Volleyball:Ruhepol unter Hitzköpfen

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Am Anfang gab es Abstimmungsprobleme, mittlerweile ist Zuspieler Luke Herr (li.) bestens integriert im Herrschinger Spiel, hier bedient er Luuc van der Ent. (Foto: Hafner/Nordphoto/Imago)

Erstligist Herrsching kann in Spiel zwei den großen VfB Friedrichshafen aus den Playoffs werfen - und erstmals in ein Meisterschafts-Halbfinale einziehen. Eine Schlüsselfigur auf diesem Weg ist Zuspieler Luke Herr.

Von Sebastian Winter

Pokalsiegerbesieger, so nennen sich die WWK Volleys Herrsching jetzt. Klingt gut, natürlich ein wenig nach dem FC St. Pauli, der ja mal den Weltpokalsiegerbesieger erfand, nach seinem Coup gegen den FC Bayern München. Auch faktisch ist dieser Ausdruck völlig richtig, schließlich haben die Oberbayern am vergangenen Samstag den VfB Friedrichshafen auswärts mit 3:2 niedergerungen. Zum ersten Mal haben sie den Rekord-Pokalsieger in der Fremde in die Knie gezwungen, ausgerechnet im ersten Spiel des Playoff-Viertelfinales, was bereits Eingang in die Vereinschronik des Klubs finden dürfte. Nun stehen die Volleyballer vom Ammersee aber vor weitaus Größerem: Gewinnen sie an diesem Freitag auch das zweite Duell der Best-of-three-Serie gegen den VfB (19.30 Uhr, Audi Dome), stehen sie in ihrem ersten Meisterschafts-Halbfinale. Und Friedrichshafen wäre in der Runde der letzten Acht gescheitert, was dem VfB gefühlt in diesem Jahrhundert noch nie passiert ist. "Es wäre ein toller Erfolg", sagt Herrschings Trainer Max Hauser. Natürlich sagt er das.

Mehr als 1000 Tickets seien am Donnerstag schon vorab verkauft gewesen für dieses Spiel, gerade rechtzeitig dürfen wieder so viele Zuschauer wie möglich in den Audi Dome kommen, für die Herrschinger ist auch das ein Segen. Sie wollen ja das Publikum in der Großstadt animieren - und eine bessere und attraktivere Gelegenheit als beim kommenden Playoff-Spiel gegen den neben Berlin größten Namen im deutschen Volleyball gab es bislang nicht. "Also packt Oma, Opa, Kinder, Kollegen, Verwandte und Bekannte ein - und jeden den ihr sonst noch mitnehmen könnt. Es ist Zeit, im Audi Dome Geschichte zu schreiben!", schrieben die Herrschinger auf ihrem Instagram-Kanal. Und selbst Friedrichshafen spricht davon, dass die Herrschinger gerade "auf der Welle" reiten. Die Statistik gibt ihnen recht: Sieben Siegen in diesem Kalenderjahr steht eine einzige Niederlage gegenüber.

Hauser betonte zuletzt immer wieder, dass dies ein Erfolg der ganzen Mannschaft gewesen sei, die sich nach ihrer vergleichsweise enttäuschenden Hauptrunde offenbar gefunden hat. "Wir haben keine Schlüsselfiguren in diesem Jahr, gerade das macht uns so stark", erklärt Herrschings Trainer: "Es macht geradezu Spaß, immer anders aufzustellen, als die anderen denken. Ich finde, wir sind gerade eine unangenehme und unberechenbare Mannschaft."

Trash-Talk, Rudelbildung, kleine Provokationen: Emotionen sind wichtig für die Herrschinger Spieler

Doch einer, der qua Position schon heraussticht aus dem Team, der deshalb auch als Schlüsselfigur gelten muss, ist Luke Herr. Dem Zuspieler aus Three Hills in Kanada gelang gegen Friedrichshafen sein Meisterstück, er glänzte nicht nur als so kluger wie präziser Ballverteiler, sondern auch als seriöser Sprungaufschläger - und als Angreifer mit insgesamt acht (!) Punkten. Als Angreifer?

Normalerweise befördert ein Steller allenfalls mal eine nah ans Netz geratene Annahme per Lob auf die andere Feldseite, doch die Herrschinger praktizieren ein Modell, das Herr in passenden Momenten als Angreifer einbindet. Beispielsweise aus der Abwehr heraus, dann spielt Libero Ferdinand Tille den Ball auf Herr - der vollstreckt. Gegen Friedrichshafen funktionierte das zwei, drei Mal hervorragend. "Luke war am Anfang der Saison selbst total überrascht, dass wir das so machen", sagt Hauser, "inzwischen liebt er es."

Herr, der mit Blocker Luuc van der Ent in Herrsching zusammenwohnt, hat sich erst eingewöhnen müssen am Ammersee. Anfangs lief die Abstimmung mit seinen Angreifern noch nicht so rund, auch mit dem Diagonalspieler Samuel Jeanlys, der sehr hohe Pässe brauchte, die Herr nicht so gerne spielt. Jeanlys ist am Ende der Hauptrunde zurück in seine Heimat gewechselt, mit Jonas Kaminski und Philipp Schumann kommt Herr weitaus besser zurecht. Auch körperlich habe sich Herr deutlich verbessert während der Saison. Für Hauser außerdem ganz wichtig: "Luke ist eher ein ruhiger Pol, was uns auch guttut. Wir haben ja genügend Hitzköpfe in der Mannschaft." Wie Libero Tille, der gerne das Rumpelstilzchen mimt. Oder wie Dorde Ilic, der seinen Blocker-Kollegen Lucas Van Berkel aus Friedrichshafen am Samstag zur Weißglut trieb.

Zugleich ist allen bewusst, dass diese Emotionen, wie schon am Samstag, durchaus förderlich sein können für das Herrschinger Spiel. Trash-Talk, Rudelbildung, kleine Provokationen - all das gab es am Samstag. Luke Herr, der angreifende Zuspieler, hält sich da möglichst raus - um einen kühlen Kopf zu bewahren in einem womöglich erneut sehr hitzigen Spiel.

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