Waliser Giggs im britischen Fußball-Team:Kapitän des Königreichs

Der Fußballer Ryan Giggs konnte nie bei einem großen Turnier glänzen - weil seine Heimat Wales sich nie qualifizierte. Nun darf der 38-Jährige, der mit Manchester United unzählige Titel holte, beim olympischen Turnier die Auswahl Großbritanniens anführen.

Christian Zaschke, London

Die vielleicht witzigsten Accessoires, mit denen sich Fans von Manchester United bisweilen ausstatten, sind Fellmatten, die sie sich auf die nackte Brust und auf den Bauch kleben. Das muss auswärtigen Besuchern des ehrwürdigen Stadions Old Trafford recht sinnlos erscheinen, doch die Felle haben einen tieferen Sinn.

Giggs of Team GB kicks the ball during their Olympic men's friendly soccer match against Brazil ahead of the London 2012 Olympic Games at the Riverside Stadium in Middlesbrough

Giggs im britischen Trikot: "Jetzt habe ich die Möglichkeit."

(Foto: REUTERS)

Sie sind eine Huldigung an Ryan Giggs, der als 14-Jähriger zu Manchester United kam und dem seitdem ein dichter Pelz auf Brust und Bauch gewachsen ist. Seit er sich einmal beim Torjubel das Trikot vom Körper riss und den Pelz offenbarte, kleiden sich die Fans bisweilen in Fell. Sie meinen das als Verneigung.

Giggs ist 38 Jahre alt und die vielleicht größte Legende eines an legendären Spielern reichen Klubs. Vor 21 Jahren gab er sein Profi-Debüt als Einwechselspieler gegen den FC Everton. Manchester verlor 0:2, aber das war kein schlechtes Omen für eine bemerkenswerte Karriere. Giggs wurde zwölf Mal englischer Meister, vier Mal gewann er den Pokal, zwei Mal die Champions League. Er lief in 909 Pflichtspielen für Manchester auf, und ein Ende ist nicht abzusehen.

Erst im Frühjahr hat er seinen Vertrag um ein weiteres Jahr verlängert. Als Anfang 2011 die Fans in aller Welt auf der Website des Vereins gebeten wurden, den besten Spieler der Klubgeschichte zu wählen, stimmten sie nicht für George Best. Sie stimmten nicht für Eric Cantona, Cristiano Ronaldo oder Bobby Charlton. Sie stimmten nicht für Roy Keane, Paul Scholes oder Peter Schmeichel. Sie stimmten nicht für David Beckham. Sie wählten Ryan Giggs.

Dass Giggs im internationalen Fußball dennoch gemeinhin nicht zu den ganz Großen gezählt wird, liegt daran, dass er Waliser ist. Das wiederum bedeutet, dass er noch nie an einem großen Turnier teilgenommen hat, weil die walisische Auswahl in jeder WM- oder EM-Qualifikation zuverlässig scheiterte. Einmal waren sie ganz nah dran: 1993 spielte Wales die entscheidende Partie zur Qualifikation für die WM in den USA gegen Rumänien.

Zu Hause, im Cardiff Arm's Park, wo die Auswahl zuvor sogar Deutschland besiegt hatte. Beim Stand von 1:1 hämmerte Paul Bodin einen Elfmeter an die Latte, und als gegen Ende der Partie Rumänien den Siegtreffer erzielte, war der große Traum mal wieder geplatzt.

Wer zu den ganz Großen der Fußballgeschichte zählen will, muss bei einem großen Turnier geglänzt haben. Wie Pelé, Beckenbauer, Cruyff oder Maradona. Viele Nordiren sind übrigens der Ansicht, keiner der vier Genannten sei der beste Fußballer, den die Welt bisher gesehen hat. Das sei George Best, der das Pech hatte, das Genie in einem nordirischen Team zu sein, dessen Fußball eher grobschlächtig war. Best war der Cellist unter Metzgern. Auch Giggs' herrliche Karriere war mit dem Makel behaftet, dass er nie vor den Augen der ganzen Welt vorspielen durfte. Bis jetzt. Es bedurfte dazu einer besonderen Fügung.

Erster Olympia-Auftritt im Old Trafford

Nachdem London den Zuschlag für die Olympischen Spiele erhalten hatte, stand bald der Vorschlag im Raum, mit einem Team anzutreten, das das gesamte Königreich repräsentieren sollte. Normalerweise treten England, Schottland, Wales und Nordirland mit eigenen Nationalmannschaften an, wobei den schottischen Spielern traditionell die Rolle zufällt, sich zwar bisweilen für Turniere zu qualifizieren, aber noch vor ihren Postkarten wieder zu Hause zu sein.

Zunächst herrschte Uneinigkeit, weil die lokalen Funktionäre fürchteten, das Beispiel könnte Schule machen, und zwar in dem Sinne, dass auch der Fußball-Weltverband künftig nur noch ein gesamtbritisches Team akzeptieren würde. Die Bedenken wurden ausgeräumt. Das 18 Mann starke Fußball-Team GB rekrutiert sich aus dem gesamten Königreich, und der Waliser Giggs führt es als Kapitän an. Er hofft nun auf eine späte Krönung seiner Karriere, auf olympisches Gold.

Der Start der olympischen Mission verlief allerdings wenig glamourös. Am Montag gab Giggs mit Trainer Stuart Pearce eine Pressekonferenz. Diese war kurzfristig um 24 Stunden vorverlegt worden, um nicht zu viel Aufmerksamkeit vom Frauen-Fußball-Team abzuziehen, das bereits am Mittwochabend ins olympische Turnier startete. Die Fußball-Wettbewerbe beginnen bei Olympia immer schon vor der Eröffnungsfeier, weil sie sonst nicht in den Zeitplan passen.

Leider hatte die Presse größtenteils nichts von der Verlegung mitbekommen, so dass Giggs und Pearce vor sieben Journalisten und einem Kamerateam saßen. Pearce schaute auf die leeren Sitze und sagte: "Hm, das hätten wir auch bei mir im Wohnzimmer machen können." Giggs erzählte dennoch etwas: "Ich habe immer zusehen müssen, wie die anderen Jungs zu den großen Turnieren aufbrechen, und ich habe mir gewünscht, das Gleiche tun zu können. Leider hatte ich nie die Möglichkeit dazu. Jetzt habe ich sie."

Giggs wäre auf der Insel der Vorzeigeprofi schlechthin, wenn nicht im vergangenen Jahr ans Licht gekommen wäre, dass er neben seiner Ehe Affären mit einem Show-Sternchen und seiner Schwägerin unterhielt. Mit rechtlichen Mitteln versuchte er, die Berichterstattung darüber zu verhindern, was das Interesse erst recht entfachte - selbst im Parlament wurde der Fall schließlich thematisiert. Sein Image als Saubermann ist Giggs seitdem los.

Zugegeben, das olympische Fußball-Turnier ist nicht ganz das Gleiche wie eine EM oder gar eine WM. Aber immerhin, es ist internationaler Fußball, Land gegen Land. An diesem Donnerstag führt Giggs das Team GB in die erste Partie gegen Senegal. Wie der Zufall es will, findet das Spiel in Manchester statt, im ehrwürdigen Stadion Old Trafford. Vielleicht werden trotz der Hitze einige Fans Ryan Giggs bei seinem späten Debüt mit haarigen Fellen die Ehre erweisen.

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