Volleyball:Der König empfängt Europa

Volleyball: Winterresidenz: Inzwischen grüßt der König vom Ammersee sein Volk - sofern es diesen Schritt mitging - im Münchner Audi Dome.

Winterresidenz: Inzwischen grüßt der König vom Ammersee sein Volk - sofern es diesen Schritt mitging - im Münchner Audi Dome.

(Foto: Oryk Haist/Imago)

Von der untersten Amateurliga haben es Herrschings Volleyballer binnen zehn Jahren in die höchste deutsche Spielklasse geschafft - und an diesem Mittwoch debütieren sie auf europäischer Bühne. Von einem Klub, der seinen frechen Marketing-Sprüchen große Taten folgen ließ.

Von Sebastian Winter

Eines hatten Herrschings Volleyballer immer schon: eine hervorragende Marketingabteilung. Die Werbemaschine ist in den vergangenen Tagen nun wieder angelaufen, aber diesmal geht es um mehr als nur ein Bundesligaspiel oder um ein Viertelfinale im DVV-Pokal. Es geht um Europa. An diesem Mittwoch spielen die WWK Volleys vom Ammersee zum ersten Mal auf internationaler Bühne, im CEV-Cup, dem zweithöchsten europäischen Wettbewerb. In der Qualifikationsrunde zum Sechzehntelfinale treffen die Oberbayern am Mittwoch (20 Uhr, Audi Dome) auf den Schweizer Topklub Lindaren Volley Amriswil, und Trainer Thomas Ranner frohlockt schon: "Für uns ist es das absolute Vereins-Highlight." Und zu einem solchen Höhepunkt gehört natürlich auch ein bisschen Glanz.

In kleinen Videosequenzen haben sie also einige (Sport-)Prominenz überredet, kleine Grußbotschaften per Handyvideo zu senden für den Verein, der für sich einst den Slogan "Geilster Club der Welt" erfand: Thomas Müller ist dabei ("Pack ma's"), "Bergdoktor" Hans Sigl ("Ihr hört schon die Glücksglocken läuten, der Berg ist im Hintergrund"), Sabine Winter ("Zeigt Europa, wie geil ihr seid"), Felix Neureuther ("Macht's einfach mehr Punkte als die anderen"), Andreas Wellinger ("Jungs, wenn ich hochspring', sind wir auf Augenhöhe, wenn ihr hochspringt, dann haut's die anderen weg. Sonnige Grüße aus Oberstdorf von der Schanz' an den geilsten Club der Welt"), Christian "Blacky" Schwarzer ("vielleicht krieg ich auch mal 'ne Einladung") und natürlich der obligatorische Markus Söder ("Wenn ihr in Europa Nummer eins werdet, dann kriegt ihr einen Empfang in der Staatskanzlei"). Neben einiger Situationskomik zeigen die Sequenzen schon, dass wirklich etwas Besonderes ansteht für den Klub aus der 10 000-Einwohner-Gemeinde.

Auch der Hallensprecher hat noch bei den Amateuren mitgespielt. "Die anderen kochen auch nur mit Wasser", sagt er jetzt

Einer, der ganz gut weiß, wo die Herrschinger jetzt stehen und wo sie hergekommen sind, ist Alexander Tropschug alias der König vom Ammersee. Der Hallensprecher und Einheizer zeigt seit sechs Jahren vor jedem Heimspiel kleine Einlagen mit Zepter, Krone und roter Robe. Gegen Dauermeister Berlin Recycling Volleys ist er mal aus einer Mülltonne gestiegen, um den Sponsor des Gegners zu veräppeln, er kommt auch mal im Rentierschlitten in die Halle gefahren oder macht eine Biathlonübung mit Schüssen auf die Werbebande. Am Mittwoch gegen Amriswil gibt es keine Show, das vorgegebene Zeitfenster ist zu knapp, was Tropschug, der eigentlich IT-Spezialist ist und nebenher Laiendarsteller im Bauerntheater, sehr bedauert. Aber natürlich freut auch er sich wie ein Schneekönig auf dieses Spiel, bei dem sich die Herrschinger - an ausuferndem Selbstbewusstsein mangelte es ihnen nie - nicht mal chancenlos sehen: "Die anderen kochen auch nur mit Wasser", sagt Tropschuk. Der 52-Jährige muss es wissen, er hat früher noch mitgespielt, als sie alle noch Amateure waren, und den Aufstieg des Klubs miterlebt.

Volleyball: Hier jubelt Max Hauser (Mitte) als Spielertrainer des Herrschinger Regionalliga-Teams.

Hier jubelt Max Hauser (Mitte) als Spielertrainer des Herrschinger Regionalliga-Teams.

