Vierschanzentournee:Der Hektische, der Ehrgeizige, der Coole

Vierschanzentournee: Kamil Stoch, Stefan Kraft und Daniel Tande (von links): Konkurrenten um den Sieg bei der Vierschanzentournee

Kamil Stoch, Stefan Kraft und Daniel Tande (von links): Konkurrenten um den Sieg bei der Vierschanzentournee

(Foto: AP/AP/imago)
  • Richard Freitag ist Topfavorit auf den Sieg der Vierschanzentournee, auch Andreas Wellinger hat gute Chancen.
  • Ihnen könnten vor allem die drei Topspringer des vergangenen Winters gefährlich werden: Daniel Andre Tande, Kamil Stoch und Stefan Kraft.

Von Volker Kreisl

Die 66. Vierschanzentournee beginnt am Freitag in Oberstdorf, doch vieles ist anders als in den vergangenen Jahren. Das Springen am Samstag ist längst ausverkauft, denn erstmals seit 2000 geht ein Deutscher als Weltcup-Führender in die Serie: Richard Freitag (damals war es Martin Schmitt); auf Platz zwei liegt zudem Andreas Wellinger. Der Sachse und der Oberbayer beherrschen seit Wochen die Szene, und sie werden auch die kommenden Tournee-Tage prägen. Sie profitieren von sportlicher Reife, vom Teamgeist und von der Arbeit ihres Trainers Werner Schuster, der wie fast alle Weltklasse-Coaches dieses Sports aus Österreich stammt. Fraglich ist, wer sie überholen könnte. Bekannte Sieger wie Simon Ammann und Peter Prevc machen erst allmählich Fortschritte, neue Talente sind noch nicht so weit. Bleiben die drei Besten des vergangenen Winters.

Daniel Andre Tande

Die Norweger haben in diesem Winter alle drei Mannschaftsspringen gewonnen. Ihr österreichischer Trainer Alexander Stöckl präsentiert wie in den vergangenen Jahren fünf starke Springer, von denen sich mal der eine, mal der andere hervortut und dann wieder etwas nachlässt: Mal Anders Fannemel, mal Johann Andre Forfang, mal Andreas Stjernen, mal Robert Johansson. Im Team wirken sie derzeit unschlagbar. Nur, bei der Tournee geht es um eine Einzelwertung, und da ist nur einem der Gesamtsieg zuzutrauen: Daniel Andre Tande.

64th Four Hills Tournament - Oberstdorf Day 1

Im gleißenden Scheinwerferlicht: Gute Springer (oben Daniel Tande in Oberstdorf) müssen nicht nur den Druck der Natur meistern, sondern auch den der Öffentlichkeit.

(Foto: Adam Pretty/Getty Images)

Der 23-Jährige aus Kongsberg in Norwegen befindet sich wohl gerade in der zweiten Phase eines erfolgreichen Weltcupspringers. Die Phase des Neulings, der alles mit großen Augen betrachtet und drauflos springt, der seiner Intuition derart stark vertraut, dass er auf Top-Niveau sogar Trainingssprünge sein lässt, weil sie seine Form eh bloß wieder verderben könnten - diese Phase hat er nun hinter sich.

Tande ist spätestens seit seiner erfolgreichen Tournee 2017 den Gegnern ein Begriff. Nach diesen Sprüngen vor einem Jahr musste er wie jeder Newcomer einsehen, dass hohes Niveau in seinem Sport immer neu erarbeitet werden muss, dass, wie es Stöckl prophezeit hatte, Coolness allein nicht weiterhilft, und dass so ein Absturz jeden ereilen kann, auch auf dem Zenit eines Höhenflugs, in seinem Fall wegen eines in der Luft aufgegangenen Bindungsclips.

Er steckt mitten in der Arbeitsphase

Tande war 2017 in Bischofshofen unterwegs zum Gesamtsieg, er hatte nach Innsbruck nur einen knappen Vorsprung vor Kamil Stoch, aber er war im Verlaufe der Serie der konstantere Springer. Doch im letzten Durchgang der Tournee, nach seinem letzten Sprung hinauf in die Luft, da hing Tandes rechter Ski plötzlich nur noch am Sicherungsriemen, mit Mühe brachte er den Flug unfallfrei zu Ende, vergoss bittere Tränen in der Ecke des Auslaufs und war am Ende nur noch Gesamtdritter.

Den Rückschlag von Bischofshofen hat er dann relativ schnell verkraftet, Trainer Stöckl bezeichnet ihn ja auch als "Sonnenschein" fürs Team, und so ein optimistisches Naturell stürzt nicht so schnell ab. Auch wenn ihm keine Siege mehr gelangen, auch wenn bei der Weltmeisterschaft in Lahti Kraft und Wellinger dominierten, so beendete Tande den Winter 2017 doch als Gesamtdritter.

Ähnlich ging es in dieser Saison weiter. Tande pendelt stabil zwischen den Rängen zwei und fünf, zwei Podestplätze hat er dabei erreicht und steht als Gesamtdritter knapp hinter Andreas Wellinger. Die unbekümmerte Zeit hat er hinter sich, jetzt steckt er mitten in der Arbeitsphase, die bei hoch talentierten Sportlern über kurz oder lang meistens zu einem großen Sieg führt. Die Schanzen der Tournee liegen ihm jedenfalls.

Kamil Stoch

Stefan Horngacher, der österreichische Trainer der Polen, erzählt, dass er es ihm immer wieder sage. Schon im Sommer wies er Kamil Stoch darauf hin, dann im Herbst und auch jetzt, da sich der Skisprung-Winter seinen Höhepunkten nähert. Dieser Ratschlag liegt auch so nahe, denn er ist so einfach und gleichzeitig so wichtig.

