Vorläufiger EM-Kader des DFB:"Wir sind relativ schwindelfrei"

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Bundestrainer Joachim Löw holt 27 Spieler in sein vorläufiges EM-Aufgebot und überrascht mit der Nominierung von Julian Draxler und Ilkay Gündogan. Damit verdeutlicht er sein Anforderungsprofil: technisch perfekt, schnell, passsicher, intelligent - und vor allem ohne Hang zum Hochmut.

Thomas Hummel

Dass Joachim Löw irgendwann in seinem Leben mal so richtig abheben könnte, glaubt ohnehin niemand. Auf die Frage, wie er denn mit den Erwartungen im Land umgehen werde, die bei der Europameisterschaft in Polen und der Ukraine nichts anderes als den Titel vorsehen, antwortete der Bundestrainer deshalb wenig überraschend: "Ich glaube, wir sind relativ schwindelfrei."

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Weder Hochmut noch Flugangst sollen die deutsche Nationalmannschaft auf ihrer EM-Expedition begleiten. Am Montag benannte Löw nun 27 Spieler für den vorläufigen Kader, aus dem am 29. Mai noch drei Feldspieler und ein Torwart gestrichen werden müssen. Die größte Überraschung war dabei die Berufung des Schalker Offensivspielers Julian Draxler, bei den Torhütern sicherte sich der Gladbacher Marc-André ter Stegen den vorläufig vierten Platz.

Außerdem fliegen die Wackelkandidaten Lars und Sven Bender (Leverkusen und Dortmund) sowie Ilkay Gündogan (ebenfalls Dortmund) mit ins so genannte Regenerationstrainingslager nach Sardinien (11. bis 18. Mai). Wobei die Dortmunder durch das Pokalfinale erst am 15. Mai anreisen werden, auch Mesut Özil und Sami Khedira (Real Madrid) sowie Miroslav Klose (Lazio Rom) kommen verspätet, sie bestreiten in ihren Ligen noch den letzten Spieltag.

Damit ist das Dilemma um die hereintröpfelnden Nationalspieler für Löw und sein Trainerteam aber nur angerissen. Sein größtes Problem stellt die Final-Teilnahme des FC Bayern in der Champions League am 19. Mai und das darauffolgende Testspiel des Klubs gegen die Niederlande am 22. Mai dar. Dieser Freundschaftskick wurde ja einst wegen des Streits um die WM-Verletzung 2010 von Arjen Robben terminiert, was dazu führt, dass acht Bayern-Spieler erst am 25. Mai ins zweite Trainingslager des DFB nach Südfrankreich fliegen werden. Auch der für das Champions-League-Finale gegen Chelsea gesperrte Holger Badstuber bleibt so lange in München. Deshalb hat Löw 23 Feldspieler und vier Torhüter nominiert.

Löw wies darauf hin, dass es in diesen letzten Partien vor der EM zu Verletzungen kommen kann. "Innerhalb kürzester Zeit müssen wir dann ein Team formen, das in der Lage ist, Herausragendes bei der EM zu leisten", erklärte Löw in Raststatt.

Als die 27 Namen bei der Pressekonferenz über Löw, Manager Oliver Bierhoff und Pressechef Harald Stenger aufleuchteten, war auch klar, wer an diesem Tag die Enttäuschten sind: Simon Rolfes (Leverkusen), Dennis Aogo (Hamburg) und die beiden Wolfsburger Patrick Helmes und Christian Träsch hatten gehofft, auch auf der Liste zu stehen. In den Tagen zuvor hatten außerdem mehrere Medien gemeldet, dass der Gladbacher Außenverteidiger Tony Jantschke mitfahren würde.

"Da sind halt die Entscheidungen gefallen für andere Spieler", begründete Löw fast lapidar, nur zu Helmes erklärte er: "Wir sind der Meinung, Patrick Helmes ist eher ein Konterspieler, der seine Stärken hat, wenn er viel Platz hat." Er gehe aber davon aus, dass die Gegner bei der EM vornehmlich eine dichte Verteidigung anstreben würden, weshalb der Stuttgarter Cacau besser passe. Außerdem habe dieser bereits seine Qualitäten als Einwechselspieler bewiesen, wofür er auch bei der EM vorgesehen sei. Dass ihm diese Rolle zuletzt auch in Stuttgart zugeteilt wurde, gereichte ihm da kurioserweise eher zum Vorteil.

