Volleyball:Könige ohne Halle

Volleyball: Klatschend im Lamettaregen: Friedrichshafens Volleyballer feiern ihren ersten Titel seit drei Jahren.

Klatschend im Lamettaregen: Friedrichshafens Volleyballer feiern ihren ersten Titel seit drei Jahren.

(Foto: Norina Toenges/Sports Press Photo/Imago)

Pokalsieger VfB Friedrichshafen gewinnt gegen Lüneburg seinen ersten Titel seit 2019 und versöhnt sich mit seiner bislang geradezu grotesk verlaufenen Saison. Eine neue Heimat am Bodensee hat der Traditionsklub immer noch nicht gefunden.

Von Sebastian Winter, Mannheim

Am Anfang des Volleyball-Pokalfinales in Mannheim, in dem der VfB Friedrichshafen sich durch einen 3:1 (25:20, 17:25, 26:24, 25:23)-Erfolg gegen die SVG Lüneburg zum insgesamt 17. Mal die Krone in diesem Wettbewerb aufsetzte, stand eine Schweigeminute unter gelb-blauer ukrainischer Flagge. Es war dann tatsächlich fast eine Minute lang still, kein störender Applaus, keine Zwischenrufe, immerhin.

Die Volleyballer haben ja auch weit über dieses Endspiel hinaus eine unruhige Woche hinter sich: Erst zögerte der Weltverband FIVB viel zu lange, bis er Russland am vergangenen Dienstag die im Spätsommer geplante Weltmeisterschaft entzog. Dann vermeldete die Volleyball-Bundesliga am Donnerstag, dass sie den United Volleys Frankfurt, die seit Jahren zu den besten vier Männer-Mannschaften gehören, wegen wiederholter Verstöße im wirtschaftlichen Lizenzierungsverfahren sechs Punkte abgezogen hat. Man stehe nicht vor einer Insolvenz, beteuerte der Klub, der prüft, gegen die VBL-Entscheidung rechtlich vorzugehen.

Zwischendrin musste der für den Pokalwettbewerb zuständige Deutsche Volleyball-Verband am Mittwoch bekanntgeben, dass das Finale der Frauen zwischen Allianz MTV Stuttgart und dem Dresdner SC pandemiebedingt ausfällt: Die Corona-geplagten Sächsinnen hatten schlicht zu wenige einsatzfähige Spielerinnen.

So lautete also die düstere Nachrichtenlage vor dem Pokalsonntag, die auch in Mannheim präsent war, auch während des Mittagessens der Funktionäre um DVV-Präsident René Hecht bei Zander und Rinderhüfte. Das Pokalfinale war eigentlich immer ein Feiertag gewesen für die Volleyballer in Deutschland, die sonst nie in einer so großen Halle spielen. Immerhin 3425 Zuschauer kamen diesmal, erlaubt gewesen wären 4000. Als kleinen Ersatz für die Absage bei den Frauen bekamen sie vor dem Männer-Endspiel die Bundesligapartie zwischen Stuttgarts und Wiesbadens Frauen zu sehen. Stuttgart, bislang ungeschlagen in Liga wie Pokal und erstmals ins europäische CEV-Cup-Finale eingezogen, gewann 3:1.

Danach wollte Lüneburg endlich den ersten Titel seiner Vereinsgeschichte gewinnen, zum dritten Mal stand der Klub im Pokal-Endspiel gegen Friedrichshafen - und zum dritten Mal wurden die Niedersachsen Zweiter. Für Friedrichshafens australischen Trainer Mark Lebedew, der die Berlin Volleys zwischen 2012 und 2014 zu drei Meisterschaften geführt hat, war es zugleich in seiner Premieren-Spielzeit am Bodensee der erste Pokaltitel überhaupt.

