Der Morgennebel hat sich längst verzogen aus dem Inntal, die Nordkette thront über der einen Seite, die Bergwiesen bieten den Sportlern verschneite Pisten. Jedoch nicht alle nutzen den Tag, um selbst Sport zu treiben. Denn in Innsbruck ist gerade die große Finalstimmung ausgebrochen, die Menschen sitzen vor dem Fernseher oder in einer der vielen Sportbars und schauen gemeinsam die Qualifikation zum dritten Springen der 73. Vierschanzentournee.
Kampf gegen den Aberglauben
Dieses Skisprungwochenende wird sich lange ziehen, wie ein pünktlicher Absprung mit extra langem Flug. Viele Fans treibt die Frage um, ob es aus deutscher Sicht doch noch mal spannend werden könnte und sich die deutschen Springer als Partycrasher bei den beiden österreichischen Heimspringen erweisen können. Weil etwa Pius Paschke doch etwas von seiner starken Form abrufen kann, die er in den Wochen vor der Tournee gezeigt hatte. Oder ob sich etwa der Oberstdorfer Karl Geiger erneut steigern kann; der mag zwar diese dritte Schanzen-Station in Innsbruck mit ihren speziellen Eigenheiten eher nicht, aber er ist sehr lernfähig. Geigers Form zeigte nach Oberstdorf auch in Garmisch nach oben.
Auch Paschke, bis Neujahr der Weltcup-Führende, dürfte noch mal einen Versuch unternehmen, den Abstand auf die österreichischen Springer zu verkleinern, die in der Gesamtwertung die Spitzenplätze einnehmen. Schließlich ist er immer noch Zweiter im Weltcup und im Tournee-Ranking Sechster; zwar mit ordentlich Rückstand zum Podium, aber 16,6 Punkte aufzuholen, könnte bei noch zwei Wettbewerben ein realistisches Ziel sein.

Vierschanzentournee in Innsbruck:Die Schanze, auf der die Besten scheitern und Außenseiter siegen
Die meisten Skispringer freuen sich auf die spezielle, schwierige Innsbrucker Schanze. Auch in diesem Jahr könnte sich das Tableau im dritten Springen der Tournee noch einmal durchmischen.
Dazu muss man sich weitere Ziele setzen. Die Bergisel-Schanze ist extrem eng, sie provoziert Fehler, und die Zuschauer, von denen Stand Freitag mehr Deutsche als Österreicher Karten gekauft haben, könnten ein Faktor werden. Der deutsche Bundestrainer Stefan Horngacher hat seine Springer entsprechend eingestellt: „Ein Springen in Österreich zu gewinnen, wäre das Coolste überhaupt“, sagte er der Nachrichtenagentur sid. Vielleicht könnte der Samstag sogar zur größeren Befreiung werden. Denn irgendwie, meint Horngacher, habe sich weniger in der Realität als in den Köpfen der Sportler und Zuschauer dieses Diktat festgesetzt: nämlich dass der traditionelle und heilige Schicksalsberg der Tiroler heute in sportlicher Sicht auch eine Schicksalsschanze des deutschen Skispringens sei.
Horngacher hat sich aber festgelegt: Schicksalsschanze? „Nichts als Aberglauben.“
Aufbruch ins Pongau
Am Samstagabend setzt die Tournee von Innsbruck aus zu ihrer längsten Reise an. Es geht durch die Ostalpen, oder auf anderem Weg auch erst zurück über Rosenheim in Richtung Salzburg. Davor aber wird abgebogen südwärts ins Pongau, zu einer der größten Anlagen des Weltcups, der Paul-Außerleitner-Schanze in Bischofshofen. Die Fahrt aus Innsbruck dauert rund drei Stunden.
Dabei ist viel Zeit, noch einmal seinen Sprung im Kopf durchzugehen. Oder zu rekapitulieren, wie die bisherige Saison gelaufen ist. Die Gegner analysieren, sich dabei nicht einschüchtern lassen. Auch wenn diese österreichische Mannschaft so stark ist, dass einstweilen sogar der sehr erfahrene Manuel Fettner, 39, aus dem Weltcup in den Continental Cup versetzt wurde, also in die zweite Liga des Skispringens. Fettner stand da auf Rang 13 im Gesamtweltcup, das wäre für viele Springer ein hervorragender Platz.
Das Team Austria ist der internationalen Konkurrenz in vielerlei Hinsicht voraus. Die überlegenen Skispringer profitieren von einem überlegenen System. Schon in der Jugend werden ihnen die entscheidenden Bewegungen beigebracht, womit schon eine korrekte Haltung bei Hocke, Absprung und Flug angelernt wird. Später wird immer mehr auch der Materialvorteil zu einem entscheidenden Faktor. In den Ski-Labors wird alles, was von Technikern entwickelt wird, ausprobiert: vor allem rund um das Thema Aerodynamik und die Versuche, dass die Athleten in den österreichischen Zentren ihre Anfahrtshaltung optimieren. Laufend weiterentwickelt werden auch Bindungen, Schuhe und die Sprungkeile in den Schuhen.
Die Finalschanze der Tournee
Wenn der Sonntag im Pongau anbricht, werden genügend österreichische Fans zur Paul-Außerleitner-Schanze wandern, zum großen Bakken, wo der Weitenrekord bei 145 Metern liegt. Die heimischen Zuschauer werden in Vorfreude herbeiströmen, um in der Qualifikation am Sonntag und dem Wettkampf am Montag den großen Vorsprung zu feiern, den diese Mannschaft nun hat. Fünf Springer der Mannschaft von Trainer Andreas Widhölzl liegen unter den Top Ten. Gibt es gar einen Dreifacherfolg? Oder können sich Einzelne noch dazwischen setzen, etwa der Schweizer Gregor Deschwanden? Am kollektiven Erfolgserlebnis des Österreichischen Skiverbands wird sich aber kaum noch was ändern.
Österreichs Coach Widhölzl wiederum dürfte am besten Bescheid wissen, worauf es beim täglichen Training ankommt: auf individuelle Betreuung, denn jeder hat unterschiedliche Bedürfnisse. Mit diesem Credo hat er etwa Jan Hörl, 26, und Daniel Tschofenig, 22, die beiden, die nach dem Wettkampf meistens auf dem Treppchen stehen, in kurzer Zeit zu Tourneefavoriten erzogen.