Anton Brehme hat am Mittwochabend einen Eindruck davon bekommen, wie groß die Volleyballbegeisterung in Italien, seiner neuen Wahlheimat, ist. 2000 Zuschauer verfolgten das gewiss nicht als Straßenfeger etikettierte Auftaktspiel der deutschen Männer bei der Europameisterschaft gegen Estland im Pala Barton von Perugia. In vielen anderen Ländern hätten sich wohl ein paar hundert Fans bei diesem Anlass in der Halle verloren.
Für Brehme, beim überzeugenden 3:0 (25:22, 25:19, 25:19)-Erfolg mit drei Blocks, starken Aufschlägen und Angriffen neben dem ewigen Topscorer Georg Grozer und Moritz Reichert einer der besten Deutschen, dürfte dieser Zuspruch in der näheren Zukunft zum Alltag gehören: Denn von Herbst an spielt der 24-Jährige, der bisher beim deutschen Vorzeigeklub Berlin Recycling Volleys angestellt war, in Modena und damit in einer der besten und lukrativsten Ligen der Welt. Brehme steht zugleich für die nachrückende deutsche Spielergeneration bei dieser Vier-Länder-EM in Italien, Nordmazedonien, Bulgarien und Israel.
Der Umbruch im Team ist längst nicht abgeschlossen, noch ziehen Grozer, der 38-jährige Haudrauf des deutschen Volleyballs, der nach langer Pause ins Team zurückgekehrt ist, und Zuspieler Lukas Kampa, 36, die Fäden. Auch Denys Kaliberda und Christian Fromm, zwei weitere Spieler der alten Generation, stehen wieder im Kader, wenn auch nicht in Schlüsselrollen. Der Respekt vor den Senioren ist noch immer allgegenwärtig. "Ich war ziemlich aufgeregt, aber es hat Spaß gemacht, auch mit Georg wieder zu spielen", sagte Brehme nach dem Sieg gegen Estland.
Dass die Auswahl des noch recht jungen Trainers Michal Winiarski ohne Grozer und Co. noch nicht ausgebufft genug ist, hat im Sommer die Nations League gezeigt. Drei Siege in zwölf Spielen bedeuteten Platz elf bei diesem über den Globus verteilten mehrwöchigen Treffen der besten Nationalteams. Das war nicht der Anspruch der Deutschen, die ohnehin als Weltranglistenfünfzehnte der Elite ziemlich hinterherhecheln.
Das Olympia-Qualifikationsturnier Ende September ist quasi unlösbar für die Deutschen
Die EM nimmt nun eine Schlüsselrolle ein auf dem Weg Richtung Olympische Spiele in Paris, Grozers wohl letztem sportlichen Ziel. 2016 in Rio und 2021 in Tokio hatten die deutschen Männer und Frauen Olympia verpasst, das diesjährige Qualifikationsturnier Ende September, also nur zwei Wochen nach dem EM-Finale, gilt als quasi unlösbar für die DVV-Männer. Sie treffen dort unter anderem auf Weltmeister Italien, den Olympiazweiten Brasilien und weitere schwierige Gegner - und nur zwei Teams erhalten dort das Ticket.
Daher müssen sie wohl ihre zweite (und letzte) Chance nutzen. Diese führt über die Weltrangliste, über die im nächsten Jahr fünf Startplätze für Paris vergeben werden. Grozer und seine Teamkollegen müssen sich dort dringend nach vorne arbeiten. Je besser also die EM-Platzierung, desto mehr Punkte gibt es für die Spiele.
Am Freitag und am Sonntag warten auf diesem Weg in der Schweiz und in Belgien zwei weitere EM-Pflichtaufgaben auf die DVV-Auswahl, im letzten Vorrundenspiel trifft sie auf Italien. Es ist ein Gegner, auf den sich Anton Brehme ziemlich freuen dürfte.