Wahlkampf im Schach:Garri gegen den verrückten Kalmücken

Schach, Garri Kasparow, Kirsan Iljumschinow

Tut sich im Wahlkampf gegen den skurrilen Amtsinhaber bisher schwer: Garri Kasparow

(Foto: dpa)

Es gilt als der schmutzigste Wahlkampf in der Verbands-Historie: Der ehemalige Schach-Weltmeister Garri Kasparow will den dubiosen Weltverbands-Chef Kirsan Iljumschinow ablösen. Letzterer wurde angeblich von Außerirdischen entführt, spielte im Libyen-Konflikt mit Gaddafi Schach - und hat trotzdem gute Chancen auf eine Wiederwahl.

Von Johannes Aumüller

Garri Kasparow befindet sich mal wieder in einer wohlvertrauten Situation: in der des Herausforderers gegen eine etablierte Person. Das hat er schachlich in den Achtzigerjahren erfolgreich bewältigt, als er seinem sowjetischen Landsmann und Politklassenliebling Anatolij Karpow den WM-Titel entriss und diesen fortan mehrmals behauptete. Das hat er, deutlich mäßiger erfolgreich, politisch in den Nullerjahren versucht, als er als vorgeblicher Oppositionsführer Russlands Staatspräsidenten Wladimir Putin herausforderte.

Und jetzt ist die Sportpolitik dran: Kasparow möchte Kirsan Iljumschinow als Chef des Schach-Weltverbandes (Fide) ablösen, und wenn am Samstag in Tromsö die Schach-Olympiade beginnt, rückt das Geschehen an den Brettern in den Hintergrund angesichts des ebendort tagenden Kongresses, der am 11. August den neuen Fide-Chef küren soll.

Es ist eine Kür, die Beobachtern schon jetzt als "der schmutzigste Wahlkampf in der Fide-Geschichte" gilt.

Eine Mischung aus Napoleon, Lenin und Marx

Dieses Etikett verblüfft kaum, wenn es um den Amtsinhaber geht. Der schwerreiche Geschäftsmann Iljumschinow, lange Jahre Oberhaupt der autonomen, aber ärmlichen Republik Kalmückien am Kaspischen Meer, ist eine der skurrilsten Erscheinungen in der Sportfunktionärswelt. 1995 übernahm er die Fide-Regentschaft, und seither führte der 52-Jährige, der sich mal als eine Mischung aus "Napoleon, Lenin, de Gaulle und Marx" beschrieb, den Verband auf so dubiose Art, dass das Image mieser kaum sein könnte. Mal berichtete er, dass er von Außerirdischen entführt worden sei, mal spielte er mitten im Libyen-Konflikt vor laufenden Kameras eine Partie Schach mit Muammar al-Gaddafi; mal wollte er die Leiche von Lenin nach Kalmückien holen, mal für einen zweistelligen Millionen-Betrag am Ground Zero in New York ein Schachzentrum errichten.

Nebst solchen persönlichen Phantastereien werfen sie Iljumschinow in der Schach-Familie vor allem vor, dass niemand die Finanzflüsse rund um den Weltverband recht durchschaue und dass er persönlich sehr profitiere. Rund um seine Wiederwahlen gab es stets heftige Debatten, "das war eine Farce", kommentierte beim letzten Mal der Chef des britischen Verbandes.

Das liegt vor allem daran, dass in der Fide das aus dem Fußball bekannte Prinzip "eine Föderation, eine Stimme" gilt, unabhängig von Einwohner- und Aktiven-Zahl, und dass so vor allem die Delegierten aus spitzensportfernen Verbänden im Fokus stehen. Eingeweihte berichten, dass der Preis für bestimmte anfällige Wackelkandidaten aktuell bei 60.000 Euro liege - als Paketlösung für Fide-Wahl und Abstimmung ums Präsidentenamt in der Europäischen Schachunion (ECU), die ebenfalls während der Schach-Olympiade in Tromsö stattfindet und bei der jedes Lager wieder einen Kandidaten stellt.

