Vor FC-Bayern-Spiel:Eintracht Frankfurt - das Überraschungsei der Liga

Eintracht Frankfurt - FC Schalke 04

Der "Lange", der seit Jahren für Eintracht Frankfrut trifft: Alexander Meier.

(Foto: Arne Dedert/dpa)

Multikulti-Kader, Frühstück um halb neun und niemals Ruhe: Der neue Sportvorstand Fredi Bobic und Trainer Niko Kovac lassen in Frankfurt neuen Wind herein. Jetzt kommt der FC Bayern.

Von Dominique Straub, Frankfurt

Den Überblick hatte Fredi Bobic von Anfang an. Von seinem Apartment im Stadtteil Sachsenhausen, direkt am Main gelegen, hat der neue Sportvorstand freie Aussicht auf die Frankfurter Skyline: "Das hat was", sagt der 44-Jährige, er sei schon angekommen in Frankfurt, kaum dreieinhalb Monate nach seiner Vertragsunterschrift. Er fühle sich "von Tag zu Tag mehr als Eintrachtler".

Fredi Bobic hat kein ganz leichtes Amt übernommen, auf den ersten Blick zumindest. Das berühmt-berüchtigte Umfeld war anfangs gar nicht begeistert über die Wahl des slowenischen Schwaben, in den sozialen Medien wurde Bobic bereits kritisiert, ehe er sein Büro draußen im Stadtwald beziehen konnte. Und dann diese Fußstapfen: Fast 13 Jahre lang hatte Heribert Bruchhagen den Klub geprägt, ihn mit knochentrockenem Konservatismus geführt, Experimente gescheut, Visionen verachtet und das Machbare gepriesen. Aber eben auch das Mittelmäßige und Graue und Zementierte, das sich am Ende wie Mehltau auf den Klub legte. Vor lauter Realismus wäre er zum Ende der Bruchhagen-Zeit fast noch abgestiegen.

Viele Türen standen Bobic deshalb auch weit offen. Der Klub, die ganze Stadt dürsteten nach einem, der die Neustart-Taste drückt. Der frischen Wind hereinlässt. Der moderner ist. Der die Bude entstaubt. Und Bobic nährte die Hoffnungen. "Fakt ist: Wenn du Tabellen-Sechzehnter warst, musst du was tun", sagte er.

Ein langes Wochenende lang schloss er sich im Sommer mit Trainer Niko Kovac und Manger Bruno Hübner in Salzburg ein. In der Wahlheimat von Niko Kovac wurde eine Strategie entwickelt, die Bruchhagen nie und nimmer ausgegeben hätte. "Generell muss hier eine andere Denke rein", verkündete Bobic. Das waren schon mal neue Töne. Man dürfe sich nicht so leicht zufrieden geben, setzte Bobic obendrauf: "Es muss ein anderer Geist spürbar sein, ich möchte in jedem Büro spüren, dass man mehr will", forderte er in der Frankfurter Rundschau.

Bobic legte gleich ein enormes Tempo vor: Vergrößerung des Trainerstabs, neue Athletiktrainer, neue Scouts, neue Videoanalysten, ein fest angestellter Dolmetscher, dazu, quasi nebenbei, eine neue Mannschaft. Zwölf Spieler gingen, neun kamen, für kleines Geld, die meisten junge, unerfahrene Burschen, die die Bundesliga nur aus dem Fernsehen kennen und keinen deutschen Pass haben.

Bruchhagens Vereinsjacke ist Fredi Bobic zu groß

16 Nationen tummeln sich nun auf dem Trainingsgelände: Die Fußball-Klein- und Mittelmächte Israel, Schweden und Uruguay sind im Kader vertreten. Ein, zwei Hessen gibt es - und eine Spanisch sprechende Gemeinde um Marco Fabian und David Abraham. Dazu kommt noch eine Handvoll Kicker aus dem ehemaligen Jugoslawien, Spieler, die das "Balkan-Gen" in sich tragen, wie Kovac einst sagte.

"Wir sind ein internationaler Verein in einer internationalen Stadt"

Viele in der Stadt fremdelten anfangs mit dieser scheinbar bunt zusammengewürfelten Gruppe, so sehr, dass sich Kovac bemüßigt fühlte festzustellen: "Wir sind ein internationaler Verein in einer internationalen Stadt, in der Integration groß geschrieben wird. Das passt."

Tatsächlich ist es dem akribisch arbeitenden früheren Profi Kovac gelungen, einen Teamgedanken zu entwickeln. Dazu hat er seinen Kader fast den ganzen Tag beisammen. Los geht es mit einem gemeinsamen Frühstück gegen 8.30 Uhr, das Ende der Zusammenarbeit kommt oft erst in den Nachmittagsstunden. Nichts will Kovac dem Zufall überlassen, jeder Schritt wird vermessen, kein Training ohne Videoanalyse und Blutabnahme. Seit Kurzem findet nur noch dienstags ein öffentliches Training statt, ansonsten wird hinter verschlossenen Toren geübt.

Kovac lässt nicht locker, zerrt und zieht an den immer gläserner werdenden Spielern, gibt keine Ruhe, fordert, verlangt. "Es muss immer Druck auf die Pipeline", sagt Fredi Bobic. Zuletzt, nach einer peinlichen 1:3-Niederlage in einem Freundschaftskick gegen den Zweitligisten Sandhausen, hat Kovac seinem Team eine mangelhafte Einstellung attestiert: "Das ist nicht akzeptabel." An diesem Samstag kommt nun der FC Bayern. Ob Kovac danach wieder laut wird?

Kein Mensch kann derzeit die wahre Leistungsstärke dieser Mannschaft einschätzen, sie ist eine Wundertüte, ein Überraschungs-Ei. Ansprechenden Vorstellungen daheim gegen Schalke (1:0), Leverkusen (2:1) und Berlin (3:3) stehen furchtbar unnötige Niederlagen auswärts in Darmstadt (0:1) und Freiburg (0:1) gegenüber. Kaum einer hat ein Gefühl für diese Multi-Kulti-Elf, die Große schlägt und gegen Kleine patzt. Und wofür steht diese Mannschaft eigentlich? Wo liegen ihre Stärken? In einer stabilen Defensive? Im Umschaltspiel? Im Ballbesitzfußball?

Von allem zeigt die Mannschaft ein bisschen, mal mehr, mal weniger. Immerhin hat die Eintracht mit dieser unkonventionellen Art schon zehn Punkte auf ihr Konto geschaufelt - und sogar einen Ritterschlag von Bayer Leverkusens Rudi Völler erhalten: Eintracht Frankfurt, sagte der Bayer-Sportchef und gebürtige Hesse, sei für ihn bislang "die größte Überraschung der Saison".

Nach dem Mal-so-mal-so-Start steht den Frankfurtern nun ein heißer Herbst bevor. Nach dem Spiel gegen die Bayern müssen sie in Hamburg und in Mönchengladbach ran, danach kommt der 1. FC Köln. Eine ruhige, unaufgeregte Saison wollen sie spielen in Frankfurt, möglichst fern der fiesen Abstiegsplätze, und wer vom internationalen Geschäft zu träumen wagen sollte, "soll sich einen anderen Verein suchen", empfiehlt Bobic. Bei dem Satz klang er fast schon so, wie Bruchhagen oft klang. Der übrigens hat Bobic zum Einstand seine Eintracht-Klubjacke geschenkt. Sie hängt bei Bobic im Büro. Sie ist ihm zu groß.

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