Volleyball:Wilfredos Wucht

Volleyball: Endlich mal über den Block: Berlins Nehemiah Mote überwindet die Hände von Wilfredo León (links).

Endlich mal über den Block: Berlins Nehemiah Mote überwindet die Hände von Wilfredo León (links).

(Foto: Ryan Sleiman/Sports Press Photo/Imago)

Berlins Volleyballer verlieren das Viertelfinal-Hinspiel in der Champions League gegen Perugias Weltklasse-Ensemble. Der deutsche Meister steht dennoch für den Aufschwung deutscher Klubs auf internationaler Bühne - trotz mancher Hindernisse.

Von Sebastian Winter

Allein dieser Ballwechsel: Der vierte Satz ist gerade erst angebrochen, und dann hauen sich Berlins und Perugias Angreifer 54 Sekunden lang die Bälle um die Ohren. Mal greift der Block ein, mal erwischt die Abwehr das Spielgerät kurz vor dem Aufprall auf dem Boden, Ahhhs und Ooohs rollen von der Tribüne aufs Feld. So einen langen Ballwechsel bietet das Männervolleyballspiel ja selten. Schließlich schwingt sich Berlins Hauptangreifer Marek Sotola mit letzter Kraft empor und beendet das Hin und Her mit einem fulminanten Angriff. Die Berliner lachen, Perugias kubanisch-polnischer Profi Wilfredo León stemmt fassungslos die Hände auf die Knie.

Dieses Viertelfinal-Hinspiel in der Champions League schien noch viel bereitzuhalten für die Recycling Volleys aus der Hauptstadt gegen den zumindest nach jenen 54 Sekunden ausgepumpten Klubweltmeister aus Italien. Aber wer León, der als bestbezahlter Volleyballer der Welt gilt, und die Kollegen ärgert, dem vergeht am Ende meist der Spaß. Letztlich verlor Berlin die Partie vor der Saisonrekordkulisse von 8213 Zuschauern in der Max-Schmeling-Halle 1:3 (18:25, 15:25, 25:23, 17:25) und muss nun am kommenden Mittwoch im Rückspiel in Perugia auf ein Meraviglia hoffen, ein Volleyball-Mirakel, das so gut wie ausgeschlossen ist.

Viel mehr Glanz als in Perugia versammelt sich kaum im Klub-Volleyball

Bei Perugia brilliert ja nicht nur der viermalige Champions-League-Sieger León, der 2008 als 14-Jähriger in Kubas Nationalteam debütierte, später dort eine Polin heiratete, seinen Status als Nationalspieler verlor und daraufhin nach Osteuropa flüchtete. Der außerdem an seinen besten Tagen auf 3,80 Metern Höhe abschlägt - 75 Zentimeter über dem Ring eines Basketballkorbs. Der Klub aus Umbrien beschäftigt auch noch den Zuspieler und Strategen Simone Giannelli sowie Blocker Roberto Russo, die 2021 Weltmeister mit Italien wurden. Dazu Außenangreifer Kamil Semeniuk, der im WM-Finale mit Polen an Russo und Giannelli scheiterte, und Olympia-Bronzegewinner Sebastian Sole aus Argentinien. Viel mehr Glanz ist schwer zu haben im Klub-Volleyball.

Viel mehr Wucht auch nicht: León hält mit 13 Assen in einem Spiel den inoffiziellen Weltrekord in dieser Kategorie. Gegen Berlin gelangen dem 29-Jährigen nur lächerliche zwei Asse, dafür seinem Kollegen Oleh Plotnytskyi gleich sechs. Auch im Block war Perugia nach ausgeglichenem Beginn turmhoch überlegen, im Angriff sowieso. "Wir standen das ganze Spiel unter einem Druck des Gegners, den wir so nicht gewohnt sind", sagte Berlins Trainer Cédric Énard: "Perugia kam als das überragende Team Europas her. Jetzt wissen wir warum."

Dennoch war es ein Abend, der auch den Berlinern in guter Erinnerung bleiben wird, nicht nur wegen der drittgrößten Champions-League-Kulisse, die die Volleys je zu Hause erlebt haben. Ihr Manager Kaweh Niroomand sprach von einem "Volleyballfest, wie es das in Deutschland und vielleicht sogar Europa nur selten gibt". So schlecht sahen die Berliner nicht aus gegen eine Mannschaft, die in der italienischen Liga, die als beste der Welt gilt, in dieser Saison noch kein Spiel verloren hat - und das Tableau mit 21 Punkten Vorsprung anführt. Dem Vernehmen erhält alleine León in Perugia ein Millionensalär im Jahr, das in etwa so hoch ist wie der gesamte Spieleretat Berlins.

Volleyball: Um die Ohren gehauen: Berlins Annahmespieler Ruben Schott (li.) und Cody Kessel versuchen, einen der gefürchteten Aufschläge Perugias zu entschärfen.

Um die Ohren gehauen: Berlins Annahmespieler Ruben Schott (li.) und Cody Kessel versuchen, einen der gefürchteten Aufschläge Perugias zu entschärfen.

(Foto: Fotostand/Reuhl/Imago)

Die Volleys, die die Bundesliga weitaus weniger dominant anführen als Perugia die italienische Liga, präsentierten vor der Partie dafür stolz den zehn Tage zuvor gewonnenen DVV-Pokal. Darüber hinaus stehen sie generell für einen Aufschwung des deutschen Volleyballs auf internationaler Bühne. Friedrichshafen, das 2007 den bislang einzigen Champions-League-Titel nach Deutschland lotste, steht ebenfalls im Viertelfinale. Auch die zunächst gar nicht qualifizierten Dürener nahmen, weil Plätze wegen der gesperrten russischen Klubs frei wurden, am höchsten europäischen Wettbewerb teil - und unterlagen Perugia in der Gruppenphase knapp. Bei den Frauen hat sich Allianz MTV Stuttgart für die Runde der letzten Acht qualifiziert - zum ersten Mal in der Vereinsgeschichte. "Die Bundesliga hat sich entwickelt bei Frauen wie Männern", sagt Niroomand der SZ: "Die Budgets gehen tendenziell nach oben und fließen nicht nur in den Spieleretat, sondern auch in die Strukturen. Und die sportliche Konkurrenz in der Breite nimmt zu."

Nicht nur für die deutschen Klubs ist die Volleyball-Königsklasse ein Zuschussgeschäft

Umso ärgerlicher ist es für die deutschen Champions-League-Teilnehmer, dass selbst der höchste europäische Klubwettbewerb ein Zuschussgeschäft für sie bleibt. Während Bayern Münchens Fußballer in dieser Königsklassensaison nach ihrem Erfolg im Achtelfinale gegen Paris bereits 89 Millionen Euro eingenommen haben, stehen Berlins Volleyballer, falls sie auch das Rückspiel in Perugia wie erwartet verlieren, bei 66 000 Euro. Erst bei einem Finaleinzug winken 250 000 Euro, der Sieger erhält eine halbe Million. "Die Preisgelder in der Volleyball-Champions-League sind ungerecht verteilt", sagt auch Niroomand: "Wenn man die Antrittsgebühren gegen die lächerlichen Prämien gegenrechnet, bleibt für die meisten Klubs ein Zuschussgeschäft."

Perugia indes liebäugelt längst mit dem Champions-League-Titel und könnte die Prämie gewinnbringend reinvestieren - was die Schere zwischen arm und reich weiter spreizen würde. "Entweder man vergrößert den Topf - oder man verteilt die Gelder gerechter", findet Niroomand. Nicht nur er würde Wilfredo León in Berlin auch gerne mal verlieren sehen.

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