Vierschanzentournee:Severin Freund kennt die Tricks der Psyche

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Da brannten im Dorf wieder die Lichter: Skispringer Andreas Wank im Himmel über Oberstdorf. (Foto: Adam Pretty/Getty)

Die Schanze ist präpariert, das Wetter spielt mit - und sogar der Strom fließt: Zum Start der Tournee in Oberstdorf lohnt ein Blick auf die Favoriten. Kann Severin Freund mit Peter Prevc oder den starken Österreichern mithalten?

Von Volker Kreisl

Die Vierschanzentournee startete wie so oft mit einer Überraschung. Am Montag fiel in verschiedenen Ortsteilen Oberstdorfs der Strom aus, weshalb nur ein Testdurchgang möglich war. In den Büros der Schanze brannte für ein paar Stunden Kerzenlicht, das Eis der Anlaufspur drohte zu tauen, der Springer-Aufzug blieb stecken. Der Wettkampf am Dienstag (1. Durchgang: 17.15 Uhr/Liveticker SZ.de) ist aber nicht gefährdet. Da soll die 64. Tournee beginnen - mit Flutlicht, Aufzug und mit ihren Favoriten.

Peter Prevc

Peter Prevc ist 23 Jahre alt. Das ist erstaunlich, man hat manchmal das Gefühl, der Slowene sei zehn Jahre älter. Das liegt zum einen an seiner permanenten Konzentration und seinem sehr geraden Blick, der ihm etwas Ernstes, Erwachsenes verleiht. Zum anderen hat es damit zu tun, dass er schon seit sechs Jahren im Weltcup dabei ist. In diesem Winter stand er bis auf einen Aussetzer immer auf dem ersten oder zweiten Podiumsplatz. Zuletzt, beim Weltcup in Engelberg und nun beim Gewinn der Qualifikation in Oberstdorf waren Prevc' Sprünge derart gereift, dass er als erster Tournee-Favorit gilt.

Schon seit 2013 war er ja präsent, blieb aber eine etwas tragische Figur. Denn trotz der Fähigkeiten gelang es Prevc noch nicht, einen großen Titel zu holen. Er sammelte bei Olympischen Spielen und Weltmeisterschaften elf Bronze- oder Silbermedaillen - Gold fehlt ihm. Bei der Vierschanzentournee 2015 wurde er Dritter. Den Gesamtweltcupsieg 2015 verpasste er um einen Punkt. Doch Prevc bleibt konzentriert und arbeitet weiter, auch wenn er nun sogar von Domen, seinem jüngeren Bruder, herausgefordert wird, dem slowenische Beobachter ein noch höheres Potenzial zuschreiben. Domen ist erst 16, und anders als Peter schaut er auch so aus.

Severin Freund

Wie alle Skispringer im aktuellen Favoritenranking hat auch Severin Freund nichts dagegen, dass ein anderer, nämlich Peter Prevc, in den nächsten Tagen der Top-Favorit ist. Wie alle betont auch Freund, dass er es einerseits genieße, zu denen mit Gesamtsiegpotenzial zu gehören, dass man aber natürlich wie immer andererseits: nichts vorhersehen kann. Freund ist am Montag in der Qualifikation zwar Zweiter geworden, aber er kennt die Tricks der Psyche, die einen vor Heimkulisse aus dem eigenen Gleichgewicht bringen kann, er meint: "Zu sagen, so oder so wird's laufen, das wäre vermessen."

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Soll der Prevc also ruhig mitten rein ins Rampenlicht, kein Problem. Und die Gründe dafür, dass sein Weltcup-Abstand von 165 Punkten auf den Slowenen gar nicht so viel aussagt, wiederholt der in München lebende Doppelweltmeister auch nicht ständig. In Engelberg hat er ja sonst sogar schlechter ausgesehen, und der zwölfte Platz in Nischni Tagil war ihm durch einen verkorksten Flug im Wind unterlaufen. Freunds Podestserie ist also mehrmals unterbrochen worden, dennoch befindet er sich offenbar in seinem Plan für die Tournee. Er hat im Sommer früher als sonst Kraft aufgebaut, er hat sich schnell an ein neues Bindungssystem gewöhnt, und bleibt ansonsten bei der Devise, in seinem Sport nichts zu erzwingen.

