Süddeutsche Zeitung

Viswanathan Anand im Interview:"Eine verrückte Partie"

Schachweltmeister Viswanathan Anand über den harterkämpften Sieg gegen Wesselin Topalow, verwechselte Züge - und 2000 Kilometer Fahrt im Kleinbus.

Martin Breutigam

SZ: Herr Anand, Sie sagten nach der letzten Partie, dieser WM-Kampf könnte Sie einige Jahre Ihres Lebens gekostet haben. Wie sehr hat er wirklich an Ihren Nerven gezerrt?

Anand: Dieses Match hat viel Energie gekostet. Ich werde nun erst einmal einige Monate Pause machen. Aber natürlich lässt es sich leichter erholen, wenn man gewonnen hat. Das Match war so anstrengend, weil Topalow in jeder Partie bis zum letzten Moment Druck gemacht hat. Zwischendrin häuften sich die Fehler.

SZ: Nach der neunten Partie wirkten Sie schon ziemlich angeschlagen.

Anand: Ich war enttäuscht. Die schwierigste Phase hatte ich zwischen der siebten und zehnten Partie zu überstehen. In der siebten wechselte irgendwie die Initiative, in der achten gab ich ein Remis aus der Hand, und in der neunten verpasste ich mehrere Gewinnchancen.

SZ: Wie haben Sie sich aus dieser Situation befreit?

Anand: Man darf nicht so viel zurückblicken. Ich habe einfach versucht, es zu vergessen. Aber mir war auch klar: Wenn ich diesen Wettkampf nicht gewinnen sollte, werde ich diese neunte Partie für sehr lange Zeit nicht vergessen können.

SZ: Zum Schluss dann dieser spektakuläre Sieg mit Schwarz. Ausgerechnet mit dem ollen Lasker-System.

Anand: Das war eine verrückte Partie. Wir hatten diesen Aufbau gefunden (Anands Sekundanten waren wieder die Großmeister Kasimdschanow, Nielsen, Ganguly und Wojtaszek/d. Red.). Türme in der d-Linie, Läufer auf a6, das ist alles okay für Schwarz. Dann öffnet sich für meinen Läufer die Diagonale ...

SZ: . . . und Ihr Angriff bekommt richtig Schwung.

Anand: Ich weiß nicht, wieso Topalow das zugelassen hat. Ihm muss wohl irgendein Detail entgangen sein. Ich habe keine andere Erklärung dafür.

SZ: Vor dem Match hatte Ihre Seite auf einige Sicherheitsstandards bestanden. Sogar die Zuschauer wurden am Eingang auf elektronisches Gerät gescannt, um jegliche Einflussnahme von außen zu erschweren. Das Match ist anscheinend störungsfrei verlaufen, oder?

Anand: Ja, das war zuvor eine sehr chaotische Periode. Aber sobald das Match begann, verlief alles fair, und ich konnte mich ganz auf mich und das Geschehen auf dem Brett konzentrieren.

SZ: Die erste Partie haben Sie schnell verloren. Eine Folge der beschwerlichen Anreise? (Wegen der Flugverbote nach dem Vulkanausbruch auf Island hatte sich Anands Team einen Kleinbus gemietet. Viel später als geplant, nach 40 Stunden und fast 2000 Kilometern Fahrt, kam es in Sofia an/d. Red.)

Anand: Nein, die Fahrt war nicht nur anstrengend, wir haben auch ein paar Filme geguckt und hatten viel Spaß zusammen. Freundlicherweise haben die Fide (der Weltschachbund/d. Red.) und die bulgarischen Organisatoren mir dann einen Extratag Pause gegeben. In der ersten Partie habe ich einfach zwei Züge unserer Eröffnungsvorbereitung verwechselt. Das passiert schon mal.

SZ: Sie haben teils recht trockene Eröffnungen gewählt. Ganz anders als im WM-Kampf gegen Wladimir Kramnik in Bonn 2008. Sie spielten diesmal sogar ein paar von Kramniks Lieblingseröffnungen, allein viermal Katalanisch. Warum?

Anand: Mein Problem war, dass ich Topalows Einstellung für dieses Match falsch eingeschätzt habe. In seinen früheren Matches hatte er häufig die Eröffnungen gewechselt. Ich mag dieses komische, slawische Endspiel übrigens nicht, und ich hätte auch nicht erwartet, es dreimal aufs Brett zu bekommen. Doch Topalow hat diesmal nicht variiert, sondern immer wieder die gleichen Eröffnungen gespielt. Das schuf uns ein paar Probleme, und zwar mit beiden Farben. Ich habe nicht erwartet, dass er sich mit Schwarz so oft auf Katalanisch einlassen würde, und ich habe auch nicht erwartet, dass er mit Weiß immer das Gleiche spielt.

SZ: Magnus Carlsen hatte uns vorher gesagt, dass Sie nach seinem Eindruck gut vorbereitet seien. Bloß, woher wusste er das? Gab es wieder eine Trainingssitzung wie damals vor den Partien gegen Kramnik?

Anand: Äh, ja, Magnus hat mir ein bisschen geholfen. Wir stehen in Kontakt, und es war schön, einige Tipps von ihm zu bekommen.

SZ: Carlsen ist 19 und bereits Weltranglisten-Erster. Er könnte ihr nächster Herausforderer werden.

Anand: Magnus hat im vergangenen Jahr eindrucksvoll gespielt. Ich weiß, dass er sehr gute Chancen auf das nächste Match hat. Er wird einen Schritt nach dem anderen machen. Ich bin jetzt aber nicht in der Lage, schon über meinen nächsten Gegner nachzudenken. Ich brauche erstmal Urlaub.

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Quelle:
SZ vom 14.05.2010
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