Die Drähte nach Moskau funktionieren gut

Schon lange sehnen sich weite Teile der europäischen und der amerikanischen Schach-Welt nach einem Wechsel, und Kasparow schien da als Ex-Sportler, Ex-Politiker und langjähriger Vorantreiber des Schulschachprojektes ein äußerst geeigneter Kandidat zu sein. Doch das einmal angedachte Prinzip "Der gute Garri gegen den verrückten Kalmücken" funktionierte nicht recht. Denn auch über das Verhalten des von einigen reichen Personen unterstützten Kasparow-Lagers gibt es Stirnrunzeln, und statt als Reformer gilt er nun mancherorts nur noch als das kleinere Übel. Auch sind bereits manche Europäer aus dem Kasparow-Kreis ausgeschieden und zur Gegenseite gewechselt.

Kasparows Kampagne verlor vor allem an Sympathie, als er ausgerechnet Ignatius Leong aus Singapur, langjähriger Fide-Generalsekretär und Iljumschinow-Begleiter mit nicht gerade sonderlich gutem Ruf, in sein Team aufnahm - mit einer schriftlich fixierten Abmachung, in der es um viel Geld geht. Ganz detailliert haben sie die Übereinkunft formuliert: Leong sichere Kasparow zu, "mindestens 10 + 1 Stimme" zu beschaffen, und bemühe sich darum, sogar 15 abzuliefern. Jeder weitere Pro-Kasparow-Verband bringt noch einmal Extra-Geld.

Zudem erfolgen über die asiatische Schiene die notwendigen Unterstützungsschriften für eine Kandidatur. Der Lohn gemäß Vertrag: "IL (Ignatius Leong) erhält einen Betrag von 500.000 Dollar." Zudem sind für die nächsten Jahre weitere Zahlungen der Kasparow-Stiftung an eine Schach-Organisation geplant, hinter der Leong steckt. Die Interpretation dieses Schriftstückes durch die Kasparow-Seite: Das Geld sei nicht für eine einzelne Person gedacht, sondern für den Schachsport, und der Vertrag sei eine Abmachung zwischen zwei Organisationen.

Moskaus Interesse am Schach

Ob der Vergangenheit von Kasparow verwundert es auch nicht, dass selbst die große Politik in diesem Wahlkampf eine maßgebliche Rolle spielt. Schach ist in Russland traditionell ein sehr wichtiger Sport, erst kürzlich wurde bekannt, dass das nächste WM-Match in Sotschi steigt. Und zum einen ist Russlands Regierung nicht an einem Schach-Präsidenten Kasparow gelegen, und zum anderen funktionieren die Drähte des Kalmücken Iljumschinow nach Moskau sehr gut.

Daher klingt es nicht unlogisch, wenn zu hören ist, dass in russischen Botschaften in kleineren Ländern gerade häufiger über Schach und die Fide gesprochen werde. Und so lässt sich auch erklären, warum Kasparows alter Rivale Anatolij Karpow, mit dem er sich vor ein paar Jahren versöhnte und auf dessen Unterstützung er zu Beginn seiner Präsidentschaftskandidatur zählte, plötzlich wieder im anderen Lager zu verorten war: Immerhin sitzt Karpow für Putins Regierungspartei Edinaja Rossija in der Duma.

Selbst die Tatsache, dass Kasparow kürzlich einen kroatischen Pass beantragte, lässt sich gemäß eines Interviews von ihm im Luxemburger Tagblatt im Kontext der Wahlen sehen. Sein russischer Reisepass hätte bald erneuert werden müssen, "und ich weiß genau, dass ich keinen neuen bekommen hätte. Dadurch wäre meine Reisefreiheit beschränkt worden, was auch bei den Fide-Wahlen zugunsten von Iljumschinow wäre."

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