Süddeutsche Zeitung

Vorwürfe gegen UCI-Präsident Verbruggen:Armstrong geht zum Angriff über

Die Affäre Armstrong bekommt eine neue Dimension: Der Doping-Sünder beschuldigt den langjährigen Präsidenten des Weltverbandes UCI, Hein Verbruggen, ihm bei der Vertuschung von positiven Proben geholfen zu haben. Beim IOC ist der dubiose Funktionär noch heute ein Ehrenmitglied mit viel Macht.

Von Thomas Kistner

Lance Armstrong hat wieder über Doping-Machenschaften geplaudert, aber diesmal könnte das Bollwerk des Weltsports ins Wanken geraten. Erstmals beschuldigt der lebenslang gesperrte Pharma-Sünder öffentlich und ganz konkret den langjährigen Präsidenten des Rad-Weltverbandes UCI, Hein Verbruggen, der Beteiligung an der Vertuschung einer positiven Dopingprobe. Das hievt die Causa des siebenmaligen Tour-de-France-Gewinners auf eine neue Ebene. Denn mit Verbruggen gerät eine der prominentesten Funktionärsfiguren ins Zwielicht.

Der Niederländer, der die UCI-Spitze nach 14 Jahren zeitgleich mit dem Karriereende seines Duz-Freunds Armstrong 2005 abgab, hatte viele Jahre eine bedeutende Rolle im Vorstand der Welt-Anti-Doping-Agentur Wada und im Internationalen Olympischen Komitee (IOC) inne, dessen Ehrenmitglied er ist. Zudem war er bis Mai des Jahres Chef von Sportaccord, der globalen Dachvereinigung aller Sportverbände.

Armstrong sagte dem englischen Blatt Daily Mail vor laufender Kamera, er habe auf Verbruggens Rat bei der Tour 1999 ein Rezept rückdatieren lassen, um ein bei ihm ermitteltes Kortison-Doping zu vertuschen. "Hein sagte, das ist ein echtes Problem für mich, das ist der K.o.-Schlag für unseren Sport ein Jahr nach Festina, also müssen wir uns etwas einfallen lassen."

Die Dopingaffäre 1998 um das Festina-Team hatte Tour und Radsport in den Grundfesten erschüttert; Zoll und Polizei konfiszierten massenhaft Dopingmittel; am Ende standen 60 strafrechtliche Verurteilungen. 1999, nur ein Jahr später, holte Armstrong den ersten von sieben Tour-Siegen (die ihm wieder aberkannt wurden).

Verbruggen galt unter namhaften Dopingexperten stets als problematische Figur, die dem Sportbetrug auf politischer Ebene eher Vorschub geleistet haben soll. Ebenso beharrlich wies der 72-jährige die Vorwürfe stets von sich, darunter auch den der Kungelei mit Armstrong. Er akzeptiere nicht, "dass meine Integrität in Zweifel gezogen wird"; auch sei niemals etwas vertuscht worden, behauptete er immerzu. Dies auch in Bezug auf bizarre Geldspenden von insgesamt 125.000 Dollar, die der Texaner der UCI 2002 und 2005 zugeleitet hatte.

Laut seinem früheren Teamkollegen Floyd Landis soll Armstrong durch eine "finanzielle Vereinbarung" mit Verbruggen einen positiven Epo-Test bei der Tour de Suisse 2001 verschwinden haben lassen. Für Reaktionen auf Armstrongs neue, konkrete Vorwürfe war Verbruggen nicht zu erreichen, berichten Daily Mail und Sportagenturen.

Der Texaner dürfte sich bald auch zu den ominösen Spenden äußern. Er will ja über weitreichende Kooperation mit den Dopingfahndern seine lebenslange Sperre abmildern, überdies steht er am Beginn diverser Schadensersatz-Prozesse.

Schon vor Wochen ließ er öffentlich anklingen, dass es keine Freundschaft gäbe im Geschäftssystem Spitzensport. Die Leute, die ihm Schutz versprachen, hätten ihn fallen lassen, als es zu heikel wurde. Doch der 42-jährige war stets auf Konfrontation gebürstet, nun richtet er sich gegen Spitzenfunktionäre wie Verbruggen. "Ich werde nicht lügen, um sie zu schützen. Ich hasse sie, ich bin fertig mit ihnen", sagte er.

Mit dem Angriff auf Verbruggen erreicht die größte Rad-Affäre eine neue Qualität. Armstrong wird vor Gericht nicht hinter diese Aussagen zurück können, mit denen sich nun eine Fülle weiterer Verdachtsmomente verbinden, was Verbruggens Umgang mit der Dopingproblematik betrifft.

So gab er selbst vor kurzem im niederländischen Magazin Vrij Nederland zu, dass Armstrong und andere Radprofis seinerzeit über abweichende Werte bei Bluttests informiert worden waren; ähnliche Vorwarn-Praktiken wollte er auch bei anderen Verbänden bemerkt haben. Die UCI habe "Fahrer gewarnt, dass sie unter Beobachtung stehen", sagte Verbruggen, das sei Teil einer "Zwei-Säulen-Strategie" gewesen, um Betrüger zu schnappen und andere vom Doping abzubringen.

Nicht nur die Wada zweifelt diese Absicht an. "Jeder Verband, der so etwas tun würde, würde sich angreifbar machen und seine Unparteilichkeit und Glaubwürdigkeit gefährden", hieß es dazu in einem Statement.

Die Vorgänge bringen die neue UCI-Spitze unter dem Iren Brian Cookson in Zugzwang. Der hatte vor wenigen Wochen erst seinen Landsmann Pat McQuaid abgelöst, der wiederum 2005 von Verbruggen installiert worden war. Insidern gilt dieser Wechsel nur als Ringtausch unter Marionetten, behauptet ein langjähriger UCI-Mitarbeiter; Verbruggen ziehe auch weiterhin die Strippen dank erstklassiger Kontakte nach Russland. Tatsächlich war Cookson mit starker russischer Hilfe ins Amt gewählt worden.

Unter Druck gerät aber auch das Internationale Olympische Komitee. Dessen einflussreiches Ehrenmitglied Verbruggen steuert noch immer eine der IOC-Geldmaschinen, die 2001 gegründete, in Madrid ansässige TV-Gesellschaft Olympic Broadcasting Services.

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SZ vom 19.11.2013/sonn
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