Vorläufiges Olympia-Aus:Ringen um die Zukunft

***BESTPIX***  Olympics Day 9 - Wrestling

Ringkampf im griechisch-römischen Stil bei Olympia 2012 in London.

(Foto: Getty Images)

Nach dem zumindest vorläufigen Olympia-Aus standen die Ringer unter Schock - nun haben sie den geschichtsträchtigen Sport reformiert. Auch die Nachwuchsathleten in einem Münchner Verein müssen sich umstellen.

Von Christopher Köster

Auf den ersten Blick wirkt die Szene ganz gewöhnlich: Eine Mutter, die ihren Sohn am frühen Freitagabend zum Vereinstraining bringt und die Turnhalle des ESV München-Ost betritt. Doch die Frau trägt ein T-Shirt, schwarz, mit bunten Streifen - darauf steht: "Save Wrestling at the Olympics". Wrestling, so heißt das Ringen auf Englisch - und um diese Sportart ist es derzeit nicht gut bestellt. Allerdings: Die Ringer-Familie hält zusammen.

Das Ringen befindet sich seit Februar in einer handfesten Krise, als das Internationale Olympische Komitee (IOC) beschloss, die Sportart, die schon seit der ersten Austragung 1896 bei Olympia vertreten ist, vorerst aus dem Programm der Sommerspiele 2020 zu streichen. Zu wenig actionreich sei das Ringen, zu viel Herumgeschiebe werde den Zuschauern zugemutet, vor allem im griechisch-römischen Stil, wo nur der Oberkörper als Angriffsfläche dient. Einfach ausgedrückt: Das Ringen ist nicht mehr Bildschirm-kompatibel.

"Olympia ohne Ringen, das wäre nichts", sagt hingegen Aaron Sanders, Trainer beim ESV München-Ost energisch, und schnürt seine Ringerschuhe. Er kam vor elf Jahren aus den USA nach München und zeigt nun jede Woche Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen, welch körperlicher Anforderungen das Ringen bedarf. "Mit dem ganzen Körper müsst ihr da sein", schallt es immer wieder durch die Halle. Einer wie Aaron Sanders lebt diesen Sport.

Für den Weltverband im Ringen war die IOC-Entscheidung ein schwerer Schlag, doch gleichzeitig diente es der Sportart auch als Weckruf. Prompt wurde am 18. Mai ein neuer Präsident gewählt und es wurden tiefgreifende Reformen eingeleitet. Mit neuen Regeln soll vor allem der griechisch-römische-Stil für die Zuschauer wieder interessanter gestaltet werden, doch auch im Freistil ändert sich derzeit einiges. Es muss wieder mehr auf der Matte passieren, da sind sich alle einig. Kämpft ein Ringer zu defensiv, wird er nun verwarnt oder im schlimmsten Fall gar disqualifiziert.

Michael Carl, Bundestrainer der deutschen Ringer im griechisch-römischen Stil, begrüßt diesen Ansatz: "Als Ringer muss man nun deutlich aktiver sein, mehr auf Tempo gehen. Es wird angriffsorientierter", sagt er. "Wir Trainer in Deutschland wollen das von unseren Athleten schon seit Jahren." Auch Sanders vom ESV München-Ost, der das aktivere Ringen von seiner College-Zeit in Minnesota kennt, sagt: "Das alte Ringen war Taktik, jetzt wird wieder richtig gerungen."

Die Neuerungen sind noch zu neu

Mit seinem ganzen Oberkörper drückt sich Sanders an die Beine seines Co-Trainers, greift mit den Händen an dessen Kniekehlen. "Wenn ihr jetzt aufsteht, drückt ihr ihn zur Seite weg", erklärt er den Kindern zwischen sieben und 14 Jahren - und befördert seinen Demonstrationspartner auf die Matte. Anschließend dürfen es die Kinder ausprobieren, Koordination und Körperbeherrschung klappen schon erstaunlich gut.

Ringen beim ESV München-Ost

Trainer Aaron Sanders vom ESV München-Ost demonstriert eine neue Technik.

(Foto: Christopher Köster)

Auch im Nachwuchsringen auf lokaler Ebene werden die neuen Regeln eingeführt. Vergangene Woche bekamen die Verantwortlichen den neuen Leitfaden an die Hand. Doch bis alles so umgesetzt wird, dauert es noch bis zum Herbst.

Bei den Vereinen geht es darum, das Ringen weiterzuentwickeln, beim Weltverband dagegen stehen der Verbleib bei Olympia und damit die Zuschauer und das damit zu verdienende Geld im Vordergrund des Interesses. "Die Zuschauer nehmen die neuen Regeln größtenteils gut an", sagt Bundestrainer Michael Carl nach den Eindrücken von den Wettkämpfen im Sommer. "Aber es geht nicht nur um mehr Action. Das Ringen muss verständlicher und transparenter sein."

Wirklich verständlich ist es noch nicht immer. "Da gibt es noch einige Kleinigkeiten, die verwirrend sind und vor der Weltmeisterschaft verändert werden müssen", sagt Carl. Tritt ein Ringer beispielsweise in den äußeren, blauen Bereich, hat der Gegner früher einen Punkt zugesprochen bekommen. Nun passiert das erst beim zweiten Regelverstoß. Das haben noch nicht alle verinnerlicht. Auch die Wertungen für die einzelnen Griffe unterscheiden sich teils gravierend. Wird der Zuschauer im Vorfeld nicht aufgeklärt, erscheint ihm vieles fremd.

Die Ringer-WM findet Mitte September in Budapest statt. Welche weiteren Veränderungen es geben wird, weiß auch Michael Carl noch nicht. Auf seine ersten großen Titelkämpfe als Bundestrainer freut er sich, nimmt aber gleichzeitig den Druck von seinen Schützlingen: "Wir werden eine junge Mannschaft haben, in sieben Gewichtsklassen wird es fünf Debütanten geben. Daher sollte man nicht zu hohe Erwartungen haben." Ziel wird sein, den Abstand auf die Weltspitze etwas zu verkürzen.

Die Chancen, dass Ringen bei Olympia 2020 wieder im Programm ist, sind indes ein wenig gestiegen. Die jahrtausendealte Disziplin überstand die letzte Ausscheidungsrunde vor der entscheidenden Abstimmung. Klettern, Karate, Wushu, Rollschuhsport und Wakeboarden scheiterten, nur Baseball/Softball-Spieler und Squash-Spieler dürfen sich neben den Ringern noch Hoffnungen machen.

Ungeachtet der weiteren Entwicklung hat der deutsche Bundestrainer jedoch eine klare Meinung zu der Diskussion: "Veränderungen sind sinnvoll, aber man darf nicht zu viel am Rad drehen. Man kann nicht den ganzen Sport verändern, es sollte noch immer Ringen sein."

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