Vierschanzentournee:Ein Weltmeister springt von der Schülerschanze

Vierschanzentournee: Ein bisschen neben der Spur: Der einstige Tournee-Sieger Stefan Kraft räumt unumwunden ein: "Ich bin gescheit verunsichert."

Ein bisschen neben der Spur: Der einstige Tournee-Sieger Stefan Kraft räumt unumwunden ein: "Ich bin gescheit verunsichert."

(Foto: Daniel Karmann/dpa)

Auch Stefan Kraft, Österreichs überragender Skispringer der vergangenen Jahre, kann sich dem Misserfolg seines Teams nicht entgegenstellen. Mitten in der Tournee versucht der 28-Jährige einen Neuanfang.

Von Volker Kreisl, Innsbruck

Es heißt, Siege entstehen schon im Kopf. In den meisten Disziplinen sind jene Sportler erfolgreich, die eine Strategie verfolgen, die analysieren können und dann die richtigen Schlüsse ziehen. Im Skispringen aber trägt der Verstand nur einen kleinen Teil zum Erfolg bei. Worauf es ankommt, ist das Gefühl. Und wenn dieses verschwindet, so weiß nun auch Stefan Kraft, geht gar nichts mehr.

Kraft war in diesem Winter der Einzige unter den meist jungen österreichischen Weltcup-Skispringern, der aufs Podest kam. Mehr noch, der 28-Jährige aus Bischofshofen strahlt normalerweise das aus, was Kollegen in Zeiten des Umbruchs brauchen: Sicherheit. Er zählt seit knapp zehn Jahren zu den Konstantesten, hat in dieser Zeit 102 Weltcup-Podestplätze errungen, was ihn zur Nummer fünf der ewigen Bestenliste macht. Doch gerade in diesen Tagen der Tournee, in denen Kraft funktionieren sollte, da fuhr er auf den Schanzentisch zu und spürte keinen Druck mehr, keine Reaktion der Ski, kein Luftkissen.

Es geht darum, sich selbst wieder zu fühlen, doch das ist so einfach gesagt

Dabei wäre dies am Dienstag, beim traditionellen Bergiselspringen, besonders wichtig. Die zweite Hälfte der Tournee spielt nun in Österreich, in Innsbruck und gleich im Anschluss, nach nächtlicher Überfahrt, beim Finale einige Täler weiter östlich in Bischofshofen. Doch die Zeitungsberichte sind diesmal knapper, und die Stimmung im Stadionkessel, könnten Fans denn den Weg hinauf zum Bergisel pilgern und dort auf den Rängen stehen, sie wäre auch eher gedämpft. Die Spannung der Tournee ergibt sich nun mal aus dem Prinzip des Gesamtsieges, und von dem sind die Springer des Österreichischen Skiverbands (ÖSV) schon jetzt unerreichbar entfernt.

Eingebrochen war Stefan Kraft in Garmisch-Partenkirchen, auf jener Schanze, die ihm schon oft die Tournee vermasselt hatte. Jeder Skispringer hat seine Anlagen, die er fürchtet, und bei Kraft ist es diese lange Schanze unterhalb des Wettersteingebirges, mit deren Tisch er nicht zurechtkommt. Diesmal war er schon verunsichert angereist, weil sein Tournee-Einstieg in Oberstdorf mangelhaft war, in Garmisch-Partenkirchen dann erreichte er früh den Tiefpunkt: Nach seinem Sprung hockte er, die Schuhe noch in der Bindung, im Auslauf und starrte hinauf, den Blick fest auf diese Schanze geheftet, die ihn gerade rausgeworfen hatte aus der Qualifikation.

Vierschanzentournee: Da helfen auch keine Gebete mehr: Stefan Kraft scheitert in Garmisch-Partenkirchen in der Qualifikation.

Da helfen auch keine Gebete mehr: Stefan Kraft scheitert in Garmisch-Partenkirchen in der Qualifikation.

(Foto: Daniel Karmann/dpa)

Vom Erfolg war Kraft zwar all die Jahre meistens getragen worden, aber er hat offenbar auch gelernt, Rückschläge zu bewältigen. Ob ihm dies schnell aus dieser Misere hilft, ist zwar fraglich, doch immerhin, die wichtigen Schritte hat er gemeinsam mit dem Trainerteam um Chef Andreas Widhölzl bereits eingeleitet. Es geht also darum, sich wieder zu fühlen, nur wie?

Zunächst mal ist die Offenheit erstaunlich, mit der Kraft seine Situation in diesen Tagen anspricht. Nach dem Garmischer Rauswurf, als er plötzlich ein ganzes Tournee-Wochenende frei hatte, da berichtete er den österreichischen Medien von seinem Befinden, verzichtete auf relativierende Floskeln, versuchte auch nicht so zu tun, als hätte er letztlich schon alles im Griff, sondern sagte: "Ich bin gescheit verunsichert."

Kraft suchte Ablenkung, beim Eisstockschießen und beim Fernsehen, da läuft die Darts-WM

Das mag Siegertypen schwerfallen, öffnet dafür den klaren Blick nach vorne. Und den richtete Kraft zunächst mal nach Seefeld in Tirol, das auf halbem Weg von Garmisch-Partenkirchen nach Innsbruck liegt. Dort stieg er nach der Analyse in die zweite Phase eines möglichst raschen Wiederaufbaus ein, bei dem es oft darum geht, sich wohl zu fühlen, den pessimistischen Geist abzulenken und die Zweifel im Kopf zurückzudrängen. Mit dem Team spielte Kraft am Ruhetag eine Partie auf der Eisstockbahn. Und abends schaute er in Ruhe die Übertragung einer seiner Lieblingssportarten an, bei der zurzeit laufenden Weltmeisterschaft im Darts, das Pfeilewerfen hat ja auch in seinen wiederholten, immer scheinbar gleichen Bewegungen etwas Beruhigendes. Und, nicht zuletzt, Kraft sprang auch wieder, von einer Schülerschanze.

Auch die steht in Seefeld, es handelt sich um einen 70-Meter-Bakken, der ideal geeignet ist, um ein malades Sprunggefühl wieder aufzubauen. Alles ist dort zwar langsamer und kürzer, aber eben auch leichter spürbar. Weil anders als auf der Großschanze hier in der Luft weniger Druck von unten kommt, der einen weiter tragen würde, sind die Fehler beim Absprung besser zu orten. Die kurzen Schanzen sind somit ideal für beide Athletentypen: die Anfänger und die gefallenen Weltmeister.

Immerhin, beim Abschwingen habe Kraft schon wieder gegrinst, berichtete Coach Widhölzl der Kronen-Zeitung, und im ersten Training am Bergisel gelangen ihm auch wieder Weiten, die das alte Selbstbewusstsein befördern können. Den zweiten Trainingsdurchgang hatte Kraft sogar als Zweiter beendet, womit in Österreich gleich wieder etwas von der Hoffnung keimte, dass Kraft in diesen Tagen wenigstens um einen Weltcupsieg mitspringen könne. Doch der ist erfahren genug, um sich erst mal aufs Wesentliche zu fokussieren. Kraft sagte: "Ich wollte wieder meine Sachen spüren." Am Montagnachmittag schaffte er dann zumindest die Qualifikation für das Springen am Dienstag: gerade so, auf Rang 42.

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