Vor den Olympischen Spielen in China:Außer Atem

Ozonwerte werden vertuscht, Fabriken versetzt, Bäume gepflanzt - doch trotz Aktionismus und Trickserei bleibt der Himmel über Peking bedrohlich: "Es ist, als ob man die Athleten mit Gift füttern würde."

Henrik Bork

Peking, im Juli - Irgendwo da unten muss Peking liegen, zu sehen ist es fast nicht. Von hier aus, vom Kohlenhügel, der direkt hinter dem Kaiserpalast die Stadt um 46 Meter überragt, müsste sich eigentlich ein grandioser Ausblick bieten. Schon Chinas Kaiser sind oft hier hochgeklettert, zum "Pavillon des Ewigen Frühlings". Sie genossen von hier aus den Anblick der 9000 gelb glasierten Ziegeldächer ihres Palastes und ließen ihren Blick über die Häuser ihrer Untertanen schweifen. "Atemberaubend" soll der Anblick sein, steht im Reiseführer.

Vor den Olympischen Spielen in China: "Es ist eine feindliche Umgebung": An manchen Tagen hängt der Smog über Peking wie ein nasses Handtuch.

"Es ist eine feindliche Umgebung": An manchen Tagen hängt der Smog über Peking wie ein nasses Handtuch.

(Foto: Foto: Getty)

Heute aber, an diesem heißen Sommertag, hält sich die Olympiastadt dezent bedeckt. Nur das Nordtor des Kaiserpalastes, das Shen Wu Men, das Tor der göttlichen Tapferkeit, ist deutlich zu sehen. Vier Arbeiter in Blaumännern turnen gerade auf dem gelben Dach herum. Noch ein paar Wohnhöfe für Eunuchen und Konkubinen sind erkennbar, dann ist Schluss. Schon die nächste Halle, die Residenz der Ming-Kaiserinnen, verschwimmt im Grau. Ebenso der Rest der Verbotenen Stadt. Zu dicht ist die Dunstglocke aus Smog. Auch die Große Halle des Volkes, keine drei Kilometer Luftlinie entfernt, taucht nur noch in Umrissen auf, wie der Bug eines Öltankers im Nebel. Das Sonnenlicht ist selbst mittags nur schwach und diffus - wie durch eine dicke Milchglasscheibe gesehen. Von wegen ewiger Frühling.

Training mit Atemschutz

Peking hat, weniger als einen Monat vor Beginn der Olympischen Spiele, ein Riesenproblem, und es fängt ausnahmsweise nicht mit einem "T" an (wie Tibet, Taiwan, Tiananmen). Es ist die Luftverschmutzung. An diesem Tag erreicht sie, laut Webseite des Umweltministeriums, den Wert drei auf einer Skala von eins bis fünf. Ab drei besteht eine Gefährdung der Gesundheit, sagt Professor Zhu Tong von der Peking-Universität.

Manche Sportler sind deswegen ein wenig nervös. "Die Verschmutzung in China ist eine Gefahr für meine Gesundheit", hat der äthiopische Langstreckenläufer Haile Gebrselassie schon vor Monaten erklärt und sagte seine Teilnahme am Marathon ab. Damit ist der derzeit weltbeste Marathonläufer aus dem Rennen, und Gebrselassie um die Krönung seiner Karriere betrogen - olympisches Gold in der olympischsten aller Disziplinen. Gebrselassie hat Asthma, und die Pekinger Luft glaubt er seinen Lungen nicht zumuten zu können. Nur die 10.000 Meter will er laufen.

Andere Marathon-Teams wollen nicht aufgeben. Die Amerikaner laufen im Training probeweise mit Atemschutzmasken, in denen ein Aktivkohlefilter steckt. Das Ausmaß der Umweltverschmutzung in Peking sei neu für ihn, sagt David Martin, Atmungsexperte des amerikanischen Marathon-Teams. Er wisse noch nicht, wie er damit umgehen solle. "Es ist eine feindliche Umgebung. Es ist so ähnlich, als ob man die Athleten mit Gift füttern würde."

