen soll, da liegen noch etwa tausend Bälle herum. "Die könnte ich mal verkaufen." Seltene Exemplare sind das, aus der Hand von Deutschlands bestem Minigolfer.

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