Vor der Partie gegen Real Madrid:Das wichtigste Spiel des Jahres

Für den FC Bayern geht es nicht nur um den Einzug ins Viertelfinale. Es ist das Schlüsselspiel der Mission von Bayern-Trainer Hitzfeld - wird es gewonnen, bleibt er vielleicht doch.

Klaus Hoeltzenbein

Um 21.12 Uhr, so die offizielle Zeitmessung des FC Bayern für die eigene Internetseite, ,,bog der Mannschaftsbus am Samstagabend nach dem Auswärtsspiel in Berlin auf das Trainingsgelände an der Säbener Straße ein''. Ausgespuckt hat der Bus, häufig auch Der rollende, silberne Tresor genannt, das noch immer Wertvollste im Vereinsbesitz - die Spieler.

Doch nicht etwa, damit diese sich flugs ins Nachtleben zerstreuen konnten, nein, das Flutlicht wurde eingeschaltet, und fortan, so die Zeugen in der Vollmond-Nacht, soll ein reges Treiben zu beobachten gewesen sein. Jene Spieler, die in Berlin nicht am 3:2-Sieg mitwirken durften, tummelten sich eine Stunde lang am Ball, alle anderen gingen ins regenerative Programm: Ausradeln, Kaltwasser-Bäder, Bewegungsbäder, Gespräche und Massagen. Seit 1. Februar trainiert der FC Bayern wieder unter der Leitung von Ottmar Hitzfeld, dem ,,General'', wie ihn die Klubzeitung noch immer nennt - und der Verein ist nachtaktiv geworden.

Ein solch intensives Mitternachtsschwitzen war nicht bekannt aus jener Zeit zwischen 1998 und 2004, in der die Münchner in Hitzfelds erster Amtsperiode elf weitere Titelgewinne zählten mit dem Höhepunkt des Champions-League-Sieges 2001. Und so wussten es die Analytiker des Vereins auch kaum einzuordnen, als der Silberbus Mitte Februar erstmals nächtens in die Säbener Straße einbog - es war ein Samstag, es war 0:1 in Aachen verloren worden, und am Dienstag drauf sollte das Hinspiel bei Real Madrid folgen. In den Medien war von ,,Straftraining'' die Rede, und Trainer-Dino Udo Lattek verbreitete im Fernsehen eine weitere seiner vielen Steinzeit-Theorien, gipfelnd in der Sorge, die Profis könnten nun vor dem Real-Spiel zu wenig Schlaf bekommen. Zwar verloren die Münchner das Hinspiel, aber dafür, dass ihnen kurz vor Abpfiff noch das womöglich eminent wichtige Tor zum 2:3 gelang, hatten sie eine Erklärung anzubieten: ,,Wir hatten in der zweiten Halbzeit im Vergleich zu Real einiges zuzusetzen'', sagte Michael Henke, damals wie heute Hitzfelds Trainerassistent: ,,Das kann damit zusammenhängen, dass wir schneller und besser regeneriert haben.'' Die Nachtschicht, so Henke, sei keine Strafschicht gewesen, sondern war schon Tage vorher geplant als eine Art Modernisierung des Sportbetriebes.

Doch der Fußball hat außer dem Resultat wenig Gewissheiten anzubieten, und so wird sich an diesem Mittwoch, wenn Hin- und Rückspiel addiert sind, auch nicht sagen lassen, welchen Anteil solche Sonderschichten an Sieg oder Niederlage haben. Ebenso wenig, ob es nicht auch unter Felix Magath gelungen wäre, das akut kriselnde Real zu bezwingen. Der Verein und sein Trainer haben sich halbwegs anständig getrennt, Schmutzwäsche wurde kaum gewaschen, und nun sind es Zwischentöne, die darauf hindeuten, dass sich von Magath auf Hitzfeld etwas verändert hat. Beispielsweise, wenn Mark van Bommel, den Hitzfeld zu einem ,,Aggressiv-Leader'' à la Effenberg befördert hat, vor dem Rückspiel sagt, der neue Trainer habe ,,seine Philosophie reingetan; das Taktische hilft uns sicher, er hat viele Details reingebracht, das tut uns gut''. Oder: ,,Wir haben nicht so eine alte Truppe, eher eine junge Truppe, da brauchst du Handgriffe von außen, wenn du in Schwierigkeiten bist.''

Wer an solche Erklärungen einen van-Bommel-Übersetzer ranlässt, der erhält in etwa folgendes Ergebnis: Unter Magath sei zu selten über Taktik geredet worden, über die einfachen Dinge des Spiels, und in kritischen Situationen habe die Hilfe, der Hinweis von der Bank gefehlt. Magaths Philosophie war eine andere: Er gab den hochdotierten Profis ein Höchstmaß an Eigenverantwortung und wunderte sich dann, war gar tief enttäuscht, wenn diese Freiräume nicht genutzt wurden. Am Ende wirkten alle, Mannschaft wie Trainer, sehr einsam.