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Herausforderer 2: Der Pole Kamil Stoch ist auch Titelverteidiger.

(Foto: Thomas Bachun/imago)

"Kamil", sagt Stefan Horngacher also, "du kannst deine Hektik ein bisschen ablegen!" Schließlich habe er ja schon fast alles erreicht! Er sei zweifacher Olympiasieger, habe die Tournee 2017 gewonnen, und schon 2014 den Gesamtweltcup! "Kamil", rät Horngacher, "du brauchst niemandem mehr was zu beweisen, du kannst lockerer werden." Aber Kamil Stoch sagt: "Nein, das kann ich sicher nicht."

Die Anspannung und die Aufregung zählen zum Naturell des 30-jährigen Polen. Stoch sagt, wenn er auf der Schanze oben auf dem Balken sitze und den Schanzentisch fixiere, "dann will ich alles richtig machen", und womöglich mehr als alle anderen. Er sagt auch, er habe nicht das Gefühl, bei der Vierschanzentournee einen Titel verteidigen zu können. Denn die alte Tournee ist vergangen, da gebe es nichts zu verteidigen: "Jedes Jahr ist wieder anders, jede Saison verläuft anders. Die Athleten ändern sich. Auch ich." Nie dürfe man sich ausruhen, mit anderen Worten: Kamil Stoch ist ein Perfektionist.

Skispringen ist in Polen das, was der Fußballsport in Deutschland darstellt

Dass diese Saison für den erfolgreichsten Skispringer des vergangenen Olympiazyklus' dennoch schleppend begann, lag womöglich daran, dass er es mit dem Perfekten übertrieben hatte. Bei seiner Rückkehr im März nach Zakopane, hagelte es Anfragen, Ehrungen, Termine auf sehr vielen Sendern, im ganzen Land, denn Skispringen ist in Polen das, was der Fußballsport in Deutschland darstellt. Wie nach seinen Olympiasiegen 2014 wollte Stoch alle zufriedenstellen, bis er merkte, dass er sich erstens ausruhen sollte, und zweitens schon bald wieder das Training beginnt. Irgendwann zog er sich, auch auf Horngachers Drängen hin, zurück.

Vielleicht wird er auch deshalb bald wieder der Alte sein, womöglich ist er der härteste Gegner von Freitag und Wellinger. Stoch begann die Saison mit einem zweiten Platz im Heimspringen von Wisla, fiel dann etwas zurück, doch seit der dritten Weltcupstation kommt er kontinuierlich zurück. Seine Platzierungen: 7, 6, 3, 2. Kamil Stoch wird immer besser, trotz aller Aufregung. Oder gerade deswegen.

Stefan Kraft

Manchmal wird einer dreimal nacheinander Erster, und die Dinge laufen dennoch schief. "Es hatte extrem gut angefangen", erzählt Stefan Kraft vom Weltcup in Wisla in Polen. Dreimal nacheinander war er ganz oben gestanden, allerdings, es waren nur die Trainingssprünge und die Qualifikation, im Wettkampf wurde er dann geschlagen. "Was ich drauf hatte, hab' ich nicht rumgebracht in den Wettbewerb", sagt er.

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Herausforderer 3: Der Österreicher Stefan Kraft gewann 2015.

(Foto: imago/Eibner Europa)

Andererseits liegt der Weltcupstart in Wisla auch schon vier Wochen zurück, und der Österreicher Stefan Kraft, 24, hat genügend Erfahrung. Er ist der Tournee-Gewinner von 2015, er wurde in diesem Jahr Doppelweltmeister und stand in den vergangenen drei Wintern in fast allen wichtigen Wettbewerben auf dem Podium. Kraft kennt die psychologischen Tücken seines Sports, und deshalb zählt er auch als Fünfter des Gesamtweltcups zu den Favoriten dieser Tournee, was für Heinz Kuttin, den österreichischen Trainer der ansonsten gerade schwächelnden Österreicher, sehr wichtig ist.

"Wenn man was unbedingt will, geht's oft in die Hosen"

Drei dritte Weltcupplätze hat Kraft inzwischen in dieser Saison, aber das entspricht noch nicht dem, was Kraft unter "rumbringen" versteht. Was ihm fehlt, ist "das Ergebnis, das man sich am meisten wünscht": ein Sieg. Seit vier Wochen weiß Kraft ja, dass er die Technik wieder beherrscht, dass er die Sprungkraft hat, dass er genügend Fluggefühl besitzt. Das will er dann allen zeigen, landet aber doch wieder vor der grünen Linie des Führenden und erkennt immer wieder: "Wenn man was unbedingt will, geht's oft in die Hosen."

Den Sieg nicht mehr unbedingt zu wollen, ist einem Leistungssportler natürlich unmöglich. Stefan Kraft ist trotzdem zuversichtlich. Es geht ja darum, den Wirbel des Triumphs, den eigenen steilen Aufstieg, die WM-Titel aus dem Kopf zu bringen, genauso wie die Aufregung der kommenden Tage und die Gefahr, wieder zu übertreiben. Kraft sagt, er werde sich bei der Tournee wie immer auf den entscheidenden Sprung fokussieren, auf ein bestimmtes Detail, das ihn dann in den Tunnel der Konzentration mitnehme.

Es ist gut möglich, dass ihm dieser Sprung schon am Samstag gelingt. Wie im vergangenen Jahr, als er - nach einer ähnlichen Formsuche im Dezember - in Oberstdorf gewann.

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