Vierschanzentournee:Risiko Sessel

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Der Bundestrainer und sein gerade bester Schüler: Werner Schuster (links) und Markus Eisenbichler. (Foto: dpa, Imago)

Mit Extra-Einheiten und Geheimtraining versuchten die deutschen Skispringer die lange Weihnachtspause zu bewältigen. Jetzt geht in Oberstdorf der Saison-Höhepunkt los.

Von Volker Kreisl, Oberstdorf

Erholung ist im Prinzip sehr wichtig für einen Leistungssportler, allerdings kommt es auf den Zeitpunkt an. Zu jeder Jahreszeit kann Entspannung förderlich sein, ist man allerdings Skispringer und werden einem an Weihnachten ungewohnt viele freie Tage im Sessel oder am Esstisch oder im Kreise der Nächsten beschert, dann wird es gefährlich. Zu viel Stille unterbricht den Fluss.

Das Jahr 2016 mit seinem 29. Februar und seiner unendlich langen Adventszeit hat auch den Springern vor Weihnachten zwei Tage mehr Pause als sonst dazwischen geschaltet. Und weil die Organisatoren der Vierschanzentournee ihr Auftaktspringen in Oberstdorf aus Verkaufsgründen lieber auf diesen Freitag als auf den Donnerstag gelegt hatten, standen Athleten und Trainer nach dem letzten Weltcupspringen in Engelberg vor einem regelrechten Weihnachtsloch: zehn Tage Pause.

Das geht natürlich gar nicht, weshalb alle Weltcup-Mannschaften schon früh komplizierte Pläne ausgetüftelt hatten, um ihren Springern eine exakte Balance zwischen Sofa und Schanze zu verschaffen. Manche Teams, wie die Österreicher, blieben gleich in Engelberg und trainierten dort weiter, und auch Bundestrainer Werner Schuster schaltete Trainingstage vor und hinter das Fest. Er sagt: "Ein guter Plan ist an Weihnachten wichtig."

Doch Trainingstage bleiben eben nur Trainingstage. Man übt zwar fleißig, aber nur für sich, der Wettkampfrhythmus bleibt trotzdem unterbrochen. Grundsätzlich, sagt Schuster, sei es ja so: "Wenn du einen Lauf hast, ist so eine lange Pause eher schlecht, wenn du dagegen noch ein bisschen an deiner Form knabberst, dann kann sie auch von Vorteil sein." So gesehen fügte es sich gut, dass eigentlich alle deutschen Skispringer gerade noch ein bisschen knabbern.

Schusters Beste sind zwar derzeit im Gesamtweltcup an den Positionen fünf (Severin Freund), sieben (Markus Eisenbichler), 14 (Karl Geiger), 15 (Richard Freitag) und 19 (Andreas Wellinger) gelistet, sie sind also als Mannschaft ordentlich aufgestellt, doch jeder Einzelne befindet sich noch in der Entwicklung, Tournee-Favorit Domen Prevc erschien zuletzt unerreichbar.

Severin Freund, der Weltmeister und Tournee-Zweite, hat sich von seiner Hüft-Operation erholt, der Niederbayer hat keine Schmerzen mehr und berichtet von Fortschritten in einzelnen Bestandteilen seines Sprungablaufs, doch es dauert eben noch: "Es fehlt noch manches im Gesamtbild." Richard Freitag hatte anfangs der Saison ausgerechnet das Gefühl für den Absprung, der eigentlich seine Stärke ist, verloren. Er erarbeitet sich nur langsam wieder die alte Form. Ähnlich ergeht es dem Team-Olympiasieger Andreas Wellinger, auch ihm gelingt nur sporadisch ein weiter Flug. Auf konstant hohem Niveau befindet sich allein Markus Eisenbichler, der vor drei Wochen in Lillehammer als Dritter seinen ersten Weltcup-Podestplatz errungen hatte. Er hat von Schusters langem Saisonaufbau in diesem Sommer am meisten profitiert.

Weil die Saison 2016/17 mit der Tournee und der Weltmeisterschaft in Lahti/Finnland ab 22. Februar zwei Höhepunkte aufweist, hatte Schuster nicht nur die stille Zeit exakt getaktet, sondern auch schon den Sommer anders gestaltet - als eine Art langen Anlauf: mit dem üblichen Krafttraining im April und Mai, ersten Sprüngen im Juni, dann der Grand-Prix-Serie, und im September statt der zuletzt bewährten Vier-Schanzen-Simulation lieber mit einem Trainingslager in Lahti auf den Bakken der WM. Seinen üblichen Aktiv-Herbsturlaub hat das A-Kader-Team wiederum statt im Oktober erst im November kurz vor Saisonbeginn auf Zypern verbracht. Alle haben somit Kraft bis März, brauchten zuletzt aber noch Einheiten für die schnelle Umstellung auf die immer neuen unterschiedlichen Schanzen des Weltcups.

Wie nahe die Deutschen nun schon einer Top-Leistung sind, will keiner sagen, man weiß es ja selber nicht: "Ich mache keine Prozentangaben", sagt Freund. Trainer Schuster hat jedenfalls nichts unversucht gelassen. In den Einheiten nach Weihnachten steckte sogar ein Geheimtraining. Die Schanzenwarte in Garmisch hatten den Deutschen die Anlage spontan präpariert, freiwillig übten dort Eisenbichler, Freitag, Geiger und Stephan Leyhe - Freund und Wellinger blieben lieber in Oberstdorf.

Vieles ist Intuition in den letzten Tagen vor einer Tournee, manches ist entscheidend für den Erfolg, manches auch nicht: "Wenn einer gut drauf ist, dann kann er auch im Zelt schlafen und gewinnt trotzdem die Tournee", sagt Schuster.

Aus dem Sessel direkt ins Zelt - das wäre doch etwas hart.

© SZ vom 29.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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