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Wahl zum Fifa-Präsidenten:Schikanen für Sepps Gegenspieler

Harold Mayne-Nicholls gilt als aufrechter Funktionär. Doch seit sich der Chilene als Gegenkandidat von Sepp Blatter in der Fifa positioniert, triezt ihn die Ethik-Kommission des Weltverbandes. Das Ganze wirkt klebrig, gemessen daran, was sich Blatter und Co. leisten.

Von Thomas Kistner

Es war ein bitterkalter Januar-Abend in New York, zumal für einen, der aus der Sommerhitze von Santiago de Chile anreiste. Umso wärmer war der Empfang im Büro von Michael Garcia: Der US-Anwalt und Chefermittler der Fifa-Ethikkommission und seine Mitarbeiter verspeisten Sandwiches, als Harold Mayne-Nicholls eintraf. Stundenlang beantwortete der frühere Präsident des Fußballverbandes von Chile Garcias Fragen zur WM-Doppelvergabe 2018/2022.

Mayne-Nicholls war damals Chef der Fifa-Prüfkommission: der Mann, der Russland und Katar als jeweils schwächste Kandidaten eingestuft hatte und dem Fifa-Vorstand vor dessen Votum am 2. Dezember 2010 harte Fakten auf den Tisch gelegt hatte. Darunter ein K.-o.-Kriterium: Katars Sommerhitze von bis zu 50 Grad sei gesundheitsgefährdend für die Spieler.

Es kam ganz anders. Die kurzfristig aus Korruptionsgründen auf 22 Wahlleute dezimierte Fifa-Exekutive stimmte 14:8 für Katar. Seit Herbst 2013 geht Garcia dem Verdacht nach, dass das mysteriöse Faible für eine Backofen-WM in einem Wüstensprengel statt der Sympathie teils hochkorrupter Funktionäre gewissen branchenüblichen Nettigkeiten geschuldet sein könnte.

Post von der Fifa

Allerdings fallen effektive Korruptionsnachweise sogar der richtigen Justiz mit ihren Ermittlungsinstrumenten schwer. Nur Anfänger gestalten ja diskrete Privatdeals so tölpelhaft, dass sie klare Spuren hinterlassen. Deshalb dürfte auch der Ermittlungsbericht Garcias und des Spruchkammervorsitzenden Hans-Joachim Eckert dünn ausfallen, den die Fifa an diesem Donnerstag präsentieren will: Keine harten Beweise, schon gar keine Sanktionen gegen Katar; etwas Ärger aber für Russland und England sowie einige Einzelpersonen, denen ein Ethik-Verfahren blühen könnte.

Einer davon ist: Harold Mayne-Nicholls. Der Mann, der in Südamerikas Fußball bisher als aufrechter Funktionär galt, neben all den korrupten Figuren aus Brasilien, Paraguay, Argentinien, Uruguay. Der WM-Chefinspektor, dessen Bericht die Kür Katars verhindert hätte, sofern er beachtet worden wäre. Vor allem aber ist Mayne-Nicholls der Mann, der im Oktober die Fußballwelt mit einer Ankündigung in Aufruhr versetzte: Er denkt darüber nach, im Frühjahr 2015 bei der Fifa-Präsidentenwahl gegen Sepp Blatter anzutreten.

Drei Wochen nach dieser Ankündigung, am 30. Oktober, erhielt der potenzielle Kandidat Post von den als unabhängig firmierenden Fifa-Ethikern. Eine Ermittlung ist eröffnet worden. Nach erstem Anschein habe er gegen sechs Regeln des Ethikcodes verstoßen. Garcias Stellvertreter führe die Untersuchung, fehlende Kooperation könne bestraft werden.

Verwunderung über drohende Untertöne

Mayne-Nicholls wunderte sich über die drohenden Untertöne, mit denen ihm Terminvorschläge unterbreitet wurden, wann er zur Anhörung im Züricher Hauptquartier der Fifa zu erscheinen habe. Für ihn geht es ja um eine halbe Weltreise, und was ihm konkret angelastet wird, wusste er zunächst nicht. Die Termine passten nicht, er machte Gegenvorschläge. Am Ende teilten die Fifa-Ethiker mit, dass sie ihm schriftliche Fragen vorlegen wollen.

