Vierschanzentournee:Der Mann, der Hannawalds Einzigartigkeit sichern kann

FIS Nordic World Cup - Four Hills Tournament

Freut sich über Rang drei in Innsbruck: Andreas Wellinger.

(Foto: Bongarts/Getty Images)

Von Matthias Schmid, Innsbruck

Andreas Wellinger blickte plötzlich mit ernster Miene drein und griff nach dem Ergebniszettel vor ihm. Er studierte intensiv die Zahlen auf dem Podium der Pädagogischen Hochschule von Innsbruck. "Also, 65 Punkte Vorsprung" habe Kamil Stoch auf ihn, fasste der deutsche Skispringer mit gespielter Ernsthaftigkeit seine Analyse zusammen.

Dem 22-Jährigen war in diesem Moment eher zum Lachen zumute, als dass er ernsthaft über seine Chancen auf den Gesamtsieg bei der Vierschanzentournee Auskunft geben wollte. Denn Wellinger weiß, dass es für ihn nach dem dritten Platz am Bergisel beim letzten Springen in Bischofshofen unter normalen Umständen nur noch um Platz zwei in der Gesamtwertung der Tournee geht. Umgerechnet etwa 36 Meter müsste er auf der Paul-Außerleitner-Schanze auf den Führenden Polen aufholen. "Kamil kann sich nur noch selber schlagen", fügte Wellinger hinzu, "und das wird nicht passieren, weil niemand ihm das gleiche wünscht wie Richie."

Dass der gebürtige Traunsteiner in Innsbruck als Zweiter mit dem weitesten Sprung des Tages (133 Meter) über die Gesamtwertung sprechen musste, war ihm unangenehm. Man merkte ihm an, wie es in ihm arbeitete. Denn die Frage nach den Chancen auf den begehrten Gesamtsieg war eigentlich Richard Freitag vorbehalten. Er und Kamil Stoch hatten sich ja "a wahnsinniges Duell" geliefert, wie Wellinger es ausdrückte. Sie sind gerade die besten Skispringer, sie heben sich sogar von den anderen Weltklasseleuten wie Wellinger und Daniel Andre Tande noch mal ab.

Die ersten beiden Wettkämpfe hatte Stoch gewonnen, Freitag war zweimal der zweite Platz geblieben. Doch dann stürzte der 26-jährige Freitag am Donnerstag bei der Landung im Innsbrucker Zielhang. Bei 130 Metern. So weit war auch Stoch gesprungen, ebenfalls mit Schwierigkeiten beim Aufsprung, aber ohne Sturz eben. Während der Doppel-Olympiasieger aus Zakopane später seinen dritten Sieg aneinanderreihte, ist Freitag nach Hause gefahren. Der gebürtige Sachse verzichtet im Hinblick auf die Olympischen Winterspiele im Februar in Pyeongchang auf einen Start am Samstag in Bischofshofen und lässt sich nun in Oberstdorf an seiner geplagten Hüfte behandeln. "Das ist zwar bitter, aber da es in der Saison noch einiges zu holen gibt, wäre es unklug, nicht auf den eigenen Körper zu hören", ließ Freitag ausrichten.

Stoch hat nun in Bischofshofen die große Möglichkeit, mit Sven Hannawald gleichzuziehen, der als bisher einziger Springer in der Geschichte alle vier Springen der Tournee für sich entscheiden konnte.

In Bischofshofen hält Wellinger den Schanzenrekord

Andreas Wellinger ist damit sozusagen der Ersatz-Richie. Eine Rolle, die ihm liegt. Mit seinem offenen oberbayerischen Naturell geht er an die Aufgabe mit Leidenschaft heran. "Zwiespältig" sei seine Gefühlswelt aber trotzdem irgendwie, bekannte er. "Mein dritter Platz ist extrem cool." Aber den Sturz Freitags findet er "beschissen".

Wellinger kann wie kein anderer nachnachempfinden, wie sich sein Teamkollege nun fühlt. Vor drei Jahren, nachdem Wellinger in der Saison davor Gold mit der Mannschaft bei den Spielen in Sotschi errungen hatte, war er beim Weltcup im finnischen Kuusamo so schwer auf den Aufsprunghang gefallen, dass er mehr als zwei Jahre brauchte, um den Sturz - vor allem im Kopf - zu verarbeiten. Erst im vergangenen Jahr beim letzten Springen der Vierschanzentournee in Bischhofshofen deutete der hochbegabte Springer an, dass er die seelischen Verletzungen überwunden hat.

Mit 144,5 Metern verbesserte er in der Qualifikation den Schanzenrekord. Der weite Satz war der Start in ein traumhaftes letztes Saisondrittel. Zwischen Mitte Januar und Ende März stellte er sich zwölfmal auf dem Podium vor und feierte dabei zwei Siege. Dass sich Wellinger anschließend bei der Weltmeisterschaft auf der kleinen und großen Schanze als Zweiter nicht auch gleich noch zum Weltmeister gekürt hat, deutet Bundestrainer Werner Schuster inzwischen in einen Vorteil um: Wellingers Arbeitsethos und Ehrgeiz seien so noch weiter gewachsen. "Dadurch, dass er nicht gewonnen hat", hat Schuster erzählt, "ist die Energie noch höher, um Gold zu schaffen."

Hannawald bangt um seinen einzigartigen Rekord

Die Kollegen beneiden Wellinger vor allem für dessen herausragende Sprungkraft. Der Sturz in Kuusamo und die schwierigen Begleiterscheinungen haben ihn schneller reifen lassen, er hat gelernt, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. "Ich weiß jetzt, dass ich im Wettkampf zeigen kann, was ich drauf habe", sagte Wellinger nach seinem drittem Weltcupsieg in dieser Saison im russischen Nishni Tagil.

Sven Hannawald, der mittlerweile als Kommentar bei Eurosport die Skisprungszene verfolgt, wird deshalb gerne hören, dass die Paul-Außerleitner-Schanze zu Welllinger Lieblingsschanzen gehört. Denn Wellinger dürfte neben dem Norweger Tande zu den beiden aussichtsreichsten Springern gehören, die den Grand Slam von Kamil Stoch noch verhindern können. Und damit auch Hannawalds Einzigartigkeit in den Geschichtsbüchern.

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