Kenneth Gangnes

Kenneth Gangnes ist Norweger, man sagt also Kennet Gangnes und nicht Kenness oder Kenneff Gangnes, mit gelispeltem englischem "th". Aber eigentlich ist das auch nicht richtig. Eigentlich müsste Gangnes ersetzt werden durch den langen Nachnamen Gangnes-Forfang-Tande-Stjernen-Hauer. Die fünf Norweger sind unter den 15 weltbesten Springern, die ersten drei belegen die Plätze drei bis fünf. Wenn Trainer zurzeit die Mitfavoriten für den Tourneesieg sortieren, dann ist daher immer nur die Rede von "den Norwegern" oder "den unglaublichen Norwegern". Doch Gangnes könnte der Anführer dieser Gruppe sein, denn er repräsentiert sie ziemlich gut.

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Der 26-Jährige aus Goevik hat durch die Arbeit des Cheftrainers, des Österreichers Alexander Stöckl, einen gehörigen Entwicklungssprung gemacht. Er profitiert von einem einheitlichem Trainingssystem, er preist die Stimmung in diesem jungen Team. Seine teils unter 20-jährigen Kollegen bezeichnet er als "Brüder", obwohl er selber schon Anschluss an die mittleren Karrierejahre hat - und zwei Kreuzbandrisse in der Vita. Gangnes ist ein typischer Norweger der Saison '15/'16. Er hat einen Sieg und sechs Top-ten-Plätze in diesem Winter, er wurde Sechster der Qualifikation (Forfang sogar Dritter), aber er musste den Medien trotzdem erst mal erklären, wie man seinen Namen ausspricht.

Michael Hayböck und Stefan Kraft

Michael Hayböck und Stefan Kraft sind eigenständige Siegkandidaten im mittleren Favoritensegment. Doch die beiden Österreicher haben so viel gemeinsam, dass man sie gut als Paar zusammenspannen kann. Das fängt schon mit ihrem Auftreten an. Nicht selten stehen sie bei Tournee-Empfängen zusammen da, denn sie haben ja fast zusammen die zurückliegende Ausgabe gewonnen.

Kraft landete um eine Winzigkeit vor Hayböck. Beide sind zuletzt nur langsam in Form gekommen, beide haben am Montagabend gute Weiten geschafft, Kraft wurde Qualifikations-Vierter, Hayböck Sechster. Sie trainieren am Stützpunkt Salzburg, haben denselben Trainer, auf Skisprung-Reisen teilen sie ein Hotelzimmer und damit auch die Skisprungglück und -sorgen. Sie haben einen ähnlich trockenen Humor und sind nun die Doppelspitze der besten Skisprung- Nation. Und sie müssen beide feststellen, dass sie gerade trotzdem nicht das wichtigste österreichische Skisprungthema sind. Das ist Gregor Schlierenzauer.

Der Tiroler Rekord-Springer hatte Anlass zur Sorge gegeben - und erst vor wenigen Tagen seine Tournee-Teilnahme erklärt. Er habe seine Motivationslücken überwunden, hatte Schlierenzauer erklärt, die zweieinhalbwöchige Schanzenpause habe ihm gut getan: "Das Feuer brennt wieder", sagte er. Zu einem Sieganwärter, das sagt er selber, macht ihn das aber nicht.

Richard Freitag

Sechs Jahre springt Richard Freitag nun schon im Weltcup, und in dieser Zeit hat er sich eine solide Position erarbeitet. Er ist der zweitbeste Deutsche, je nach Schwankungen der in etwa zehntbeste Springer weltweit und im Vierschanzen-Favoritenfeld stets einer der Geheimtipps, sprich unter den Letzten. Doch mit dieser soliden Position ist Freitag nicht zufrieden. In diesem Sommer wurde ihm klar, dass er etwas Grundlegendes ändern musste.

Freitag sagte: "Entweder man springt weiter ein bisschen hinterher und versucht dabei Spaß zu haben, oder man sagt, so geht's nicht weiter. Und man macht was." Also machte Freitag was, und zwar sozusagen gleich alles. Er stellte das um, was für ein Auto der Motor ist - seinen Absprung. Statt auf Kraft setzt er jetzt auf frühen Flug. Es war eine hochkomplizierte Operation am eigenen System, die erst allmählich Fortschritte zeitigt.

Zwei vierte Plätze hatte Freitag in diesem Winter, einen zu Beginn, einen vor Weihnachten. Trainer Werner Schuster glaubt, die Arbeit könne sich "in den nächsten Wochen auszahlen", in der Qualifikation wurde Freitag aber nur Vierzehnter. Insgesamt bleibt im deutschen Team noch alles beim Alten: Vorne Freund, als Dritter das immer bessere Talent Andreas Wellinger aus Ruhpolding, und dazwischen Freitag, der solide Zweite.

© SZ vom 29.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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