Volleyball-EM:Tutti Frutti

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Die deutschen Volleyball-Männer haben ihre historische Silbermedaille bei der EM auch ihrem neuen, aggressiven Spielstil zu verdanken - und einer kindlichen Freude, die der Bundestrainer an der Seitenlinie vorlebt.

Von Sebastian Winter, Krakau/München

Lukas Kampa ist ein gewiefter Taktiker, das zeigte sich auch nach dem so bravourös erst im Tiebreak verlorenen Europameisterschafts-Finale gegen Russland. Wie seine Kollegen tanzte sich Deutschlands Kapitän und Zuspieler in Krakaus Gewölbekeller-Club Frantic in der Nacht auf Montag die Traurigkeit aus der Seele. Oben ohne waren sie am Schluss, auch Bundestrainer Andrea Giani, 47, war inmitten der Nabelschau - und zeigte zehn Jahre nach dem Ausklang seiner Weltkarriere als Spieler auch in körperlicher Hinsicht bella figura. Kampa jedenfalls, der Mann mit den so lustig zum Sumoringer-Zopf gebundenen Locken, musste nicht abrupt um 4 Uhr zum Flieger aufbrechen, der die Deutschen in aller Herrgottsfrühe mit Silber, ihrer ersten Medaille in der EM-Historie, nach Hause flog. Er schlief aus und ließ sich später von seiner Familie gen Heimat chauffieren. Im Auto sagte Kampa am Telefon: "Wir haben Blut geleckt gestern. Und wir haben eine Mannschaft, die noch Jahre zusammenspielen kann. Vielleicht sogar bis Tokio 2020."

Der Außenseiter hatte die mächtigen Russen nach ängstlichem Beginn mit seiner Angriffs- und Aufschlagwucht zunächst beeindruckt, später verwirrt und am Ende des vierten Satzes (25:17) völlig ratlos werden lassen. Bis zum Finale hatte der neue Europameister ja keinen einzigen Satz verloren. Georg Grozer (27 Punkte) aber gewann nach seiner segensreichen, von Giani forcierten Rückkehr ins deutsche Nationalteam das Duell der brachialen Scorer gegen Russlands Superstar Maxim Michailow (19) deutlich. Grozers Aufschlag-Assen, von denen es einige gab, fehlte eigentlich nur noch der Feuerschweif.

Alphatiere und Debütanten, eine Einheit: Deutschlands Volleyballer feiern nach der Finalniederlage gegen Russland. (Foto: Tomasz Jastrzebowski/imago)

Es war aber nicht nur Grozer, zu dem die jungen deutschen Spieler aufschauen wie zu einem König, der in diesem denkwürdigen Finale eine Weltklasse-Leistung bot. Ob Kampa, der mit seinem mutigen Zuspiel oft den gegnerischen Block aushebelte, Christian Fromm mit seinem Mut im Außenangriff, der standhafte Mittelblocker Marcus Böhme, der so reaktionsstarke Libero Julian Zenger oder Einwechselspieler Simon Hirsch, der immer wieder sein Aufschlagtalent bewies: Sie alle boten Russland ein nicht erwartetes Spiel auf Augenhöhe. Aber einer wuchs besonders über seine so schon langen 2,11 Meter hinaus: Tobias Krick. Der 18-jährige Blocker spielt erst seit zwei Jahren in der Bundesliga, in Polen gab er sein EM-Debüt. Giani schenkte ihm die ganze Zeit über das Vertrauen, zurecht, denn Krick trug dazu bei, dass Deutschland ohne eine Niederlage ins Endspiel einzog. Dort stand der junge, ungelenk wirkende Krick dann Artem Volvich gegenüber, diesem grimmigen, hakennasigen Riesen, dessen Fingerspitzen im Sprung den Ring eines Basketballkorbes locker einen halben Meter unter sich lassen. Und Krick schlug dem Russen die Bälle nur so um die Ohren, als zweitbester Scorer der DVV-Auswahl. Was nichts daran änderte, dass Michailow im fünften Satz die Deutschen mit dem Matchball zum 2:3 besiegte.

Nach der verpassten WM-Qualifikation und dem verfehlten Aufstieg in der World League ist EM-Silber trotzdem ein immenser Erfolg - auch für den neuen Bundestrainer Giani. Der italienische Rekordnationalspieler impfte der deutschen Mannschaft binnen vier Monaten einen neuen Spielstil ein. Statt wie sein Vorgänger Vital Heynen auf Fehlervermeidung zu setzen, fordert Giani unbändige Aggressivität in Aufschlag und Angriff. "Er akzeptiert Fehler, duldet aber keine harmlosen Schläge", sagt Kampa. Giani glaubt, dass Weltklasse-Teams nur durch permanenten Druck bezwungen werden können. Und noch durch etwas anderes: unbändigen Teamgeist - und die Freude am Spiel. Giani selbst lebte das im Finale vor, als er vor dem fünften Satz im Spielerkreis keine taktischen Anweisungen gab, sondern wie ein kleines Kind herumsprang, feixend und lachend und sich freuend über den erreichten Tiebreak. Man solle den Trainer jetzt bloß nicht falsch verstehen, berichtete Kapitän Kampa: "Giani ist kein Kasper, das Morgentraining vor dem Halbfinale hat er fast abgebrochen, weil er sauer über das Gezeigte war." Er hat den mitunter sehr braven und zur Verkrampfung neigenden deutschen Volleyball-Männern einfach sehr viel von seiner Leichtigkeit geschenkt.

Schon Anfang Februar deutete sich das an. Giani fuhr gerade im Auto alleine gemütlich durch Deutschland - seine Kennenlern-Reise - und machte auch in München Station, in einem gemütlichen Lokal im Osten der Stadt. Er plauderte über seine Familie, seine Frau, die beiden Kinder, mit denen er in Parma wohnt; über diese markante graue Strähne, die er seit fast 20 Jahren im dichten, schwarzen Haar trägt ("natura") - und über seine neue Mannschaft. "Es geht nicht nur um Teamgeist, sondern um eine bestimmte Identität: Dass die Spieler sich zugehörig fühlen", sagte Giani.

So hat er sieben EM-Debütanten, wie Krick, mit Alphatieren wie Grozer zu einer Einheit verschmolzen, die fast den EM-Titel gewann. Und die nun ein schwieriges Jahr vor sich hat; als WM-Zuschauer kann sie nur in der Weltliga glänzen. Im Jahr darauf ist wieder EM. Giani will dann Erster werden - und gerne wieder ein wenig herumkaspern an der Seitenlinie.

© SZ vom 05.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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