"Eine leicht reduzierte Leistung ist möglich"

In anderen Teams kursiert der Tipp, das Essen von Orangen sei hilfreich. Mehrere hundert deutsche Athleten haben Trainingsstätten in Japan gebucht, um erst im letzten Moment nach Peking reisen zu müssen. Sportler aus 20 anderen Ländern halten es genauso. Weitere 15 Teams üben in Südkorea, darunter die Schweizer.

Das Internationale Olympische Komitee (IOC) hat angekündigt, dass an besonders schlimmen Tagen Wettkämpfe verschoben werden müssten. Besonders Ausdauersportarten, neben Marathon auch Triathlon oder Radrennen, seien davon betroffen. "Es ist möglich, dass einige eine leicht reduzierte Leistung erbringen", sagte Arne Ljungqvist, Leiter der Medizinkommission des IOC. Es sei sogar möglich, dass Weltrekorde deshalb in Peking nicht gebrochen werden könnten. "Aber bei den Spielen geht es mehr um Wettkämpfe im olympischen Geist als um das Brechen von Rekorden", sagte Ljungqvist.

Selbst IOC-Präsident Jacques Rogge sah sich gezwungen, in Peking zu dem Problem dicke Luft Stellung zu nehmen. "Die Gesundheit der Athleten ist absolut nicht in Gefahr", sagte Rogge im April. Er berief sich dabei auf Messwerte der Pekinger Umweltbehörde. Die aber ist bei ihren Messungen sehr flexibel: Wenn eine ihrer momentan 27 Messstationen zu viel Dreck registriert, wird sie kurzerhand geschlossen. "Die Daten werden manipuliert. China betrügt bei den Werten zur Luftqualität, die es veröffentlicht", sagt Steven Andrews, ein Wissenschaftler der amerikanischen Nichtregierungsorganisation Princeton-in-Asia.

Auf der nächsten Seite: Das große Husten, Tricks und ein paar Verbote.

Außer Atem

Andrews hat die chinesischen Messdaten jahrelang systematisch untersucht. Dabei fiel ihm auf, dass mehrmals Stationen geschlossen wurden. Dies waren jedes Mal solche, die mit besonders hohen Schadstoffwerten den Durchschnitt nach oben trieben. Die Station Qianmen, direkt im Zentrum, unweit der Großen Halle des Volkes: geschlossen. Die Station Chegongzhuang neben einer viel befahrenen Kreuzung: geschlossen. Als Ersatz haben die Chinesen drei neue Stationen aufgestellt, die mehr als 40 Kilometer vor den Toren der Stadt liegen, in den Vororten Huairou, Changping und Shunyi. Da ist die Luft natürlich viel besser, was positiv auf die olympischen Durchschnittswerte durchschlägt.

Das große Husten

Dank solcher und ähnlicher Tricks kann China immer neue Rekorde im Erreichen von "Blaue-Himmel-Tagen" verkünden. Die Medien des sozialistischen Landes haben daraus so eine Art Wettkampf gemacht. "Die Olympiastadt hat im ersten Quartal 67 solcher Tage verzeichnet, 12 mehr als im Vorjahreszeitraum", zitierte China Daily den Direktor der Pekinger Umweltbehörde. Andrews kommentiert die Jubelmeldungen mit Sarkasmus: "Das stimmt vielleicht. Man muss bloß aus der Stadt herausfahren, wenn man die Verbesserungen wirklich spüren will", sagt er.

Chinas Beamte, sonst Weltmeister im Abwimmeln, können das Schließen dieser Messstationen nicht leugnen. Denn sie hatten die Werte selbst im Internet veröffentlicht. Zwar sind die Daten nun rückwirkend aus dem Netz gelöscht worden, doch Umweltschützer hatten sie zuvor kopiert. Daher werden die Schließungen nun verharmlost. "Wenn sich eine Stadt so rasant verändert, dann ist auch eine gelegentliche Anpassung der Messstationen nicht zu vermeiden", sagt Wang Xiaoming vom Messzentrum der Pekinger Umweltbehörde.

