In der Debatte um 23 chinesische Schwimmer, die vor den Sommerspielen 2021 positiv auf ein Herzmedikament getestet und später freigesprochen wurden, hat die Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) einen überragenden juristischen Erfolg errungen. So urteilt die Wada jetzt zumindest selbst: Im „Gerichtshof der öffentlichen Meinung“ habe sich die Ansicht durchgesetzt, dass man in der Affäre korrekt gehandelt habe. So skizzieren es Wada-Präsident Witold Banka und sein Generalsekretär Olivier Niggli in einem internen Brief an das Wada-Exekutivkomitee, aus dem das Portal „Honest Sport“ zitiert. (Die Wada bestätigte auf Anfrage den Inhalt sinngemäß.)
Auf welche Meinungsforschungsinstitute sich die Wada dabei stützt, geht leider weder aus der Wada-Antwort, noch aus dem Bericht hervor. Bei der Vielzahl an Sportlervertretungen, Spitzenschwimmern und nationalen Anti-Doping-Agenturen, die die Wada in der Affäre heftig kritisiert haben, dürfte das selbst verfertigte Verdikt also bestenfalls Heiterkeit provozieren – auch im Lichte einer zweiten Neuigkeit, die Banka und Niggli in ihrem Brief enthüllen. Demnach hat die Wada ihre Klage gegen Travis Tygart, den Geschäftsführer der amerikanischen Anti-Doping-Agentur, zurückgezogen. Tygart hatte die Wada mit einer Welle der Kritik überzogen und unter anderem behauptet, die Agentur habe die Positivfälle der chinesischen Schwimmer „vertuscht“.
Das sieht die Agentur noch immer völlig anders, wie Banka und Niggli nun schreiben: „Wir haben aber festgestellt, dass es sinnlos ist, mit jemandem zu streiten, der keine klaren Beweise akzeptiert und dessen Ziel es allein ist, die Wada und das globale Anti-Doping-System zu beschädigen.“ Und weil die Wada ja eben zweifelsfrei vor dem Tribunal der Öffentlichkeit reingewaschen sei, wolle man die Ressourcen fortan lieber darauf verwenden, „mit allen Beteiligten zum Wohle aller Athleten weltweit zusammen zu arbeiten“.
Ob allein ein solch nobles Motiv hinter diesem Zug steckt? Noch vor einem Monat hatte die scheidende US-Regierung unter Joe Biden verfügt, ihre jährliche Zuwendung an die Wada, knapp 3,5 Millionen Euro, zurückzuhalten. Diese wolle man erst freigeben, wenn die Wada die Klage gegen Tygart fallenlässt und sich einer externen Prüfung unterzieht. Linda Helleland, die einstige Wada-Vizepräsidentin aus Norwegen, forderte ihre Regierung unlängst dazu auf, den norwegischen Jahresbeitrag von knapp 1,9 Millionen Euro ebenfalls einzufrieren. Der derzeitigen Anti-Doping-Oberaufsicht gehe es offenbar vor allem darum, „die Interessen jener dunklen Kräfte zu schützen, die den Sport zerstören wollen“, sagte Helleland der Zeitung VG. Lars Mortsiefer, Vorstand der deutschen Nada, hatte die Wada bereits im vergangenen Jahr dazu aufgefordert, den Fall unabhängig prüfen zu lassen.
Die chinesische Anti-Doping-Agentur (Chinada) hatte 23 ihrer Schwimmer im Januar 2021 auf das im Sport verbotene Herzmedikament Trimetazidin getestet, dann rasch kollektiv freigesprochen: Eine interne Untersuchung habe gezeigt – Monate nach der angeblichen Kontamination inmitten der Covid-Pandemie samt eines extrem strengen Hygieneprotokolls in China –, dass das Mittel über die Hotelküche ins Essen der Athleten gelangt sein müsse. Wada-Offizielle bezweifelten das zunächst intern, akzeptierten das Vorgehen dann aber. Einige der Schwimmer gewannen laut bislang unwidersprochenen Berichten wenige Monate später Olympiamedaillen.
Im Tennis ist die Wada längst in die nächste Debatte verwickelt
Als die New York Times und die ARD im vergangenen Jahr die Vorgänge entblätterten, wehrte sich die Wada: Sämtliche Hinweise hätten keinen anderen Schluss zugelassen als jenen, die die Chinesen präsentiert hatten. Als die Wada inmitten der wachsenden Kritik sich einen eigenen Ermittler für eine Supervision aussuchte, weckte das neue Kritik – wie der Umstand, dass Eric Cottier, der zuständige Ermittler, kaum Zeit und ein limitiertes Mandat gewährt bekommen habe.
Cottier, ein einstiger Schweizer Staatsanwalt, stellte in seinem Report dann zwar fest, dass die Wada unvoreingenommen und gemäß ihren Regeln gehandelt habe. Er kritisierte zugleich, dass diese Regeln und Abläufe zum Teil defizitär gewesen seien. (Die Wada verweist auf Anfrage darauf, dass ihre Exekutive bereits einstimmig beschlossen habe, Cottiers Verbesserungsvorschläge umzusetzen - auch mit dem Votum des zuständigen US-Vertreters im Wada-Ratg.)
Cottier stellte indes auch fest, dass die Chinada es versäumt habe, die positiv getesteten Schwimmer von den Tests zu informieren und provisorisch zu sperren. In der Zwischenzeit nährten Berichte neue Zweifel an der Kontaminationshypothese: So hätten die 23 Schwimmer im fraglichen Zeitraum womöglich gar nicht im selben Hotel gewohnt - wie konnten dann 23 Athleten kollektiv vom selben Hotelessen kontaminiert worden sein?
Witold Banka und Olivier Niggli, die Wada-Honoratioren, erreichen in ihrem jüngsten Brief eine ganz andere Conclusio. „Die Welt, Herrn Tygart ausgenommen, hat die Ergebnisse des Cottier-Berichts akzeptiert und hegt den Wunsch, nach vorne zu schauen.“ Wohin der Blick für die Wada geht, steht jedenfalls zweifelsfrei fest: Seit ein paar Tagen muss sie sich massiv gegen den Eindruck stemmen, sie habe den Tennis-Weltranglistenersten Jannik Sinner nach einem Positivtest zu leicht davonkommen lassen.