Missstände im deutschen Leistungsturnen:Wie die Turnverbände auf die schweren Vorwürfe reagieren

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Turnerin Michelle Timm 2017 bei einem Wettkampf in Stuttgart. Wie viele ehemalige Turnerinnen spricht heute auch sie über jahrelanges Fehlverhalten von Trainern und Offiziellen. (Foto: Michael Weber/Imago)

Der Deutsche Turner-Bund und der Schwäbische Turnerbund äußern sich betroffen – und wollen „den Erfolg der bislang eingeleiteten Maßnahmen erneut auf den Prüfstand stellen“.

Von Barbara Klimke

In den vergangenen Wochen haben ehemalige und aktive Athletinnen zum Teil massive Vorwürfe über Missstände im Turnen vorgebracht. Die ehemalige WM-Dritte Tabea Alt, die am Bundesstützpunkt Stuttgart trainierte, schrieb Ende Dezember auf Instagram von Missachtung ärztlicher Vorgaben, von „Straftraining“, „Drohungen und Demütigungen“. In der Folge prangerten viele weitere Athletinnen Vorfälle an, die zu unterschiedlichen Zeitpunkten stattfanden. Der Deutsche Turner-Bund (DTB) und der Schwäbische Turnerbund (STB) äußerten sich betroffen. Sie haben einen Untersuchungsprozess eingeleitet, „um die aktuellen Vorwürfe aufzuklären“, wie der STB mitteilt. Die Einbindung der Athletinnen, so heißt es, werde dabei eine wichtige Rolle spielen.

Eine Reihe von Maßnahmen hat der DTB in Absprache mit dem STB bereits ergriffen: „So wurden zum Schutze aller Beteiligten personelle Konsequenzen getroffen, im Rahmen des bereits laufenden Interventionsprozesses wurden zahlreiche Gespräche mit Athletinnen, ehemaligen Athletinnen, Erziehungsberechtigten und Trainern geführt. Zur Absicherung der bestehenden Trainingsgruppe übernahmen Cheftrainer Gerben Wiersma und Nachwuchsbundestrainerin Claudia Schunk insgesamt sieben Tage das Training am Bundesstützpunkt in Stuttgart“, schreibt der Deutsche Turner-Bund auf Anfrage. Über Details des Untersuchungs- und Aufarbeitungsprozesses wollen die Verbände voraussichtlich in der kommenden Woche informieren.

Im Kunstturnforum in Stuttgart steht nach Angaben des Schwäbischen Turnerbunds nun dauerhaft der Ansprechpartner für Gewaltprävention als Vertrauensperson zur Verfügung. Außerdem folgten „gleich zu Beginn dieses Jahres Gespräche vor Ort unter Einbindung von Psychologen“.

Schon im Jahr 2021 hatte Tabea Alt in einem Brief an den DTB Vorwürfe über Missstände am Stützpunkt Stuttgart vorgebracht und sich auch an den STB gewandt. Das bestätigen beide Verbände. „Zwei weitere offizielle Meldungen an unsere Anlaufstellen gab es im Sommer/Herbst 2024“, teilt der STB mit: „Auch diese wurden, wie auch das Schreiben von Tabea Alt, gemäß des für solche Fälle festgelegten Interventionsleitfadens aufgearbeitet bzw. werden es zurzeit.“

Planungsgespräche finden nun unter dem Sechs-Augen-Prinzip statt

Nach dem Brief von 2021 hat der DTB, wie er mitteilt, einen Kultur- und Strukturwandel eingeleitet. Am Stützpunkt Stuttgart ergriff der STB Maßnahmen in den Problemfeldern „Umgang mit Verletzungen“, „Kommunikation“, „pädagogische Steuerung“ und „Belastungssteuerung“. Die medizinische Steuerung und Weisungsbefugnis wurde im Zuge dessen von den Trainerinnen und Trainern an eine übergeordnete Person übertragen. Auch Planungsgespräche, teilen beide Verbände mit, finden nur noch unter dem Sechs-Augen-Prinzip statt und werden protokolliert.

„Aufgrund der jüngsten Meldungen und Veröffentlichungen von Turnerinnen müssen wir aber insgesamt selbstkritisch den Erfolg der bislang eingeleiteten Maßnahmen erneut auf den Prüfstand stellen“, schreibt der DTB auf Anfrage. Weiterhin heißt es: „Uns ist sehr bewusst, dass wir an der Aufarbeitung und dem Umgang mit den jetzigen Vorwürfen gemessen werden. Darauf liegt unser Fokus und nur dadurch werden wir Vertrauen bewahren und zurückgewinnen können.“

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