Der Coach, dessen Frau und Kind in Polen wohnen, bedankte sich vor allem bei Luciano Vicentin, "dem Helden des Tages". Dem 21-jährigen Argentinier gelang beim 25:24 im dritten Satz der entscheidende Einerblock, im vierten Satz verwandelte der Außenangreifer beim 24:23 nervenstark den Matchball - nachdem Lüneburg 18:13 geführt hatte. "Wir haben uns heute in eine Position gebracht, wo wir eine Chance hatten", sagte Trainer Stefan Hübner in Anspielung auf die ersten beiden Finals gegen Friedrichshafen, in denen die Lüneburger völlig chancenlos geblieben waren.

"Wir wollen eine Halle", skandieren die Fans beim Pokalfinale. Und zwar eine in Friedrichshafen

Für die Häfler, wie sie sich nennen, war es auch der ersehnte erste Titel seit 2019; noch dazu in einer geradezu grotesk anmutenden Saison. Spielerisch lief es schlecht wie lange nicht für den Rekord-Pokalsieger: frühes Aus in der Champions League, fast schon erschreckende Leistungen in der Liga - auch weil der Klub im Oktober für vier Wochen nicht einmal eine feste Trainingshalle zur Verfügung hatte.

Alle Schwierigkeiten begannen mit der Stilllegung der ZF-Arena wegen Baumängeln im Herbst 2020, der VfB wich auf das Messegelände der Stadt aus, auch weil die Hallen dort pandemiebedingt quasi leer standen. Doch dann kam der Sommer 2021, das Virus schien besiegt, das Messegeschäft zog an, und die Volleyballer mussten sich eine neue Bleibe suchen. Sie fanden sie in der Neu-Ulmer Multifunktionsarena, mehr als 100 Kilometer und eineinhalb Busstunden nördlich von Friedrichshafen.

Zum ersten Heimspiel kamen 500 Zuschauer, VfB-Geschäftsführer Thilo Späth-Westerholt war damals regelrecht erschüttert. Am Morgen nach dem Pokalfinale, an dem er schon wieder in Friedrichshafen im Büro saß, sagte er: "Das ist jedes Mal wieder ein Auswärtsspiel. Die Identifikation geht dort völlig verloren." Auch die mit den Fans, die in Mannheim den Pokalsieg besangen, aber nicht nur ihn: "Wir wollen eine Halle", skandierten sie. Und zwar eine in Friedrichshafen. Der Umzug nach Ulm ist ja auch eine finanzielle Belastung, rund 20 000 Euro Mehrkosten hat der VfB dadurch samt Hallenmiete - pro Spiel.

Volleyball: Australier im Glück: Friedrichshafens Trainer Mark Lebedew (li.) freut sich über seinen ersten Pokaltitel und lässt sich von den Co-Trainern herzen.

Australier im Glück: Friedrichshafens Trainer Mark Lebedew (li.) freut sich über seinen ersten Pokaltitel und lässt sich von den Co-Trainern herzen.

(Foto: Tom Bloch/Beautiful Sports/Imago)

Aber weil eben so vieles mit vielem verbandelt ist im 60 000-Einwohner-Städtchen Friedrichshafen am Bodensee, ist die Sache heikel und auch kompliziert. Der Oberbürgermeister ist Aufsichtsratsvorsitzender der Messe Friedrichshafen GmbH, das Geschäft soll brummen, und die einst heiße Liebe der Politik zu den Volleyballern ist mit den Jahren ein wenig abgekühlt. Die Entscheider zieren sich, dem größten sportlichen Aushängeschild der Stadt, dem Triple-Sieger von 2007, der den bislang einzigen Volleyball-Champions-League-Titel nach Deutschland holte, eine neue Heimat auf dem Messegelände zu geben. "Wir sind im Austausch mit der Stadt und der Messe und beschäftigen uns mit allen Optionen", sagt Späth-Westerholt. Es sind genau zwei: Neu-Ulm oder doch zu Hause in einer Messehalle Obhut finden.

An diesem Samstag trifft Friedrichshafen aber erst einmal im Playoff-Viertelfinale auf Herrsching - in Neu-Ulm. "Es ist noch alles möglich", sagt Lebedew, der VfB-Trainer. Auch in diesem, wenn man so will, einzigen bayerischen Derby der nun beginnenden Endrunde.

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