Volleyball:Angriff auf die Tonangel

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Emotionaler Mittelpunkt: Ferdinand Tille und seine Herrschinger Kollegen freuen sich über den ersten Auswärtssieg überhaupt gegen Friedrichshafen. (Foto: Hafner/Nordphoto/Imago)

Herrschings Volleyballer bezwingen den frisch gekürten Pokalsieger VfB Friedrichshafen im ersten Playoff-Viertelfinalduell mit 3:2 - weil sie in den emotionsgeladenen zweieinhalb Stunden den kühleren Kopf bewahren. Am Freitag in München haben sie nun die Chance auf den erstmaligen Halbfinaleinzug.

Von Sebastian Winter

Es gibt Spiele, die hallen nach, auch wenn die Saison irgendwann vorbei ist im Frühjahr. Herrschings erstes Playoff-Viertelfinalduell gegen Friedrichshafen war so eine Partie, zweieinhalb Stunden dauerte sie, bis sie der große Favorit selbst mit einem Aufschlag ins Aus besiegelte. 2:3 (25:17, 29:31, 26:24, 19:25, 10:15) hieß das bittere Ergebnis für den frisch gekürten Pokalsieger in Neu-Ulm, wo er in dieser Saison seine Spiele mangels eigener Halle austragen muss. In einer Volleyball-Begegnung, die perfekt gewürzt und abgeschmeckt war, mit großer Emotion, kleinen Dramen, skurrilen Momenten und einer Rudelbildung, die es sonst nur selten gibt in diesem Sport, der sich ja oft schwertut, seinem braven Image zu entfliehen. Kleiner Nebenaspekt: Es war der erste Auswärtssieg überhaupt für Herrsching gegen Friedrichshafen.

Das Rudel entstand, als Herrschings Dorde Ilic beim 12:12 im dritten Satz Friedrichshafens Lucas Van Berkel mit einem krachenden Einerblock düpierte, der Serbe ballte die Fäuste in Richtung Van Berkel, dem 110 Kilogramm schweren 2,10-Meter-Koloss entgegen, und applaudierte danach noch provokant. Schon waren alle Spieler am Netz, Nase an Nase, und tauschten Nettigkeiten aus. Der zweite Schiedsrichter Joachim Mattner, einer der besten seines Fachs, ging dazwischen und schlichtete. Aber die emotionale Richtschnur war spätestens in diesem Augenblick gelegt. Vor allem Herrschings Libero Ferdinand Tille, der solche Situationen liebt, nahm sie später immer wieder auf, neben und auf dem Feld, wie beispielsweise in der Auszeit beim 19:18, als er seine Kollegen fragte: "Can you smell their fear?", also "könnt ihr ihre Angst riechen?".

"Can you smell their fear?", ruft Tille seinen Kollegen zu. Friedrichshafens Respekt scheint tatsächlich mit jeder Minute zu wachsen

Der Klub vom Ammersee war ja grottenschlecht in die Partie gestartet, obwohl Friedrichshafen auf seinen etatmäßigen Zuspieler Dejan Vincic verzichten musste, der mit Rückenbeschwerden auf der Bank saß. Nervös wirkte der Außenseiter, seine gefürchteten Aufschläge kamen nicht, die Angriffe auch nicht so recht. 17:25 endete der erste Satz, im zweiten stand es auch schnell 0:4, die Spieler wirkten schon früh genervt. Doch dann gelang Tille sein erster Wachrüttler, als er sich beim 11:16 in der Auszeit kurzerhand die Mikrofon-Angel des übertragenden Senders schnappte, die eigentlich die Ansprache von Trainer Max Hauser übertragen sollte. Tille wollte nicht, dass Hausers Einzelgespräch mit einem Spieler öffentlich wird - und begrüßte stattdessen die Zuschauer des Livestreams. Danach fand Herrsching ins Spiel, Diagonalmann Jonas Kaminski glich zum 23:23 aus, es ging hin und her im Anschluss, bis Ilic mit einem Ass den Satzball verwandelte.

Die Herrschinger verloren den dritten Satz trotz ihrer Emotionen nicht zuletzt wegen eines vom Schiedsgericht nicht geahndeten Netzfehlers des VfB, aber sie waren längst im Tunnel. Und in einem Zustand voller Spielfreude und Angriffseuphorie. Jori Mantha, der so schwach in die Saison und auch in diese Partie gestartete Kanadier, attackierte Friedrichshafen wie entfesselt. Mit 23 Punkten, dem Bestwert aller Spieler an diesem Abend, und 67 Prozent Annahmequote wurde er später zum MVP gewählt. Zuspieler Luke Herr hätte die Auszeichnung genauso verdient, der Regisseur verteilte die Bälle auf höchstem Niveau und tat sich - eingesetzt von Aushilfszuspieler Tille - selbst als erfolgreicher Angreifer hervor.

Gewitzter Zuspieler: Herrschings Luke Herr, der auch im Angriff glänzte. (Foto: Hafner/Nordphoto/imago)

Der vierte Satz wurde so fast schon zur Formsache für Herrsching, das nun so gut spielte wie wohl noch nie in dieser Saison. Und danach zeigten die Gäste im Angesicht ihres möglichen ersten Auswärtssieges überhaupt in Friedrichshafen keine Spur von Nervosität. Ein Block, ein Ass von Herr, ein Ass des ebenfalls starken Tim Peter, ein paar wuchtige Angriffe von Jonas Kaminski, dem mutigen Diagonalmann - und der Pokalsieger lag am Boden. "Es war ein Spiel nach meinem Geschmack", sagte Herrschings Trainer Max Hauser, "und am Ende haben wir es sogar verdient gewonnen."

Die zugegeben dezimierten Friedrichshafener wanken, in der Best-of-three-Serie hat Herrsching im Heimspiel am kommenden Freitag im Audi Dome (19.30 Uhr) bereits Matchball. Es könnte für Herrsching ein besonderer Abend werden: Gewinnen sie, wäre es der erste Playoff-Halbfinaleinzug der Vereinsgeschichte.

Tille, Herrschings Libero, war schnell wieder abgekühlt nach der so hitzigen Partie - und voller Vorfreude: "Es wird ein witziges Spiel am Freitag. Ich hoffe, dass im Audi Dome die Hütte brennt", sagte der langjährige Nationalspieler beim Streaming-Kanal Spontent und fügte hinzu: "Solange die Fäuste nicht fliegen, ist alles gut."

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