Unbestritten ist, dass sich Peking seit zehn Jahren um die Verbesserung der Luft bemüht. Aber seit 1998 ist die Einwohnerzahl der chinesischen Hauptstadt von 12 auf 16 Millionen Menschen gestiegen. Der Lebensstandard und damit der Energieverbrauch sind ebenso rasant gewachsen. Also begannen die Kader der Kommunistischen Partei zunächst damit, einige Kohlekraftwerke zu schließen. Der Verbrauch des vergleichsweise sauberen Erdgases wurde von 300 Millionen Kubikmetern auf 4,7 Millionen Kubikmeter im Jahr gesteigert. Millionen von privaten Kohleöfen wurden überflüssig. Der penetrante Gestank nach Kohle, der früher im Winter über der Stadt hing, hat deutlich nachgelassen. Außerdem hat man fleißig Bäume gepflanzt, seit Peking die Zusage für die Spiele bekam. Ein Teil der Stahlfabrik Shougang ist in die Provinz umgesiedelt worden. Ein paar Dutzend ganz schlimme Verschmutzer, darunter Papier- und Zementfabriken, sind geschlossen worden.

Tricks und ein paar Verbote

Doch in der Boomstadt Peking, deren wirtschaftliche Aufholjagd durch die Olympiabewerbung noch beschleunigt worden ist, gleicht all dies dem Versuch, einen Flächenbrand mit der Gießkanne zu löschen. Während es Fortschritte beim Schwefeldioxid gab, verschlechterte sich die Lage bei anderen Schadstoffen. Von 1998 bis heute hat sich die Zahl der Autos auf Pekings Straßen fast verdreifacht - von 1,16 Millionen auf derzeit 3,29 Millionen. Vor dem "Vogelnest", dem Olympiastadion, staut sich der Verkehr meist auf allen acht Spuren der vierten Ringstraße gleichzeitig.

An windlosen Tagen, wenn die Smogwolke wieder einmal über der Stadt wabert, ist der Dreck nicht nur zu sehen. Man kann ihn auch hören. Die Pekinger packt dann das große Husten und Räuspern. Viele rotzen geräuschvoll auf den Bürgersteig oder aus den Fenstern fahrender Busse. "Bitte nicht spucken", steht auf einem Schild in der Visastelle der Deutschen Botschaft in Peking. Und es dürfte wohl einmalig in der Geschichte der olympischen Bewegung bleiben, dass ein Ausrichter vor den Spielen versucht, seiner Bevölkerung mit einer Erziehungskampagne das Ausspucken abzutrainieren.

Gesund ist diese Luft nicht. Im vergangenen Jahr war Lungenkrebs erstmals die "tödlichste aller bösartigen Krebsarten für Pekinger im Zentrum und in den Vororten", informiert das städtische Gesundheitsbüro. Einem Bericht der Weltbank zufolge sterben aufgrund der Umweltverschmutzung pro Jahr in China 750.000 Menschen einen vorzeitigen Tod, vor allem aufgrund der schlechten Luft. Von den 20 Städten in der Welt mit der schlechtesten Luft liegen 16 in China.

Auf der nächsten Seite: Letzte Hoffnung Gewitter, und in Peking fragt man sich: Wie misst man eigentlich Ozonwerte?

Außer Atem

Für Chinas Städter sind die Autoabgase inzwischen das größte Problem. "Im Sommer stammen 60 Prozent aller Schadstoffe in der Pekinger Luft aus Autoabgasen", sagt der führende chinesische Umweltexperte Zhu Tong von der Peking-Universität. Der Rest des Drecks kommt aus den Schloten von Kraftwerken, von Baustellen und aus den Kaminen der Privathaushalte.