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Löw hat sich einen Kader zusammengestellt, in dem die spielerischen Möglichkeiten fast unbegrenzt erscheinen. Gerade die Berufungen von Gündogan, 21, und Draxler weisen auf das Anforderungsprofil des Bundestrainers hin: technisch perfekt, hohes Spieltempo, Passsicherheit und große Spielintelligenz. Zur überraschenden Nominierung des 18-jährigen Draxler sagte Löw: "Er ist ein Spieler mit enorm viel Potential. Er hat Stärken im Eins-gegen-Eins, in der Schnelligkeit. Wenn auch noch nicht so konstant." Durch die Einladung werde seine Persönlichkeit reifen: "Wir halten ihn für fußballerisch enorm entwicklungsfähig."

Löw betonte, dass er den Konkurrenzkampf um die 23 EM-Plätze bis in die letzten Stunden ausreizen wolle. Er vermied es peinlich, eine Tendenz anzudeuten, welche Spieler wohl am 29. Mai in den Urlaub geschickt werden könnten. Favoriten dafür dürften die U21-Spieler ter Stegen, Draxler und Gündogan sein, sowie der Dortmunder Sven Bender, der eine Saison mit vielen Verletzungen hinter sich hat.

Die bis zuletzt ebenfalls verletzten Miroslav Klose und Per Mertesacker dürfen sich hingegen auf eine Sonderrolle freuen. Erstens durch die DFB-Trainer, die sich den beiden in Sardinien und Frankreich besonders annehmen werden, zweitens auch durch den Bundestrainer. Auf Mertesacker und Klose würde Löw nur im äußersten Notfall verzichten, zu wichtig sind ihm die beiden als Spieler und Persönlichkeiten.

Sollte Mertesacker fit werden, dürfte wohl kein Abwehrspieler mehr frühzeitig nach Hause reisen. Fast radikal reduzierte das DFB-Trainerteam hier seine Möglichkeiten, verzichtete auf zuletzt eingesetzte Außenverteidiger wie Aogo und Träsch. Mit Philipp Lahm werde nach dessen Eintreffen entschieden, ob er als Rechts- oder Linksverteidiger ins Turnier geht, Tendenz derzeit völlig offen. Für links stünde dann der Dortmunder Marcel Schmelzer parat, der den lange skeptischen Löw mit zuletzt starken Leistungen überzeugte. Spielt Lahm links, kämpfen wohl Jérôme Boateng und Benedikt Höwedes um den Posten auf rechts. "Wir haben mit diesen sieben Spielern vielfältige Möglichkeiten, die Abwehr zu besetzen", glaubt Löw. Zur Not könne ja auch Lars Bender Außenverteidiger spielen.

Der vorläufige DFB-EM-Kader:

Tor: Manuel Neuer (Bayern München), Marc-André ter Stegen (Borussia Mönchengladbach), Tim Wiese (Werder Bremen), Ron-Robert Zieler (Hannover 96).

Abwehr: Jérôme Boateng, Holger Badstuber, Philipp Lahm (alle Bayern München), Per Mertesacker (FC Arsenal), Mats Hummels (Borussia Dortmund), Benedikt Höwedes (Schalke 04), Marcel Schmelzer (Borussia Dortmund).

Mittelfeld: Mesut Özil, Sami Khedira (beide Real Madrid), Toni Kroos, Thomas Müller, Bastian Schweinsteiger (alle Bayern München), Marco Reus (Borussia Mönchengladbach), Mario Götze, Ilkay Gündogan, Sven Bender (alle Borussia Dortmund), Lars Bender (Bayer Leverkusen), Andre Schürrle (Bayer Leverkusen), Julian Draxler (Schalke 04), Lukas Podolski (1. FC Köln).

Angriff: Cacau (VfB Stuttgart), Mario Gomez (Bayern München), Miroslav Klose (Lazio Rom).

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