Mayne-Nicholls beteuerte bis zum Mittwoch, er tappe völlig im Dunkeln. Er tippte auf die iPads, die er und Kommissionäre von Bewerbern erhalten hatten, voll technischer Daten: von Katar, Russland, Australien und den USA. Andererseits: Fifa-Generalsekretär Jérôme Valcke hatte den Prüfern auf Anfrage gestattet, die Geräte behalten zu dürfen. Oder waren es Vorträge, die er nach der WM-Vergabe hielt - verstieß er da gegen Verschwiegenheitsklauseln?

Im Herbst 2013 hat er einen Kalender für Katar präsentiert, mit Turniervorschlägen für Januar/Februar oder Mai, mit Spielen nur am Abend; damals hatte ihn die Fifa per rüdem Brief an eine Schweigeklausel in seinem Inspektorenvertrag erinnert. Die Sache mit den Fragen zog sich, erst am Mittwoch traf der Katalog der Fifa-Ethiker ein. Das Thema ist tatsächlich: Katar. Mayne-Nicholls hat offenbar eine rechte Dummheit begangen. Es geht um einen Mail-Austausch vom Herbst 2010 mit Andreas Bleicher, Direktor des katarischen Sportzentrums Aspire.

Mayne-Nicholls hatte als Chiles Verbandschef nach Trainingsgelegenheiten für Nachwuchskicker aus sechs Klubs gesucht, darunter allerdings auch sein Sohn und sein Neffe. Auch die mögliche Anstellung eines Tennislehrers aus seinem Umfeld, eines ehemaligen Daviscup-Spielers, diskutierte er mit dem Aspire-Chef, der ihm ausdrücklich versichert habe, die Institution sei völlig unabhängig von der Bewerbung. Auf Bleichers Anregung willigte er damals ein, die Diskussion bis nach der WM-Vergabe zu vertagen.

Auf die sein tadelloser Report immerhin keinen Einfluss nahm: Das klar herausgearbeitete K.-o.-Kriterium der Prüfkommission bezüglich der Hitze ignorierten die Fifa-Wahlleute ganz einfach. Dennoch, das Ganze wirkt klebrig - typisch Funktionäre eben. Und trotzdem eher banal, verglichen mit dem, was sich Blatter und Co. leisten. Zuletzt bei der WM in Brasilien hatten sie 22 000 Euro teure Luxusuhren eingesackt, die sie auf Garcias Geheiß jüngst rausrücken mussten. Straffrei.

Und welchen Stellenwert besitzen solche Vorgänge, verglichen mit Blatters Verhalten in der Affäre um den bankrotten Hausvermarkter ISL? Manager der Rechteagentur hatten gestanden, dass sie auf reiner Korruptionsbasis mit der Fifa kooperierten, 141 Millionen Schweizer Franken wurden bis 2001 an Sportfunktionäre generell ausgeschüttet. Seit 1997 wusste Blatter, der 1998 Präsident wurde, dass Vorgänger Havelange Millionen kassiert hatte. Weil die Fifa-Spitze über Jahre Strafermittlungen blockierte, wurde sie am Ende selbst mit 2,5 Millionen Franken zur Kasse gebeten.

Compliance-Experten waren entsetzt, dass die Fifa-Ethiker Blatter nur "ungeschicktes" Verhalten attestierten; Bestechung sei damals in der Schweiz nicht strafbar gewesen. Nur: Wie angemessen ist das Verhalten des Mannes an der Spitze, wenn er trübe Deals kennt, sie nicht ahndet und jahrelang auch die Ermittler nicht unterstützt - um den Preis einer Millionenzahlung, die seinem Verband auferlegt wurde? Vor die Ethikkommission haben es viele Funktionäre geschafft, die sich gegen Blatter auflehnten; mild kam keiner davon.

Ungemach droht auch Mayne-Nicholls, bei dessen Fall jedoch das Timing auffällt. Intern bekannt sind die Vorgänge ja seit langem; dass sie am Vorabend der Präsentation des Untersuchungsberichts angeschoben werden, passt in ein vertrautes Bild. Am Donnerstag steht der Garcia-Report im Fokus. Nach SZ-Informationen werden die WM-Bieterverfahren nur gerügt, nicht neu aufgerollt. Es fehlen Beweise, auch zu anderen Bewerbungen. So wird auch der Abschluss dieser Ethik-Untersuchung ein Erfolg für Blatter sein - der nebenbei einen Gegner weniger hat.

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Quelle:
SZ vom 13.11.2014/sonn
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