Vierschanzentournee:Innsbrucker Blues

Vierschanzentournee: Andreas Wellinger im Flug über das neblige Innsbruck.

Andreas Wellinger im Flug über das neblige Innsbruck.

(Foto: AP)
  • Das Wetter ist schwierig, die Österreicher außer Form. In Innsbruck dominieren schlechte Nachrichten vor dem dritten Springen.
  • Die Gastgeber hinterfragen wegen des schlechten Abschneidens ihr ganzes Sportsystem.
  • Die Schanze am Bergisel hat zudem immer noch keine Flutlichtanlage. Was die Durchführung des Wettkampfes bei widrigen Bedingungen schwierig macht.

Von Volker Kreisl, Innsbruck

Schon am Morgen blies ein Sturm über die Stadt. Aus den Kaminen pfiff der Rauch waagerecht, als wären sie Dampferschlote bei voller Fahrt. An den Gipfeln ringsum klebten Wölkchen von verwehtem Schnee, und auch die Schanze auf dem Bergisel stand voll im eisigen Wind. Wer marschiert da schon freiwillig rauf?

Die Vierschanzentournee ist in Innsbruck angekommen, zur dritten Etappe, aber der Stimmung droht ein Absturz. Nach den ausverkauften Partys in Oberstdorf und Garmisch-Partenkirchen überwiegen schlechte Nachrichten. Der Wind verzögerte lange den Ablauf, die Verantwortlichen der traditionsreichen Serie ärgerten sich wie immer über die unzulängliche und unbeleuchtete Anlage von Innsbruck, die Abgehängten hinterfragten ihre Form, und, was es so seit Jahrzehnten nicht mehr gab: Die schwer geschlagenen Lokalmatadoren aus Österreich hinterfragten ihr ganzes Sportsystem.

Nicht betroffen vom Innsbrucker Blues sind die Teams aus Polen und Deutschland, die mit Kamil Stoch und Richard Freitag die beiden verbliebenen Sieg-Anwärter stellen. Sie bestätigten als Zweiter und Dritter der Qualifikation abermals ihre Form. Sie stecken ganz im Konzentrationstunnel, im Gegensatz zu den Österreichern, bei denen gerade die Wunden offenliegen nach der historischen Garmischer Niederlage. Alles wird hinterfragt, die Hoffnung ist getrübt, auch die, dass einen nun das euphorische Heimpublikum vielleicht zur alten Form antreibt. Das Heimpublikum ziert sich sehr, denn es muss ja meistens selbst angetrieben werden, und zwar von Erfolgen. Ein gutes Viertel der 22 000 Plätze war am Vortag noch frei.

Dem erfolgsverwöhnten Gastgeber fehlt bei dieser Tournee auch der Unterbau

Siebenmal nacheinander waren die Österreicher zwischen 2009 und 2015 hier als Favoriten angereist, siebenmal hatten sie die Tournee gewonnen, 2012 sogar das komplette Podest eingenommen. Zuletzt war bei Halbzeit zumindest immer noch ein dritter Platz in Reichweite, jetzt geht es für die einst große Mannschaft um nichts mehr, außer um ein bisschen Wiedergutmachung. Spannendes erzeugen die Österreicher im Moment nur jenseits der Schanzen, in Hinterzimmern und in den Medien, beim Verarbeiten der Krise.

Stefan Kraft, der letzte Weltklassespringer im Team, der in Garmisch vor der Finalrunde gescheitert war, und der Rest der Mannschaft stellten sich am Ruhetag hinter Trainer Heinz Kuttin. "Personelle Konsequenzen bringen nichts", sagte Kraft. Das meiste gelinge ja, ergänzte Gregor Schlierenzauer, der als 19. der Beste war, nur nicht der "letzte Schritt". Gemeinsam rückte das Team in die Turnhalle am Ausbildungsort Stams unweit von Innsbruck ein und reagierte sich beim Fußballspielen ab. Die Diskussion draußen im Land drehte sich unterdessen ums Grundsätzliche.

Es gibt keine Flutlichtanlage - wegen wehrhafter Nachbarn

Dabei landen am Ende alle beim Nachwuchs. Der Mannschaft fehlt bei dieser Tournee der Unterbau, ein paar unerschrockene Jungspringer also, die vom Formtief ihrer Etablierten ablenken können, wie der Slowene Tilen Bartol oder der Deutsche Constantin Schmid. Womöglich, sagt Harald Haim, der Sportliche Leiter in Stams, wurden tatsächlich Fehler gemacht. In eine Art "Durchschnittsfalle", könne man getappt sein.

Sei ein System über so viele Jahre überlegen, "dann wächst die Gefahr, dass die Entwicklung bremst und dass man das übersieht", sagt Haim. Seiner Ansicht nach liege nicht alles im Argen, aber in den Details könne man manches verbessern, zum Beispiel im Elite-Training der 14- bis 20-Jährigen. Immer noch betreut da ein Coach bis zu acht Schüler, was in dieser wichtigen Reifephase zu wenig sei. "Man braucht heute zwei beobachtende Trainer", sagt Haim, "einen für den Absprung und einen für die Flugphase."

Viele Nachwuchstrainer gingen von Österreich ins Ausland - heute trainieren sie die Sieger

In der Kritik am derzeit abgehängten österreichischen Team schwingt immer auch ein gehässiger Vorwurf mit, nämlich der, selber schuld zu sein. In den Boom-Jahren produzierte das System Schanzenerfolg, Skisprung-Knowhow und immer mehr Experten. Es gab seit den Nullerjahren die Superadler um Schlierenzauer und Thomas Morgenstern, gleichzeitig wuchs aber auch eine junge Trainergeneration heran, gewissermaßen die Birdwatcher. Es waren Ehemalige, die nur Mittelklasse sprangen, dafür aber mehr von der Lehre verstanden. Ein kleines Land wie Österreich hat freilich nicht genügend Stellen, um sie zu beschäftigen, sie gingen ins Ausland und trainieren heute die Sieger.

Haim will sich mit solch rückwärtsgewandtem Denken nicht lange aufhalten, der Trainermarkt ist auch im Skispringen frei. Wenn man also schon nach gesellschaftlichen Ursachen fahnde, dann bei sich selbst. Skispringen verzeichne einen leichten Rückgang an Einsteigern, sagt auch Haim. Auf die Schnelle ist dieses Problem aber nur mit Schlagworten begründbar (neue Generation, Internet, Instagram und ähnliches), und es kann sich auch schnell wieder ändern.

Besser erklärbar sind dagegen die Sorgen mit dem Bergisel bei dieser Vierschanzentournee. Den ganzen Tag über war wieder ungewiss, ob das Springen von Innsbruck mit einer ordnungsgemäßen Qualifikation starten würde, die Dämmerung rückte immer näher - aber dann beruhigte sich doch noch der Wind. Anders als die Krise der Skispringer bestehen diese österreichischen Probleme seit Jahrzehnten. Der Bergisel ist exponiert, die Schanze thront darauf, und sie wird immer noch von nicht von Flutlicht beleuchtet, denn sie hat wehrhafte Nachbarn.

Mit Scheinwerfern könnte man so einen Sprungtag wie auf fast allen Schanzen der Welt um Stunden verlängern, nicht selten verebbt der Wind ja am Abend. Doch dazu kommt es nicht, denn mit einer fest installierten Licht-Anlage, so die Sorge der Anlieger, steige die Gefahr für noch mehr Trubel, womöglich ende alles noch in Konzerten oder auch rauschenden Partys.

Bei dieser für Österreich so betrüblichen Tournee zumindest nicht.

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