Volleyball-EM:Der Sommer der Veränderungen

LIPPMANN Louisa 11 Team Deutschland mit POLL Jana 5 und WEITZEL Camilla 21 Volleyball Europame

Die Pyramide der Unüberwindbaren: Die deutschen Volleyballerinnen präsentieren sich bei der EM als verschworene Einheit.

(Foto: Laci Perenyi/imago)

Fünf Spiele, fünf Siege: Deutschlands Volleyballerinnen müssen sich bei der Europameisterschaft erst noch an die neue Favoritenrolle gewöhnen.

Von Ulrich Hartmann, Bratislava/München

Nach fünf Siegen in fünf Gruppenspielen blickte Felix Koslowski beim Frühstück am Donnerstagmorgen "in sehr leere und sehr müde Gesichter". Beunruhigt hat das den Bundestrainer der deutschen Volleyballerinnen nicht - er kennt die Gründe. Fünf Partien binnen sechs Tagen hatten seine Spielerinnen bestritten. Sie waren ganz schön kaputt, aber auch ganz schön glücklich. Sie hatten bei der Europameisterschaft nicht einfach nur fünf Spiele gewonnen, sondern eines davon sogar gegen Rekord-Europameister Russland. Favoriten-Bezwingerinnen dürfen beim Frühstück auch mal müde sein, zumal sie nun bis Sonntag Zeit haben, sich zu erholen. Dann geht es im Achtelfinale gegen Slowenien. "Ein machbarer Gegner", sagt Koslowski.

In der Ondrej-Nepela-Arena wird normalerweise Eishockey gespielt, aber benannt ist die Sporthalle in der slowakischen Hauptstadt Bratislava nach einem früheren Eiskunstläufer. Das Rustikale vom Eishockey und das Filigrane vom Eiskunstlauf haben die deutschen Volleyballerinnen auf stumpfem Boden bislang in nahezu perfekter Art vereint, jedenfalls singt Koslowski, 35, eine Hymne auf die Fähigkeiten seiner jungen Mannschaft: "Wir haben in vielen Elementen sehr gut gespielt", sagte er: "Wir waren in Aufschlag und Annahme konstant und haben in der Block-Arbeit zugelegt, wir haben gegen die physisch stärkeren Russinnen oft sogar zu dritt geblockt, und wir sind im Angriff variabler geworden, wir spielen schneller und aggressiver durch die Mitte." Am meisten beeindruckt habe ihn allerdings, "dass die Mannschaft das alles mit so großer Konstanz heruntergespielt hat - auch nach dem Sensationssieg gegen Russland."

Es ist nämlich so: Die deutsche Volleyball-Frauenmannschaft ist gerade in einem Umbruch. Umbrüche sind immer gut für die Zukunft, aber in der Gegenwart gestalten sie sich oft schwierig. Die deutsche Mannschaft ist darum mit überschaubaren Erwartungen zu einer EM gefahren, die in der Slowakei, der Türkei, Ungarn und Polen ausgetragen wird. Koslowski weiß, dass seine im Schnitt knapp 24 Jahre junge Mannschaft eine gute Perspektive hat, aber er war sich nicht sicher, ob sie ihr Talent schon jetzt würde demonstrieren können. "Diese Mannschaft hat ein Riesenpotenzial, sie kann Medaillen gewinnen", sagte er auch am Donnerstag und klang noch ein bisschen überzeugter als zuvor. Er sagte aber auch: "Noch fehlt es uns an Erfahrung, und wir werden jetzt sehen, ob wir das kompensieren können." Schwirrt der Medaillentraum also doch schon durch die Köpfe? Koslowski sagt: "Ich weiß nicht, ob es dieses Jahr schon reicht."

Fürs Achtelfinale gegen Slowenien stehen die Chancen gut. Gegen den 20. der europäischen Rangliste ist Deutschland als Sechstplatzierter, zumal in dieser Form, klar favorisiert. Dadurch rückt das Minimalziel Viertelfinale in greifbare Nähe. Als großen Erfolg würde ein Aus in der Runde der letzten Acht mittlerweile aber vermutlich niemand mehr feiern wollen. Schon bei den EM-Endrunden 2015 und 2017 schied man im Viertelfinale aus. Die Sehnsucht ist groß, nach EM-Silber 2011 und 2013 mal wieder Edelmetall zu gewinnen.

Die Stamm-Sechs, also jenes halbe Dutzend Spielerinnen, das in den fünf Gruppenspielen maßgeblich auf dem Feld stand, scheint für Medaillenziele durchaus gewappnet zu sein. Louisa Lippmann, 24, die zuletzt in Florenz spielte und bald nach Shanghai wechselt, war mit 77 Punkten die effektivste deutsche Spielerin. Ihr folgen mit 68 Punkten Jennifer Gerties, 25, die aus Schwerin zum italienischen Meister Conegliano wechselt, und mit 61 Punkten die 31-jährige EM-Debütantin Jana-Franziska Poll, die aus Stuttgart nach Aachen umzieht. Es ist ein Sommer der Veränderungen für die besten deutschen Volleyballerinnen. Ihrem Bundesligaklub Dresden treu bleibt Camilla Weitzel, 19, die mit neun direkten Block-Punkten und mit zehn Assen in diesen beiden Statistiken die beste Deutsche in den fünf Spielen war.

"Camilla spielt ihre erste EM mit einer unglaublichen Selbstverständlichkeit auf beeindruckend hohem Niveau", sagte Koslowski, lobte aber insgesamt auch "das Team hinter dem Team". Über Lippmann, seine beste Spielerin, sagte er: "Louisa spielt eine überragende EM - ohne sie hätten wir nicht solch gute Ergebnisse erzielt."

Den Spielerinnen werden die Komplimente ihres Trainers ganz sicher zugetragen werden. Es liegt jetzt an ihnen, das Beste draus zu machen.

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