Süddeutsche Zeitung

Volleyball:Japan liebt Louisa Lippmann

  • Louisa Lippmann ist bei der Volleyball-WM in Japan zur neuen Identifikationsfigur der deutschen Mannschaft gereift - mit Fabelwerten, die die internationale Konkurrenz übertreffen.
  • Sie hat asiatische Fans, die Schilder mit ihrem Namen hochhalten.
  • Nach der WM wird sie ironischerweise die Bundesliga verlassen - Richtung Italien.

Von Sebastian Winter

Wer ganz exakt wissen möchte, wie groß Louisa Lippmann ist, der braucht erst gar nicht ins Internet zu schauen. 1,89 - 1,90 - 1,91: Überall stehen unterschiedliche Zahlen. Dieses Detail mag unwichtig sein, aber es geht ja auch darum, ob Lippmann nun die aktuell längste deutsche Volleyball-Nationalspielerin ist oder nicht, mit 1,91 Metern wäre sie es. Also fragt man sie selbst, am Telefon, Dienstagabend kurz nach 19 Uhr Ortszeit in Nagoya, Japan. Ein paar Minuten hat die 24-Jährige zwischen Videoschulung und Training bei dieser Weltmeisterschaft, bei der die Deutschen mit aktuell fünf Siegen in acht Spielen überraschend stark sind und nun zum Abschluss gegen die Dominikanische Republik (Donnerstag, 6.25 Uhr) um einen Top-Ten-Platz kämpfen. Lippmann sagt: "1,91 schaffe ich nicht, aber zwischen 1,89 und 1,90 kommt schon hin. Je nachdem, ob ich morgens oder abends gemessen werde, morgens, heißt es, ist man größer." Aha.

Was man sagen kann: Es gibt bei dieser WM Spielerinnen, die Lippmann fast um einen Kopf überragen, allen voran Alba Hernandez, die Puerto Ricanerin, auf die Lippmann am Mittwoch traf (Deutschland gewann 3:1). Sie misst schlappe 2,07 Meter. Drei weitere Frauen liegen jenseits der zwei Meter. Lippmann ist im internationalen Vergleich also eher Durchschnitt in dieser Kategorie. Aber die 24-Jährige hat in diesen Wochen schon eines geschafft: Sie ist über alle anderen hinausgewachsen, als aktuelle Topscorerin und beste Aufschlägerin des Turniers.

Selbst Weltklassespielerinnen wie Polina Rahimova aus Aserbaidschan oder die Russin Natalija Gontscharowa lässt Lippmann mit bislang 165 Punkten, davon zahlreiche Asse, hinter sich. Als die Deutschen am Sonntag Brasilien, den Olympiasieger von 2008 und 2012, erstmals bei einer WM bezwangen, machte Lippmann alleine 36 Punkte - ein Fabelwert. "Ich habe heute erfahren, dass das meine Bestleistung im Nationalteam war", sagt Lippmann stolz am Telefon. Sie sagt auch: "Ohne unsere stabile Annahme und das gute Zuspiel würde das nicht gehen."

In Japan, diesem volleyballverrückten Land, hat die gebürtige Herforderin die perfekte Plattform gefunden, um auf sich aufmerksam zu machen. Lippmann ist inzwischen nicht mehr nur die sprunggewaltige Schlagmaschine, die Spiele auf der Diagonalposition entscheiden kann - gewissermaßen als weiblicher, noch sehr junger Gegenpart zu Georg Grozer. Sie hat zugleich geschafft, das zu werden, was es im Volleyball zumindest in Deutschland sehr selten gibt; zumal bei den Frauen, die den Teamgedanken noch stärker in den Fokus stellen als die Männer: Lippmann ist mit rasender Geschwindigkeit zur Führungsspielerin und Identifikationsfigur im deutschen Team geworden, ihr Gesicht ziert internationale Werbekampagnen ihrer Sponsoren, für die sie auch schon mal nach London fliegt. Das Volleyball-Magazin titelte Ende 2017: "Deutschlands neuer Star."

In Japan war Lippmann in jedem der sieben Spiele für die DVV-Auswahl beste Scorerin ihrer Mannschaft, sie hat asiatische Fans, die Schilder mit ihrem Namen hochhalten. Sie kann hart schlagen oder weiche Lobs setzen und gilt als Scharnier im Team, das Bundestrainer Felix Koslowski stark verjüngt hat - neun Spielerinnen hatten vor dem Turnier noch keine WM-Erfahrung. Wie übrigens Lippmann: 2014 feuerte sie ihre Kolleginnen als Ersatzfrau noch von der Bank aus an.

Zwischen damals und heute liegen Welten. Das liegt auch daran, dass die einstige Leichtathletin nach ihrem Quereinstieg ins Volleyballinternat Münster, mit 16, und harten Lehrjahren beim Erstligisten Dresden 2016 in Schwerin ihr Traumumfeld gefunden hatte. Koslowski, der in einer Doppelrolle das Nationalteam und Schwerin trainiert, ließ sie immer spielen, der Klub setzte Vertrauen in sie. Lippmann zahlte es zurück, führte Schwerin 2017 und 2018 zur Meisterschaft. Die Ironie der Geschichte: Nach der WM, in ein paar Tagen schon, reist sie nach Italien, zu ihrem neuen Arbeitgeber Bisonte Firenze. Lippmann ist also auch über Schwerin und die deutsche Ligaspitze hinausgewachsen. Sie hätten sie gerne noch ein Jahr gehalten in Mecklenburg-Vorpommern, aber selbst Koslowski, ihr Förderer, hält den Wechsel für den richtigen Schritt zur richtigen Zeit.

Dort erwarten sie nicht nur ein professionelleres Umfeld, stärkere Mannschaften und nach wie vor eine der besten Ligen der Welt, sondern auch höhere Gehälter, als sie in Deutschland gezahlt werden. Auf die Pizza freut sie sich schon jetzt, den Reis in Nagoya kann sie langsam nicht mehr sehen. Und natürlich freut sie sich auf Florenz, auf die Wohnung dort, die sie überhaupt noch nicht kennt. Nach dem für Samstag geplanten Rückflug aus Japan hat Lippmann gerade einmal drei Tage Zeit, um in Werder bei Potsdam ihre Familie und ihren Freund, den ehemaligen Handballprofi Hannes Lindt, zu besuchen. Und noch einmal mit Einstein zu schmusen, ihrem Hund.

Noch aber hat Lippmann einen kleinen Auftrag in Nagoya, wo sie die Masse an Hybridautos auf den Straßen genauso fasziniert wie die Höflichkeit der Menschen. Zwei Spiele möchte sie noch gewinnen mit Deutschland, das nächste gegen Puerto Ricos Riesin Alba Hernandez.

Louisa Lippmanns Vorbild ist kein Geringerer als LeBron James, der Über-Basketballer. Es ist nicht allzu lange her, ein Jahr etwa, da trug sie noch Socken mit seinem Konterfei - es war der Running Gag im Team. "Den Tick habe ich mittlerweile abgelegt", sagt Lippmann: "Ich bin erwachsen geworden."

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Quelle:
SZ vom 10.10.2018/ska
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