Letzte Hoffnung Gewitter

Chinas Regierung hat auf dieses Problem reagiert, sie haben in diesem Jahr den europäischen Abgasstandard 4 eingeführt. Auch das ist lobenswert für ein Entwicklungsland. Leider werden solche Standards in China aber nicht durchgesetzt. "So eine Maßnahme kann nur langfristig wirken", sagt Professor Zhu vorsichtig. Für die Olympischen Spiele kommt das zu spät. Daher greifen Chinas Behörden nun zu drastischen, temporären Maßnahmen, die in dieser Form nur autoritären Regimen zur Verfügung stehen. Vom 20. Juli an dürfen nur noch die Hälfte aller Autos auf die Straße - an einem Tag diejenigen, deren Kennzeichen mit einer geraden Zahl enden, am nächsten Tag dann die mit einer ungeraden Zahl. Insgesamt wolle die Regierung so 45 Prozent oder rund anderthalb Millionen Autos von den Straßen Pekings verbannen, sagt Zhou Zhengyu vom Olympischen Vorbereitungskomitee.

Außer Atem

Weil aber noch immer die Smogwolke über der Stadt hängt, wird weiter getrickst. Um die Olympiateilnehmer nicht noch mehr zu beunruhigen, wird das schlimmste Gift erst gar nicht gemessen: Ozon. Zwar ist das der Schadstoff, der die Leistung der Athleten am direktesten beeinträchtigen wird. Diese Tatsache hat aber weder die Pekinger Umweltbehörde noch das IOC bewogen, den Athleten während der Spiele brauchbare Ozonwerte zur Verfügung zu stellen. Man hält sich da an ein bewährtes Muster. Auch in Athen bekamen die Sportler vor den Spielen keine Werte. Später hatten die Ausrichter Glück: Die Luft war in Athen wegen des Wetters weit weniger belastet als zuvor befürchtet. Peking hofft nun ebenfalls auf Abendgewitter und klärende Regengüsse, die im August sehr oft über der Stadt niedergehen.

Was jedoch passiert, sollten die Veranstalter Pech haben, war bei den Testrennen zu beobachten, die Peking vergangenes Jahr durchgeführt hat. Jeremy Horgan-Kobelski, ein Mountainbiker aus Bolder, Colorado, war einer der Teilnehmer. Schon zwanzig Minuten nach dem Start bekam er kaum noch Luft, sagte er der Washington Post. "Ich kämpfte eine Weile lang. Du atmest so tief, wie es geht, aber du fühlst, dass deine Muskeln ihren Dienst verweigern." Nach der Hälfte des Rennens gab der Radler auf. "Mein Körper hat Feierabend gemacht", sagte Horgan-Kobelski. Er hielt an und übergab sich.

Wie misst man Ozonwerte?

Die Frage, ob nicht auch Ozonwerte gemessen werden und ob ohne sie die anderen Messungen für das IOC überhaupt viel Sinn machen, mag in Peking niemand beantworten. Man weicht der Frage aus. "Die Regierung hat uns nicht angewiesen, Ozon zu messen", sagt Wang Xiaoming in der Messzentrale. Man halte sich strikt an die Regeln, wenn man bloß Schwefeldioxid, Stickstoffdioxid, Kohlenmonoxid und die Feinstaubpartikel PM10 erfasse, sagt Wang.

Dabei ist es nicht so, als wüsste man in China nicht, wie Ozonwerte gemessen werden. 1998 hatte man es eine Weile lang getan. Doch die Werte waren so hoch, dass man das Experiment schnell wieder einstellte. Stattdessen entschied man sich für eine Vogel-Strauß-Politik. Gründlich zensierte Medien machen es möglich. Was die Bevölkerung nicht weiß, regt sie auch nicht auf.

Und die Marathonläufer? Die werden es schon selber merken, so ungefähr ab Kilometer 27.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: