Volleyball:Der Traum lebt

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Fassungslosigkeit in den Gesichtern: Jori Mantha (Mitte) trauert Herrschings vergebenen Chancen nach. (Foto: Felix Schlikis/Lobeca/Imago)

Herrschings Volleyballer verlieren auch ihr fünftes Pokal-Halbfinale binnen sechs Jahren - von einem Trauma will ihr Trainer Max Hauser dennoch nichts wissen. Beim 2:3 in Lüneburg werden aber ihre Probleme im Mittelblock und Diagonalangriff offenbar.

Von Sebastian Winter

Ferdinand Tille ist im Grunde seines Herzens ein fairer Sportsmann, man hat das auch wieder am Mittwochabend gesehen. Die WWK Volleys Herrsching kauerten nach dem Matchball an der Werbebande, sie wollten kaum die Hände heben zum Abklatschen mit ihrem Trainer Max Hauser. Der auf dem Feld oft impulsive Tille diskutierte danach noch ein wenig mit den Schiedsrichtern, wie er das öfter macht, während die Spieler der SVG Lüneburg ihren Einzug ins DVV-Pokalfinale feierten. Aber diesmal lobte er die Unparteiischen nach eigener Aussage "für die Wahnsinnsleistung", was auch nicht ironisch gemeint war. Danach ging Tille zum Gegner, gratulierte, umarmte manchen Kontrahenten. Der weit gereiste Libero weiß ja, was es bedeutet, ins Endspiel einzuziehen. Er hat es selbst 2009, 2010 und 2011 mit Generali Haching gewonnen. Am Tag nach der einer Berg- und Talfahrt gleichenden 2:3 (30:28, 19:25, 25:20, 18:25, 10:15)-Niederlage sagte der 33-Jährige schlicht: "Wir waren einfach nicht gut genug im vierten und fünften Satz."

Der Traum von Herrschings Volleyballern, irgendwann einmal ihr erstes Endspiel zu erreichen, geht also weiter, und so langsam lässt er sich wirklich in ein Trauma umdeuten, auch wenn ihr Trainer davon überhaupt nichts wissen will. "Alleine darüber zu reden, an so etwas überhaupt zu denken, zeigt eine Verlierer-Mentalität", sagte Hauser. Nach der Partie hatte er gerade seinen jüngeren, sehr niedergeschlagenen Spielern in der Kabine versucht klarzumachen, dass sie das Spiel abhaken und nach vorne blicken sollten. "Man muss auch verlieren können, denn man verliert einfach ziemlich oft im Sport." Ohnehin, findet Hauser, sind fünf erreichte Pokal-Halbfinals für Herrsching ein riesiger Erfolg.

"Dieses Jahr war es ganz anders, nicht so emotional", sagt Libero Tille

Eine Trauma-Therapie ist also offenbar diesmal nicht vonnöten, auch wenn die Fakten dafür sprechen, dass der Pokal bislang kein wirklicher Motivationstreiber für den Klub vom Ammersee war. Immerhin hatten die Volleys in Lüneburg ihre bislang fünfte Finalchance binnen sechs Jahren - und kassierten die fünfte Niederlage. Zweimal verwehrte Berlin ihnen den Einzug auf die große Bühne in Mannheims SAP-Arena, je einmal Bühl (das sich in diesem Frühjahr auch coronabedingt aus der Bundesliga zurückgezogen hat) und Königs Wusterhausen. Das 2:3 bei den Netzhoppers gilt als schlimmste aller Niederlagen, 24:26 hieß es im fünften Satz gegen die Herrschinger nach viel zu vielen vergebenen Matchbällen. Nicht nur das, sie fühlen sich noch immer vom Schiedsgericht um den Finaleinzug gebracht. "Dieses Jahr war es ganz anders", sagte Tille, "nicht so emotional. Ich habe das Spiel längst abgehakt." Er wäre aber schon gerne zum ersten Mal nach Mannheim gereist, seine vorherigen Finals fanden ja noch in der Tennisarena in Halle/Westfalen statt.

Das Spiel in Lüneburg zeigte jedenfalls eindrücklich, was noch fehlt in Herrschings Spiel. Überragender Akteur war Lüneburgs US-Topscorer Jordan Ewert, der 31 Punkte und sieben Blocks verbuchte - und auch im fünften Satz die wichtigen Punkte machte. Für diese Situationen wäre auf Herrschings Seite der französische Zugang Samuel Jeanlys (13 Punkte) zuständig, der aber auch in dieser Partie nach einem guten Saisonbeginn eine zu schlechte Angriffsquote zeigte. Die Außenangreifer Tim Peter und Jori Mantha spielten gut, doch die Mittelblocker enttäuschten erneut - Luuc van der Ent und Dorde Ilic spielen bislang weit unter ihren Möglichkeiten. Die Mittelblock- und Diagonalachse funktioniert nicht so recht, was Zuspieler Luke Herr die Optionen raubt. Das ist das Hauptproblem Herrschings in dieser Saison. Der Handgelenksbruch des spanischen Zugangs Jordi Ferragut kommt hinzu im traditionell auch finanziell bedingt eng gestrickten Kader.

Tille fuhr um kurz vor vier Uhr in der Nacht nach Hause, um wieder rechtzeitig bei seiner Frau und dem kleinen Sohn zu sein, der ihm mittags dann die Sommerrollen auf dem Esstisch streitig machte. Auch solche Erlebnisse sind dann ja gut als Ablenkung. Andere reisten erst nachmittags nach Hause. Es wird eine kurze Weihnachtspause, Hauser hat am 25. und 26. Dezember Training angesetzt, am 27. steht die weite Reise nach Königs Wusterhausen an, mit den Rand-Berlinern messen sich die Herrschinger tags darauf im Ligaduell. "Es wird das schwierigste Spiel des Jahres", prophezeit Hauser: "Wir sind im Pokal raus, haben aber keine Zeit zu weinen." Königs Wusterhausen - war da nicht was?

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