(Foto: Georgine Treybal)

Auf der Sportlandkarte zu finden war der TSV Herrsching anfangs allerdings vor allem wegen Sara Niedrig, geborene Goller. Die spätere Beachvolleyball-Europameisterin lernte als Jugendliche das Baggern und Pritschen in Herrsching, bevor sie viel später mit Laura Ludwig im Sand um die Welt zog. Die Männer in der Volleyballabteilung fristeten da noch ein Schattendasein. Bis Max Hauser, seit 1990 beim TSV Herrsching, während seines Sportstudiums in München mehr und mehr Spieler für seine Mannschaft rekrutierte. "Max hat ein großes Talent dafür, Spieler zu entdecken", sagt Tropschug - und Hauser gilt als ein, wenn nicht der Vater des Erfolgs. Er hatte dieses Talent schon mit Jugendlichen unter Beweis gestellt, 2005 und 2008 nahm der TSV-Nachwuchs unter Hauser an deutschen Meisterschaften teil, ein Jahr zuvor war die Männermannschaft in die Landesliga aufgestiegen.

Binnen zehn Jahren schafften die TSV-Männer dann den Sprung von der untersten Amateurliga in die höchste deutsche Spielklasse, es war ein kleines Volleyballmärchen - vier Aufstiege in Serie inbegriffen, von der Bayernliga über die Regionalliga, die dritte Liga und die zweite Liga ins Oberhaus. 2015 hatte Herrsching dieses Kunststück vollendet - mit dem Spielertrainer Hauser. "Es ist alles plötzlich gewachsen", sagt Topschug. Aber ohne damalige Mitgesellschafter wie Fritz Frömming, André Bugl oder Benedikt Doranth wäre es nicht gegangen. Und auch nicht ohne Menschen wie Klaus Trunte, den Herzblut-Hausmeister der Nikolaushalle, die vielen anderen Helfer und die Gebrüder Tropschug, Alexander und Emanuel, die unermüdlichen DJ's und Stimmungskanonen. "Wir haben das in Herrsching immer für ein Bier und eine Wurstsemmel gemacht", sagt Tropschug, der König.

Mit dem Erfolg kamen dann Begehrlichkeiten - und der Wunsch nach mehr Erfolg. Die Herrschinger wurden mit jeder Saison ein bisschen besser, sie schlugen zum ersten Mal den Meister Berlin, dann den Pokalsieger Friedrichshafen, sie wären um ein Haar ins Pokalfinale eingezogen und auch ins Playoff-Halbfinale. Von der Saison 2018/19 an gingen sie nicht mehr als TSV Herrsching, sondern unter dem Namen WWK Volleys Herrsching an den Start. Und seit dem vergangenen Jahr tragen sie ihre Heimspiele im Münchner Audi Dome aus, der Heimstätte der FC-Bayern-Basketballer. In dieser Saison steht der Hexenkessel Nikolaushalle bislang bei keinem einzigen Heimspiel im Plan.

Volleyball: Eine der bittersten Stunden: Herrschings Christoph Marks betrauert im Dezember 2017 nach der Niederlage in Bühl das verpasste Pokalfinale.

Eine der bittersten Stunden: Herrschings Christoph Marks betrauert im Dezember 2017 nach der Niederlage in Bühl das verpasste Pokalfinale.

(Foto: Oryk Haist/Imago)

So ist das eben, wenn man über die Infrastruktur seiner Heimat hinauswächst - und die Volleyball-Bundesliga nach Eventisierung lechzt. Der Schritt nach München war riesig und ist es immer noch, so richtig Stimmung kam erstmals im vergangenen Frühjahr auf, als mehr als 2000 Zuschauer zum Playoff-Viertelfinale gegen Friedrichshafen kamen. Und manche Fans sind den Schritt in die Großstadt auch nicht mitgegangen. Das Thema Identifikation ist am Ammersee jedenfalls eines, das man nicht unterschätzen sollte. Auch der König sehnt manchmal die alten Zeiten zurück, "in den Audi Dome bringen mein Bruder und ich das Bier und die Wurstsemmel selbst mit, in den VIP-Bereich zum Essen kommen wir offiziell gar nicht rein. Und damit auch nicht zu den Spielern zum Ratschen", sagt Tropschug. Es sind Begleiterscheinungen einer Professionalisierung, die sein musste, um nicht stehenzubleiben. Die aber manche auch zurückgelassen hat.

Mittwoch also, Amriswil. Der Schriftzug "Mia san geil" musste noch runter vom Trikotkragen, der europäische Volleyballverband duldet die Stelle nicht für Vereinsschriftzüge. Die LED-Banden müssen angepasst werden, der Vorverkauf läuft eher mäßig, wie in vielen Sporthallen gerade wieder im dritten Corona-Herbst. Aber Europa kommt unweigerlich - und der König wird da sein. "Ohne Krone und Robe geh' ich nicht aus dem Haus", sagt Alexander Tropschug. Er plant längst, einen Sidekick einzustellen, eine Prinzessin. Aber die, die er im Auge hatte, ist ihm kürzlich leider abhandengekommen.

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