Madrid vor dem Clásico:Vinícius Júnior ist Reals letzte Hoffnung

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  • Sportlich sind die Zeiten schwer bei Real Madrid, ein Lichtblick ist einzig der 18-jährige Vinícius Júnior.
  • Er ist ein fantasievoller Dribbler, ähnlich schelmisch wie der legendäre Garrincha.
  • Im Clásico am Samstag gegen Barcelona richten sich die Augen auch auf ihn.

Von Javier Cáceres, Madrid

Die Situation war nicht mehr dazu angetan, ein Lächeln auf sein Gesicht zu zaubern. Oder auch nur zu verhindern, dass er den Nacken beugte, als er am Mittwochabend den Rasen des Estadio Santiago Bernabéu verließ. Denn als Real Madrids Trainer Santiago Solari das Schild mit der Rückennummer 28 hochhalten ließ, woraufhin Vinícius Júnior ausgetauscht wurde, war die Katastrophe bereits vollzogen.

Die 86. Minute des Pokalhalbfinal-Rückspiels von Real Madrid gegen den FC Barcelona lief, die Katalanen führten 3:0, der K. o. des spanischen Rekordmeisters war Gewissheit - und die Ovation, die das Publikum im Bernabéu seinem neuen Liebling angedeihen ließ, ein lediglich steriler Trost.

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Gerade 18 Jahre alt ist der Brasilianer, doch er hat bereits 100 Pflichtspiele als Profi absolviert - die meisten davon für Flamengo Rio de Janeiro, 31 bei Real Madrid, er schoss dabei sieben Tore. Im vergangenen Sommer kam er in Spaniens Hauptstadt an, überhäuft mit Prophezeiungen, die ihn zur Zukunft des Fußballs stilisierten, und mit einer dramatisch schweren Last auf dem Rücken: ein Preisschild von 45 Millionen Euro. Doch nichts davon hat ihn seiner jugendlichen Unbekümmertheit beraubt.

"Wenn man sich im Moment bei Real Madrid Vinícius wegdenkt, bleibt dort: nichts."

In 13 der letzten 14 Pflichtspiele stand Vinicius in der Startformation Madrids, und er nutzte sie als eine Plattform, um sich in die letzte große Hoffnung des kriselnden Rekordmeisters zu verwandeln. Gareth Bale, für den Real einst 100 Millionen ausgab? Längst ein Spieler für die Reservebank. Am Donnerstagabend, keine 24 Stunden nach Reals 0:3, saß Jorge Valdano, einst Trainer und Sportdirektor bei Real Madrid, in der Cafeteria eines Fünfsternehotels in Madrid bei einem Mineralwasser und sagte, dass es derzeit einen gewaltigen Unterschied zwischen den Kolossen des spanischen Fußballs gebe. "Wenn man Barcelona um Lionel Messi beraubt, tauchen Luis Suarez, Dembélé, ter Stegen oder Rakitic auf. Wenn man sich im Moment bei Real Madrid Vinicius wegdenkt, bleibt dort: nichts."

So ist Vinicius einer der Spieler, die das aktuelle Dilemma von Trainer Solari illustrieren. Eigentlich müsste Solari die besten Spieler schonen, um am Dienstag gegen Ajax Amsterdam das Fortkommen im Achtelfinale der Champions League und damit die Aussicht auf einen Titel zu sichern. Also auch Vinicius. Doch aus der Führungsetage kommen Signale, dass sich Real Madrid im zweiten Clásico gegen den FC Barcelona binnen drei Tagen am Samstagabend keine Niederlage erlauben darf. Auch wenn die Hoffnung auf den Meistertitel bei neun Punkten Rückstand auf Spitzenreiter Barça anmutet wie eine Schimäre - Solari müsse die beste Elf aufbieten.

Die angebliche Weisung ist Symptom einer Nervosität, die skurrile Früchte zeitigt: Jugendtrainer Alvaro Benito, ein früherer Profi bei Real, wurde am Donnerstag fristlos entlassen, weil er in seinem Nebenjob als Radiokommentator am Mittwoch unter anderem gesagt hatte, Reals deutscher Mittelfeldspieler Toni Kroos segle "nur bei Rückenwind". Ersetzt wurde Benito durch den früheren Schalker Raúl González, der in ähnlich jungen Jahren wie jetzt Vinicius unter Valdano debütierte - und zur Klubikone heranwuchs.

Sieht man Vinicius spielen, tauchen all die mythischen Referenzen auf, die der brasilianische Fußball bereithält. Er ist ein fantasievoller Dribbler, ähnlich schelmisch wie der legendäre Garrincha, der 1958 und 1962 mit Brasilien Weltmeister wurde und mit nur 50 Jahren starb, weil er die Leber mit Cachaça malträtierte. Vinicius, der nach eigenen Angaben nicht trinkt, ist sozusagen die alkoholfreie Variante des Garrincha - ein Spieler, der solange mit dem Ball fummelt, bis er einen Quadratzentimeter in ein Latifundium verwandelt hat - das ist im modernen Fußball ein Wert an sich.

Die Defensivabteilungen der Mannschaften sind so durchorganisiert wie noch nie in der Geschichte des Sports - doch die individuelle Unvorhersehbarkeit und die Eingebungskraft sind noch immer Waffen, die jeden Plan über den Haufen zu werfen vermögen. Noch wirkt er wie ein Experte der Finten und des Dribblings. Doch was Real aktuell braucht, ist ein Torschuss-Experte. In neun Spielen der Saison kam Real Madrid zu keinem eigenen Treffer. Nichts ist schwieriger, als den Instinkt fürs Tor zu schärfen. Doch daran lässt sich arbeiten, sagt Valdano.

Er verdonnerte einst Raúl zu Extraeinheiten in Sachen Torabschluss. Und nun hält er bei Vinicius ähnliche Maßnahmen für ratsam, vor allem um ihm beizubringen, dass die Drosslung das wichtigste Element bei der letzten Aktion ist, egal ob Vorlage oder Schuss aufs gegnerische Gehäuse: "Zurzeit macht er alles bei 200 Kilometer pro Stunde."

Immerhin: Der Anhang im Bernabéu-Stadion scheint gewillt zu sein, Vinicius Zeit zu geben. Ebenso die Mannschaft, die Vinicius protegiert und anleitet. "Vinicius erhält viel Hilfe von seinen Kameraden", berichtete Trainer Solari jüngst und fügte hinzu: "Dass Veteranen, die 1000 Schlachten im Rücken haben, ihre Zeit damit verbringen, ihm Ratschläge zu erteilen, ist die Bekundung eines Respekts, den er sich ob seines Talents verdient hat" - und der in der fordernden Fußballstadt Madrid immer größer wird. Jeden Tag.

© SZ vom 02.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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