Süddeutsche Zeitung

Österreich gegen Deutschland bei der EM:Ein Spiel wie ein Klassentreffen

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Verteidigen konnten die Österreicherinnen schon vorher, nun spielt der DFB-Viertelfinalgegner auch noch munter nach vorne. Dass 13 Spielerinnen in der deutschen Bundesliga angestellt sind, macht die Begegnung speziell.

Von Frank Hellmann, Bagshot

Parks gehören zu London wie die Pubs. Wenn dann einer bei der Sommerhitze noch genügend Schattenplätze bietet wie der vom Österreichischen Fußball-Bund (ÖFB) als Basisquartier gewählte Pennyhill Park, dann läuft in der Vorbereitung auf ein EM-Viertelfinale gegen Deutschland vieles richtig.

Gelegen ist die Unterkunft nahe der unscheinbaren Ortschaft Bagshot, rund 42 Kilometer südwestlich von London. Dort haben die Österreicherinnen einen Gleichklang aus prächtiger Stimmung und listiger Herangehensweise entdeckt, der ihnen dabei hilft, dass sie trotz einer vergleichsweise bescheidenen Basis für den Frauen- und Mädchenfußball in ihrer Heimat die Favoriten ärgern können. So wie sie es schon bei der EM 2017 getan haben.

Die immense Vorfreude auf das Kräftemessen mit dem Rekordeuropameister war bei den Medienrunden unter den großen Baumwipfeln bei jeder Spielerin herauszuhören. Auch, weil sich das Nachbarschaftsduell wie ein Klassentreffen anfühlt. Aktuell 13 österreichische Nationalspielerinnen stehen in der deutschen Bundesliga unter Vertrag. Es ist nahezu unmöglich, alle Verbindungen nachzuzeichnen, wer wann mit wem wo gespielt hat. Teamchefin Irene Fuhrmann hat festgestellt: "Bei uns brennen viele auf dieses Spiel gegen Deutschland, weil sie dort als Legionärinnen tätig sind."

Ihre aktuell beste Fußballerin, Sarah Zadrazil vom FC Bayern, bestreitet nun ihr 100. Länderspiel. Zadrazil, 29, gefällt zum einen die Rollenverteilung David gegen Goliath, "die Riesennation Deutschland gegen das kleine Österreich"; zum anderen sei es prächtig, gegen die vielen Bekannten anzutreten: "Ich habe sie alle megagern, aber für die 90 Minuten heißt es Vollgas." Ohne Rücksicht auf die Freundschaft.

Die größte österreichische Fraktion spielt inzwischen bei Eintracht Frankfurt: Laura Feiersinger, Babara Dunst und Verena Hanshaw gehören zur Stammelf. Dass sich die Protagonisten bestens kennen, mache das Spiel speziell, erklärt die Allrounderin Feiersinger, 29, Tochter des ehemaligen Bundesligaprofis Wolfgang Feiersinger. "Ich finde es cool, weil man genau weiß, dass auch sie nicht unsterblich sind. Von daher sehe ich diese Ausgangslage eher als Vorteil."

Zweifelsfrei wird die ÖFB-Auswahl von einem enormen Zusammengehörigkeitsgefühl geprägt, das sich in wilden Kabinenpartys mit einer mitgebrachten Musikbox ausdrückt. Diesen "verrückten Haufen" zusammenzuhalten, wie Verena Hanshaw die Mannschaft nennt, ist offenbar gar nicht so leicht. "Großes Kompliment dem Trainerteam: Wir sind nicht immer pflegeleicht, aber wir funktionieren", sagt die für die TSG Hoffenheim spielende Mittelstürmerin Nicole Billa, 26.

Mit der zum 1. FC Köln wechselnden Rekordnationalspielerin Sarah Puntigam, 29, nimmt sie in dem 4-1-4-1-System eine zentrale Rolle ein: Billa erkämpft sich die Bälle vor dem Vierer-Mittelfeld, und falls doch einer mal durchkommt, dann saugt ihn Puntigam wie ein Staubsauger vor der Vierer-Abwehrkette an. Genau wie 2017 in den Niederlanden haben die Österreicherinnen auch in England erst ein Gegentor kassiert - im Auftaktspiel gegen den Gastgeber (0:1).

Zudem sind sie in den Gruppenspielen die meisten Kilometer aller 16 EM-Teilnehmer gelaufen (344). Gegenüber den vielen Überraschungsmomenten vor fünf Jahren, als der Siegeszug der Österreicherinnen erst im Halbfinale gegen Deutschland-Bezwinger Dänemark endete, hat sich aber ihr Spielstil weiterentwickelt: Das erfahrene Ensemble ist deutlich aktiver im Spiel nach vorne.

Abwehrchefin Carina Wenninger, 31, sagt: "2017 haben wir schon gut verteidigt, aber da haben wir nur verteidigt." Sie geht diesen Sommer auf Leihbasis zu AS Rom, nachdem sie bereits seit dem 16. Lebensjahr das Trikot des FC Bayern trug. An Vereinstreue bei den Profis macht ihr in München nur Thomas Müller etwas vor. An diesem Wendepunkt sei es doch wunderbar, ein "Allstar-Game" zu bestreiten, sagt Wenninger und lacht.

Sie hat sogar mit der Vereinsgefährtin und deutschen Nationalspielerin Sydney Lohmann via Facetime telefoniert, um sich vorab auszutauschen. Wenninger hat auch verraten, dass wie zuletzt in Brighton nun auch in Brentford nach Spielende die inoffizielle Nationalhymne "I am from Austria" geschmettert werden soll. Die Aufführung sei man den Fans und Familien einfach schuldig. Mit welcher Inbrunst und Leidenschaft gesungen wird, sagt sie, "das hängt ein bisschen vom Ausgang ab". Aber Rainhard Fendrich und Österreich, das gehört eben auch zusammen.

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