Süddeutsche Zeitung

Volleyball:Der Spielversteher

Leonard Graven, 17, ist nicht nur Unterhachings Libero, sondern auch drittjüngster Spieler der Volleyball-Bundesliga. Über einen, der zur Führungsfigur reifen will - und schöne Erinnerungen an Mallorca hat.

Von Sebastian Winter

Leonard Graven klang ziemlich staatsmännisch am Sonntag. Und das, obwohl der 17-jährige Libero des TSV Haching München in einer ohnehin sehr jungen Mannschaft der Allerjüngste ist. "Die fragwürdigen Entscheidungen waren zwar ärgerlich", fand Graven, den sie alle Lenny nennen und der gerade von Lüneburgs Trainer Stefan Hübner zum MVP bestimmt worden war: "Doch letztlich müssen wir uns an die Nase packen. Wir haben es nicht hingekriegt."

Graven meinte das 0:3 (20:25, 30:32, 17:25) im ersten Heimspiel dieser Saison gegen die Norddeutschen, in dem das Schiedsgericht am Ende des zweiten Satzes nicht wirklich souverän gewirkt hatte. Für Hachings Abwehrchef spricht, dass er die Verantwortung für die Niederlage nicht auf die Unparteiischen abwälzte, sondern sie im eigenen Team suchte. Das muss man sich erstmal trauen, als Mannschaftsküken und drittjüngster Spieler der Volleyball-Bundesliga. Aber Graven sagte eben auch tags darauf am Telefon: "Es ist schon mein Ziel, mit Jonas ein bisschen die Führungsrolle zu übernehmen." Hachings Außenangreifer Jonas Sagstetter, 21, hat die größte Erstliga-Erfahrung in der Mannschaft.

Da spricht jedenfalls einer, der weiß, wohin er will - und der schon ein ordentliches Wegstück hinter sich gebracht hat. Größten Anteil an Gravens Entwicklung hat sicher die Familie, sein Vater Sepp Wolf ist mit zig DM-Titeln mit dem ASV Dachau einer der erfolgreichsten Jugendtrainer im ganzen Land, sein Bruder spielt im dortigen Drittligateam. Unter seinem einstigen Nachwuchscoach Dominik von Känel spielt Leonard Graven inzwischen in der U-19-Nationalmannschaft - und wurde Anfang September bei der Weltmeisterschaft in Iran Achter. "Er versteht das Spiel. Wenn er die Schule beendet hat, stehen ihm alle Türen offen", sagt von Känel.

Gegen Lüneburg hatte Graven wieder eine sehr starke Annahmequote, wie schon in Giesen und vor allem in Düren, als die Hachinger nur 2:3 verloren und überraschend ihren ersten Punkt dieser Saison sammelten. Von Känel lobt Gravens Annahme, "in der Abwehr hat er aber noch Potenzial, bei den Bällen, die oberhalb des Körpers auf ihn zukommen". Aber auch außerhalb des Feldes spürt der Trainer, dass er da einen im Kader hat, der sich ums Teamgefüge Gedanken macht: "Im Iran, in unserer Bubble, war er der erste, der Kartenspiele organisiert hat und Teil der Schafkopfrunde war."

Anpassungsfähig ist Graven ohnehin. 2019 verbrachte er ein Jahr mit seiner Familie in Sóller auf Mallorca, er ging auf eine internationale Schule, sein Bruder spielte bei einem Erstligisten Volleyball, der Vater pendelte zwischen Spanien und Deutschland beruflich hin und her - "und meine Mutter hat alle Berge der Insel erklommen. Wir wollten etwas Neues probieren, es war megacool". Inzwischen sind alle wieder zurück.

"Er ist Copy-Paste Ferdinand Tille", sagt Hachings Geschäftsführer Mihai Paduretu

In Unterhaching möchte sich Graven in seinem zweiten Erstligajahr nun umso mehr zeigen. Ferdinand Tille gilt als sein Vorbild, der in Unterhaching unter Trainer Mihai Paduretu zum Nationalspieler reifte, 2010 zum besten Libero der Weltmeisterschaft gewählt wurde und inzwischen beim Lokalrivalen WWK Volleys Herrsching spielt. Die Parallelen sind auch für Paduretu frappierend, "er ist Copy-Paste Ferdinand Tille, ist laut auf dem Feld, sieht sogar ähnlich aus und hat auch Führungsqualitäten. Wenn er so weitermacht, wird er irgendwann in Italien, Polen oder Russland spielen." In den Top-drei-Ligen der Welt also.

Paduretu beschreibt Graven als eine "offene Seele", als einen, der viel lacht. Aber der Schüler muss zugleich ein extrem gutes Zeitmanagement haben. An der Eliteschule des Sports in München-Milbertshofen will er 2023 sein Abitur machen, er wohnt zehn Fahrradminuten entfernt im Sportinternat. Zum täglichen Training muss er aber eine knappe Stunde mit der S-Bahn in die Vorstadt fahren, morgens kommen normalerweise noch drei wöchentliche Einheiten an der Eliteschule dazu. Wenn Hachings Libero nicht gerade zum Auswärtsspiel gegen den deutschen Meister Berlin reist, was just an diesem Mittwoch (19.30 Uhr) stattfindet. Graven möchte sich dort einiges vom gegnerischen Abwehrspezialisten Santiago Danani abschauen: Der Argentinier ist seit diesem Sommer immerhin Inhaber einer olympischen Bronzemedaille.

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