Nun scheinen sie sich gerade aneinander zu gewöhnen, der Trainer Hitzfeld, der nach einer Burn-out-bedingten Pause von zweieinhalb Jahren mit neuen Ideen, neuer Energie und neuer Klarheit in seinen Interviews (,,Ich bin hier Feuerwehrmann. Das war ich noch nie!'') zu den Bayern zurückgekehrt ist, und diese zutiefst irritierte Ansammlung von Profis - doch schon ist bereits wieder von Trennung die Rede. ,,Hitzfeld-Abschied steht fest'', schrieb der kicker, nachdem Hitzfeld in der FAS erklärte: ,,Ich werde nicht weitermachen.'' Allerdings gab es in diesem Interview auch diesen einen Satz, der zumindest eine Interpretationslücke lässt: ,,Man soll nie etwas ausschließen, doch mein Entschluss steht fest.'' Das war's denn wohl, sagen die einen - typisch Hitzfeld, denken die anderen. Letztere, zu denen wohl auch die Bayern-Führung zu rechnen ist, sehen es so, dass der Trainer die Öffentlichkeit im Augenblick gar nicht anders informieren kann. Zum einen, weil er die sportliche Situation, die dominiert wird durch das Real-Spiel und den Bundesliga-Orientierungslauf am Sonntag gegen Werder Bremen, nicht mit einer wilden Debatte über seine Person belasten will. Zum anderen soll der Fokus auf der Mannschaft liegen. Sie soll wieder merken, dass sie wichtig ist. ,,Der Mythos Bayern lebt noch'', behauptet Hitzfeld, und am Ende der Woche wird er wissen, ob er recht hat.

Hat er recht, so wäre die Verhandlungsgrundlage eine andere. Noch drängt sich der Eindruck auf, als würden sie sich ein wenig belauern, die Bayern und ihr alter, neuer Trainer. Packt er's noch?, fragen sich Hoeneß, Rummenigge, Beckenbauer. Sind sie loyal?, Stimmt die Perspektive?, fragt sich der Trainer. Nach dem Hinspiel in Madrid, beim nächtlichen Bankett, hat der während seiner Auszeit im Schweizer Engelberg lebende Hitzfeld dem Züricher Tagesanzeiger einen Einblick in sein Seelenleben gegeben: ,,Es macht mir Spaß'', verriet er, ,,es macht mir gar mehr Spaß, als ich gedacht habe, ja, es macht mir so viel Spaß, wie ich vielleicht noch nie als Trainer gehabt habe.'' Weil es ein temporärer Job ist? Weil er wisse, dass er im Juni wieder aufhören werde, um als Kommentator zum Fernsehen zurückzukehren? ,,Vielleicht.'' Oder ist der Entscheid gar nicht endgültig, hat der Journalist gefragt, der ihn seit Jahren sehr gut kennt. Hitzfeld: ,,Warten wir das Rückspiel gegen Real ab.'' Er ist überzeugt: ,,Wir gewinnen.'' Und dann?

Wir haben einen Trainer

Real ist das Schlüsselspiel in Hitzfelds Mission, wird es gewonnen, bekommt der Verein noch einmal einen Schub. Dann kommen vielleicht auch Manager Uli Hoeneß und Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge aus der selbstgewählten Deckung. Seit Wochen haben sie klare Aussagen zu Betriebsklima und Perspektive nahezu verweigert. ,,Im Moment ist das hier alles eine Baustelle, und es hat keinen Sinn, Zwischenstände abzugeben'', erklärt Hoeneß, der zur Trainerfrage sagt: ,,Wir werden bis Ende März eine Entscheidung treffen. Basta. Wasserstandsmeldungen sind überflüssig.'' Die Bayern haben gemerkt, dass sie sich sportlich modernisieren müssen, sie haben gemerkt, dass es ein Fehler war, den Verlust von Michael Ballack nur aus eigenen Reihen ausgleichen zu wollen, und es hat weh getan, morgens in den Zeitungen lesen zu müssen, dass die Aufmacher für die Konkurrenz aus Schalke, Bremen oder Stuttgart reserviert wurden.

Gewinnt Bayern gegen Real, und kommen die Münchner in der Liga weiter auf Kurs, wird es für jeden Nachfolger schwer. Hitzfeld, 58, bleibt erster Kandidat, um dem Verein für ein, zwei Jahre die Ruhe zu geben, die nötig ist, um sich sportlich neu zu definieren, um Versäumtes aufzuholen. Ob er's macht? Bald steigt an der Säbener Straße weißer Rauch auf. Und es wird heißen: Wir habeneinen Trainer!

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