Vierschanzentournee:"Wir hatten es damals leichter"

JENS WEISSFLOG GER; Weißflog

Jens Weißflog: "Es gibt inzwischen viel mehr Kameras und Journalisten, die jede Regung aufzeichnen."

(Foto: Getty Images)

Der dreimalige Skisprung-Olympiasieger Jens Weißflog erklärt, warum Wind und Kameras den Sport immer mehr beeinflussen und was er den Deutschen bei der Vierschanzentournee zutraut.

Interview von Matthias Schmid

Der Oberwiesenthaler Jens Weißflog hat als einziger deutscher Skispringer vier Mal die Vierschanzentournee gewonnen. Im Interview erklärt er, warum in diesem Jahr Kamil Stoch sein Tourneefavorit ist und warum sie früher an Silvester nie vor Mitternacht ins Bett gegangen sind.

SZ: Herr Weißflog, wie werden Sie die Tournee diesmal verfolgen?

Jens Weißflog: Ich werde sie mir zu Hause und in meinem Hotel mit den Gästen ansehen. Ich habe sie im vergangenen Jahr noch mal live erlebt. Aber mit 22 Jahren Abstand fiebert man natürlich nicht mehr so mit, als wenn man selbst dabei ist. Aber ich verfolge sie noch immer mit großer Begeisterung.

Ihre Gäste werden Ihnen bestimmt viele Fragen zu früher stellen. Welchen Stellenwert hatte die Tournee für Sie?

Da hat jeder seine ganz persönliche Reihenfolge. Für einen ist die Tournee wichtiger als Olympia, für den anderen der Gesamtweltcup. Für mich war immer die Winterspiele das wichtigste Ereignis, danach folgten Weltmeisterschaft und Tournee. Aber zwischen den Jahren ist es schon das größte sportliche Highlight. Jeder, der sich hierzulande für Sport interessiert, schaut zu.

Ist der Druck für die Deutschen deshalb besonders hoch?

Ausblenden kann man das als Springer natürlich nicht. Und ich finde die Auftaktspringen in Oberstdorf und Garmisch-Partenkirchen von der Erwartungshaltung her auch noch schwieriger als die Springen in Innsbruck und Bischofshofen. Nicht weil sie in Deutschland stattfinden, sondern weil man von Anfang gut mitspringen muss, um nicht gleich den Gesamtsieg zu verspielen. Ich denke, dass es die Springer aus Norwegen, Japan oder Polen da einfacher haben, mit dem ganzen Drumherum zurechtzukommen. Und die Situation ist für die Athleten heute noch schwieriger geworden als damals bei mir, es gibt inzwischen viel mehr Kameras und Journalisten, die jede Regung aufzeichnen. Das macht alles noch komplizierter.

Sie haben 1984 bei der Tournee drei von vier Springen gewonnen. Wurmt es Sie im Rückblick, dass Sie nicht alle vier fürs ich entschieden haben, so wie Sven Hannawald 2002 und zuletzt der Pole Kamil Stoch?

Nein, dafür muss auch alles passen. Wir hatten es damals sogar noch leichter als heute. Die reine Springform war entscheidender als das Glück. Der Wind hat inzwischen einen viel größeren Einfluss.

Aber damals hat es doch auch gewindet?

Aber durch die großen Fortschritte bei Material, Technik und Stil können schon kleinste Windveränderungen das gesamte Klassement durcheinanderwirbeln. Auch ein Stoch, der im vergangenen Jahr der eindeutig stärkste Springer war, hätte zum Beispiel in Innsbruck Pech haben und so vom Wind verweht werden können. Und für die Springer ist der Grand Slam überhaupt kein Thema. Auch wenn es komisch klingt, aber sie denken wirklich nur von Sprung zu Sprung, alles andere interessiert sie nicht. Erst wenn man vor Bischofshofen alle drei Springen gewonnen hat, befasst man sich mit dem Thema.

Welche Springer sind denn für Sie diesmal die Favoriten?

An dem Japaner Ryoyu Kobayashi kommt man nicht vorbei. Er springt gerade herausragend, aber es war in der Vergangenheit oft so, dass der Weltcupführende am Ende nicht die Tournee gewonnen hat. Ich schätze deshalb Stoch sehr hoch ein, weil er der Erfahrenere von beiden ist. Aber insgesamt ist in diesem Jahr eine Vorhersage noch schwieriger als sonst. Ich bin selbst gespannt, wer diesmal aus der Wundertüte herauskommt. Ich bin mir sicher, dass es wieder eine Überraschung geben wird.

Bei den Deutschen haben bisher Stefan Leyhe und Karl Geiger, der sogar seinen ersten Weltcupsieg gefeiert hat, den stärksten Eindruck hinterlassen.

Aber auch hier halte ich Andreas Wellinger für stärker, weil er auf diesem Niveau über mehr Erfahrung verfügt. Er kann den Erfolg schon an sich reißen. Aber so wie Olympia hat auch die Tournee ihre eigenen Gesetze. Am Ende sind wir alle schlauer.

Haben Sie während Ihrer aktiven Karriere Silvester vor dem Neujahrsspringen eigentlich überhaupt feiern können?

Ich persönlich halte Silvester für total überbewertet. Es war aber zu meiner aktiven Zeit eher die Ausnahme, den Jahreswechsel ausfallen zu lassen. Bis auf zweimal haben wir mit der Mannschaft um Mitternacht immer auf das neue Jahr angestoßen und sind dann so gegen halb eins ins Bett gegangen.

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