Süddeutsche Zeitung

Vierschanzentournee:"Kobayashi ist eine Wahnsinnsmacht"

In Innsbruck schaut die Konkurrenz dem Japaner wieder nur hinterher. Er wird die Tournee höchstwahrscheinlich gewinnen - und ist dem Grand Slam ganz nah.

Von Volker Kreisl, Innsbruck

Kurz vor dem Start brach Hektik aus auf dem Schanzenturm. Techniker, Eisspezialisten und Verbandsaufseher hatten sich am Abstoßbalken versammelt, reichten Werkzeug hin und her, hoben den Balken an, versuchten, Gestelle und Gerät zu versetzen. Denn der Wind blies derart stramm aus dem Tal, dass Verletzungsgefahr bestand. Bei zu starkem Aufwind muss man den Anlauf verkürzen und so das Tempo bremsen, damit die Landung nicht in die riskante Flachzone geht - nur, die Innsbrucker Jury war schon bei der untersten Luke, der Luke eins. Dass die immer für die Besten gereicht hatte, half nichts, denn dieses Jahr springt ein neuer Bester mit: Ryoyu Kobayashi.

Luke null wurde also im letzten Moment fertig, eine Werbebande musste beiseite geschafft, die Spur entsprechend präpariert werden, und Kobayashi, der gerne mal freiwillig seinen Anlauf mit niedrigerer Luke bremst, weil er ohnehin weiter springt als alle anderen und sich über Ausgleichspunkte dann noch weiter absetzt - dieser Kobayashi bestätigte in Innsbruck seine Überlegenheit. Er entschied nach allem Ermessen diese Vierschanzentournee für sich, obwohl sie am Sonntag in Bischofshofen noch eine letzte Station hat. Doch sein stärkster Konkurrent, Markus Eisenbichler aus Oberbayern, büßte in Innsbruck nach einem insgesamt mäßigen Auftritt zu viele Punkte ein. Er steht zwar immer noch auf Rang zwei der Gesamtwertung, aber mit mehr als 45 Zählern Rückstand. Platz zwei muss er nun gegen den Norweger Andreas Stjernen verteidigen, der gut vier Punkte hinter ihm liegt. Vielleicht sollten sie in Innsbruck diese neue Luke null einfach Luke K wie Kobayashi nennen. Er nutzte sie tatsächlich im zweiten Durchgang und übersprang trotz geringerer Geschwindigkeit die Weiten aller anderen. Die Frage ist somit wohl weniger, ob Kobayashi nach Sven Hannawald 2002 und Kamil Stoch 2018 den Grand Slam gewinnt, also alle vier Springen bei der Tournee, sondern ob er diese Perfektion über mehrere Jahre durchhält. Manch anderer junge Springer, dem zuletzt eine große Zukunft prophezeit wurde, ist wieder eingebrochen. In der deutschen Mannschaft von Bundestrainer Werner Schuster und auch bei allen anderen Teams akzeptierte man diese neue Lage, in der einer vorneweg fliegt und der Rest der Welt hinterherschaut. "Er kann sich eigentlich nur selber schlagen", sagte Schuster. Eisenbichler, der mit einer schwachen Qualifikation in Innsbruck gestartet war, hielt den Schaden in Grenzen, er sagte: "Kobayashi ist eine Wahnsinnsmacht, ich bin aber heute nicht komplett unzufrieden." Um Platz zwei in der Gesamtwertung zu springen, das sei für ihn immer noch eine enorme Steigerung. Bester Deutscher war Stephan Leyhe auf Rang vier, Richard Freitag zeigte als Achter, dass er sich wieder an die Weltspitze heranarbeitet.

Selbstverständlich war es nicht, dass dieses Springen in Innsbruck ohne Komplikationen über die Bühne ging, denn die Bergiselschanze war in den vergangenen Jahren zu einer Klippe für die Besten geworden; die einen schafften es hinüber, die anderen nicht. Viele empfinden die Anlage als die spektakulärste Schanze der Welt - mit ihrem eleganten Turm, der steilen Anlaufspur und dem kurzen Flugbereich hinunter in einen Kessel mit Bremshang. Allerdings ist auch das, was die Springer zeigen, manchmal ungewollt spektakulär, womit gar nicht mal der junge Kasache Sabyrschan Muminow gemeint ist, der im Training am Mittwoch den Gegenhang als Bremshilfe überschätzte, in die Absperrung rauschte, sich überschlug, aber zum Glück nicht verletzte.

Der Bergisel lässt nicht jeden Favoriten ungeschoren davonkommen, was viele Gründe haben kann, zum Beispiel die Enge der Anlage, die keinen Fehler verzeiht, weil Korrekturen eines missratenen Absprungs kaum möglich sind. 2013 war der tourneeführende Norweger Anders Jacobsen zu spät abgehoben und hatte 23 Punkte verloren, am Ende gewann Österreichs Favorit Gregor Schlierenzauer. Schlechte Erfahrungen hatte vor drei Wintern auch Severin Freund gemacht, der in aussichtsreicher Position im Probedurchgang in dem mit Rillen präparierten Hang nach der Landung strauchelte und stürzte. Nachher ärgerte sich nicht nur sein Trainer Schuster über die schlechte Arbeit des Tretkommandos. Und ein weiteres Problem der Innsbrucker ist kaum zu lösen: Die Schanzenanwohner wehren sich aus Sorge vor einer Event-Lawine seit Jahren erfolgreich gegen ein Flutlicht, weshalb früh Schluss sein muss und Springen gerne mal bei schlechten und ungleichen Bedingungen durchgezogen werden. Denn die Sonne geht in Innsbruck am 4. Januar um 16.38 Uhr nun mal unter.

Dies alles spielte diesen Freitag aber keine nennenswerte Rolle, nur der Wind bleibt an der äußerst exponierten Schanze ein Problem. Gegen den aus Süden vom Alpenhauptkamm herunterfallenden Föhnwind und gegen Sturmböen, die quer durchs Tal blasen, sind längst stabile Netze gespannt, nur diesmal wehten die Luftmassen direkt aus dem Norden herauf, als Aufwind für die Springer.

Für das große Feld der 49 qualifizierten Springer hatte dies keine Auswirkung, alle legten sich gerne in den Aufwind, landeten aber trotzdem nicht weit über der errechneten Höchstmarke von 130 Metern. Beim 50., Kobayashi, war's dann anders. Er sprang erst einmal auf 136,5 Meter und landete auch noch elegant. Im zweiten Durchgang flog er dann etwas kürzer, womit er aber immer noch satt Punkte bekam. Denn gestartet war er aus Luke null.

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Quelle:
SZ vom 05.01.2019
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