Vierschanzentournee:Untröstlich in Innsbruck

Vierschanzentournee: Karl Geiger nach seinem zweiten Sprung am Sonntag.

Karl Geiger nach seinem zweiten Sprung am Sonntag.

(Foto: AFP)

Das Springen in Innsbruck stellt die Tournee-Wertung auf den Kopf. Kamil Stoch ist der Gesamtsieg kaum noch zu nehmen - Karl Geiger und Halvor Egner Granerud hadern mit der Schanze.

Von Volker Kreisl, Innsbruck

Die Schanze da oben auf dem Berg hat schon viele Springer zur Verzweiflung gebracht, sie hat Stürze verursacht, Favoriten abgeschüttelt, aber diesmal schien dies alles nicht zu drohen. Der Föhn, der von hinten, vom Alpenhauptkamm herunterzog, war ein nicht nennenswertes Lüftchen, im Gegenteil, es zog sogar springerfreundlicher Aufwind herauf. Alles erschien ruhig, aber die Ruhe trog.

Das dritte Springen der 69. Vierschanzentournee in Innsbruck stellte die Gesamtwertung am Sonntag auf den Kopf. Gegen halb vier, als alles vorbei war, fand sich der bisherige souveräne Führende auf Platz drei, und Kamil Stoch, bislang auf Rang vier, sprang mit einem Vorsprung von 15,7 Punkten auf Platz eins. Das Schema zog sich durch, Karl Geiger, eben noch bester Verfolger, war als Vierter plötzlich abgeschlagen, mit 24,7 Zählern Rückstand. Dawid Kubacki, der zweite Pole im Führungsquartett, hangelte sich derweil auf Platz zwei vor.

Und trotz der vielen Stimmen, die mahnen, in diesem Sport sei immer alles möglich, scheint es nun so zu sein, als könne die Polen auf ihrer Woge nun niemand mehr aufhalten. Denn sie profitieren von einer Entwicklung, die womöglich stärker wirkt als alles fleißige Training. Sie waren ja schon draußen, nachdem das Team zunächst wegen eines Corona-Falles von der Tournee ausgesperrt worden war. Dann wurden sie nach zwei komplett negativen Testrunden zurückgeholt, was sie sichtbar beflügelte, auch nun, mit grandiosen Sprüngen vor allem im zweiten Durchgang.

Schon im ersten Lauf waren die bis dahin Führenden weit nach hinten gerutscht. Halvor Egner Granerud, der seit Anfang Dezember fast immer ganz vorne lag, der mit fünf Weltcupsiegen in Serie kurz davorstand, den Rekord einzustellen, er war auch in Innsbruck bislang einwandfrei aufgetreten: Er gewann am Samstag in der Qualifikation, siegte am Sonntag im ersten Probesprung, siegte im zweiten - bis es plötzlich vorbei war. Granerud landete bei 116,5 Metern. Etwas weniger überraschend war der Auftritt von Karl Geiger, er war im ersten Durchgang schon früher dran, hatte ebenfalls einen schwachen Absprung erwischt und landete bei nur 117 Metern. Vermutlich erstmals in der Tournee rutschten die beiden Besten ans Ende des Feldes.

Stoch scheint eine Etage höher zu springen als alle anderen

Kaum unten im Team-Container verschwunden, mussten die beiden auch schon wieder hinaus in die Kälte und mit dem Aufzug hinauf auf den Turm der Bergiselschanze. Ihre Chancen auf den Tourneesieg waren angesichts der starken Polen schon jetzt so gut wie dahin, aber ein Konter war noch drin, für die Zuversicht in einer noch langen Saison mit einer WM in Oberstdorf. Und schließlich auch noch für einen Podestplatz bei der letzten Station in Bischofshofen, sei es in der Gesamtwertung, sei es nur im letzten Springen.

Geiger sprang also als Erster im zweiten Durchgang, er landete weit unten, und dann, so schien es, wussten seine Arme nicht, welches Gefühl sie zeigen sollten. Erst schob der rechte die Siegerfaust hinaus, dann klatschten beide Hände auf den Helm: eine Mischung aus "Geht doch!" und: "Alles zu spät!". Granerud erging es nicht besser, die beiden stapften aus dem Rund und trugen teils ihre Enttäuschung, teils offenen Groll mit sich herum. Granerud haderte im ORF mit dieser Schanze, "ich hatte hier nie gute Wettkämpfe", sagte er. Die Anlage sei meist unberechenbar, eine faire Konkurrenz sei eher selten. Und Geiger, der sonst die Ruhe selbst ist, konnte auch von Markus Eisenbichler, der Sechster wurde, nicht getröstet werden. "Irgendwie ist Innsbruck bei der Tournee immer unser Genickbruch", sagte er, "dass es dieses Jahr wieder so kam, da kriegt man einfach nur das Kotzen."

Auf irgendeinem Monitor konnten die beiden Bergisel-Verlierer dann verfolgen, wie Dawid Kubacki und Kamil Stoch die Vorlagen aufnahmen. Die beiden Polen hatten sich nach ihrem Tournee-Neustart immer mehr gesteigert. Nun bot sich ihnen die große Chance davonzuziehen. Und für die Zuschauer Granerud und Geiger blieb noch eine letzte Hoffnung, dass es die beiden Polen unter dem Druck des plötzlich möglichen Gesamtsieges doch noch vermasseln. Doch auch das hatte sich schnell erledigt. Denn schon Kubacki segelte unbeirrt nach unten, er verwandelte seinen Vier-Punkte-Rückstand gegenüber Granerud und Geiger in einen stattlichen Vorsprung.

Fehlte noch Stoch. Der saß als Letzter auf dem Startbalken, er schaute still hinunter auf den Kessel mit seinen vielen chaotischen Luftströmungen und den Gegenhang, und wer weiß, vielleicht auch auf das Panorama von Innsbruck dahinter. Stoch wirkt in diesen Tagen, als wäre er unschlagbar, und er tritt auf wie ein aufgezogenes Spielflugzeug. Bei Interviews scherzt und lacht er fortwährend, so wie schon am Samstag, als er klarmachte, dass die Stimmung im Team und die Arbeit gerade herrlich Spaß mache: "Mit jedem Sprung wird das Selbstvertrauen größer."

Erfahrung hat er ja genügend mit seinen 33 Jahren. Doppel-Olympiasieger wurde er schon 2014, die Tournee gewann er 2017 und dann 2018 sogar mit Siegen auf allen vier Schanzen. Und wenn er mal hinterherhängt, dann weiß er selber zu gut, wie er seine Form neu aufbaut. Das Selbstvertrauen war dann jedenfalls so groß, dass er am Ende eine Etage höher zu fliegen schien, hinweg über den ganzen Hang, den K-Punkt, den Hillsize, hinter allen Markierungen, bei 130 Metern, mit einer Bewertung von drei Mal 19,5 Punkten. Aufhalten wird ihn wohl keiner mehr, denn: Mit jedem Sprung wird das Selbstvertrauen ja größer.

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