Süddeutsche Zeitung

Volleyball :Hohe Hürde in Ningbo

Zwei Turniere, kaum Illusionen: Die Volleyballerinnen starten in China in die Qualifikation für Olympia. Um 2020 endlich mal wieder dabei zu sein, müssten sie aber eines der beiden Turniere gewinnen - jeweils gegen übermächtige Teams.

Von Sebastian Winter, Ningbo/München

Es ist eine der aufwendigsten Reisen für die deutschen Volleyballerinnen in diesem Jahr - und eine kaum zu überwindende Hürde, die die Mannschaft von Trainer Felix Koslowski vor sich hat: Montagnacht ist sie - gerade erst von einem Vorbereitungsturnier in Kaliningrad zurückgekehrt - von Frankfurt aus nach Schanghai gereist, und von dort mit dem Bus weiter in die rund 200 Kilometer entfernte Millionenstadt Ningbo.

Die südlich von Schanghai gelegene Metropole ist von Freitag bis Sonntag Schauplatz eines der sechs über die ganze Welt verteilten Olympia-Qualifikationsturniere für die Volleyballerinnen an diesem Wochenende. Der Modus ist hart, nur die jeweiligen Gruppensieger erhalten das Ticket für Tokio, und die Deutschen treffen ausgerechnet auf Olympiasieger China. Auftaktgegner am Freitag sind außerdem die starken, vom ehemaligen Bundestrainer Giovanni Guidetti gecoachten Türkinnen, gegen die Koslowskis Team länger nicht gewonnen hat. Die DVV-Auswahl gilt wie Tschechien als Außenseiter, was auch Sportdirektor Christian Dünnes weiß, der qua Amt trotzdem optimistisch ist: "Wir sind nicht nach China gereist, um auf dem dritten Platz zu landen, sondern die Olympia-Qualifikation zu schaffen."

Das Gute an ihrem fast aussichtslosen Unterfangen ist, dass die Deutschen eine zweite Chance bekommen, sollten sie in China nicht Erster werden. Das Schlechte: Es ist erneut eine sehr kleine Chance. Im Januar messen sich die verbliebenen besten acht europäischen Nationen, mögliche starke Gegner sind Polen, Belgien, Aserbaidschan oder erneut die Türkei. Wieder qualifiziert sich nur der Sieger für die Olympischen Spiele. Sollten die Deutschen auch dort scheitern, müssten sie wie schon 2008, 2012 und 2016 zuschauen. Die DVV-Männer bangen übrigens noch mehr, sie müssen im Januar ihre einzige Chance für Japan nutzen.

Dieser August läutet jedenfalls ganz entscheidende Monate für Koslowskis Mannschaft ein, zumal in drei Wochen auch noch die Europameisterschaft in Polen, der Slowakei, der Türkei und Ungarn beginnt. Dort kann es noch zu gewaltigen Verschiebungen in der Rangliste kommen, derzeit planen die Deutschen aber als sechstbeste europäische Nation fest für das Achterturnier im Januar.

Den EM-Zweiten von 2011 und 2013 trifft ausgerechnet in dieser Phase der Ausfall der jungen Außenangreiferin Hanna Orthmann (Oberschenkelprobleme), außerdem hat die erfahrene Stammlibera Lenka Dürr vergangene Woche völlig überraschend ihren sofortigen Rücktritt aus dem Nationalteam verkündet, weil für sie die Doppelbelastung Vereinsvolleyball/DVV-Auswahl nicht mehr tragbar erschien. Der unglückliche Zeitpunkt ihres Rücktritts hat auch die Verantwortlichen nicht gerade begeistert, Dürrs Platz besetzen nun Anna Pogany (Schwerin) und die erst 19-jährige Linda Bock (Münster). Bereits im vergangenen Jahr hatte Kapitänin Maren Fromm aufgehört, Koslowski versucht nun, den Umbruch in dieser sensiblen Phase, in der besonders viel Druck auf der Mannschaft lastet, möglichst sanft zu moderieren. Mit sieben Siegen aus 15 Spielen bei der Nations League im Sommer konnte Koslowski ganz gut leben, zugleich hat der Verband ein neues B-Team ins Leben gerufen, das gerade bei der Universiade in Neapel Fünfter wurde. Aus diesem Talentpool nimmt Koslowski Nele Barber (Schwerin), Bock, und die ebenfalls 19-jährigen Camilla Weitzel (Dresden) und Natalie Wilczek (Potsdam) nach Ningbo mit.

Das ist ein durchaus mutiger Schritt bei all den Unwägbarkeiten, aber die deutschen Frauen haben in China ohnehin nicht viel zu verlieren. Weniger jedenfalls als im Januar beim europäischen Qualifikationsturnier. Auf Hauptangreiferin Louisa Lippmann, die sich im Herbst 2018 bei der Weltmeisterschaft in Japan zu einer der besten Angreiferinnen des Turniers entwickelt hat, wird auch deshalb viel Verantwortung lasten, obwohl auch Lippmann erst 24 Jahre alt ist. Sie gilt aber als eine der Identifikationsfiguren der neuen Generation, die Koslowski gerade auf der internationalen Bühne präsentiert.

Das Beilun Sports and Arts Centre, wo am Freitag das schon vorentscheidende Spiel gegen die Türkei ansteht, ist übrigens keine unbekannte Halle für die DVV-Auswahl. Bereits zum Abschluss der Nations League im Juni spielte sie in Ningbo, sie sind jetzt wieder im selben Hotel untergebracht, kennen also die Bedingungen vor Ort. Die Deutschen haben allerdings nicht allzu gute Erinnerungen an den Spielort: Gegen Chinas Zweitauswahl verloren sie damals 0:3.

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SZ vom 02.08.2019
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