Vierschanzentournee:Alle springen dem Frisbee hinterher

Der große Favorit der 65. Vierschanzentournee ist Domen Prevc, ein 17-jähriger Slowene mit einem außergewöhnlichen Flugstil. Die fünf Springer mit den besten Chancen.

Von Volker Kreisl

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Domen Prevc

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Quelle: AP

Die 65. Vierschanzentournee steht bevor, vom 29. Dezember bis zum 6. Januar wird wieder ein Tross von Springern, Trainern, Physiotherapeuten, sonstigen Helfern und Medienleuten von Oberstdorf über Garmisch-Partenkirchen und Innsbruck nach Bischofshofen reisen. Dort wird dann wieder ein Gesamtsieger feststehen. Mit großer Wahrscheinlichkeit wird dieser aus dem im Folgenden dargestellten Athletenkreis stammen.

Dieser Moment ist sehr selten. Es ist der Augenblick der Erkenntnis, wenn die Skisprung-Trainer auf ihrem Hochgerüst und die Skisprung-Reporter unten am Schanzenauslauf kurz verharren, mit offenen Augen, vielleicht auch offenem Mund, weil gerade deutlich wird, dass eine neue Skisprung-Periode anbricht. 1988 war das so, als der V-Stil erfunden wurde, auch 2010, als der Schweizer Simon Ammann mit gebogenem Bindungsstab alle besiegte, und im November 2015 war es ähnlich. Da erschien der Slowene Domen Prevc, damals noch 16, erstmals im Weltcup. Er hatte den Domen-Prevc-Stil erfunden.

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Domen Prevc

Ski Jumping World Cup in Engelberg

Quelle: dpa

Anfangs sprangen und landeten die besten Skispringer eher wie Speere, dann erinnerten sie an Drachenflieger oder Gleitschirme - Fluggeräte, die noch irgendeine Kontur hatten. Domen Prevc dagegen liegt flach in der Luft wie eine Frisbee-Scheibe.

Er schafft es, nach dem Absprung extrem schnell in seine Scheibenstellung zu gelangen, er drückt den Oberkörper weit nach vorne zwischen die Ski, erwischt früh die anströmende Luft von unten - und fliegt besonders weit. Der Rest kann nur auf einen Fehler von Prevc hoffen, einen schlechten Tag, oder Einbußen in der Haltungsnote. Zu diesem Rest zählte anfangs Domens älterer Bruder Peter Prevc, der im Vorjahr die Tournee so souverän gewonnen hatte, dass ihm viele ein Jahrzehnt der Dominanz prophezeiten. Jetzt ist Peter aus dem Tritt gekommen, zu den Favoriten zählt er nicht mehr. Sein Bruder dagegen ist offenbar ohne Sorgen. "In der Tournee", sagt er einerseits, "musst du in kürzester Zeit acht gute Sprünge abliefern, sonst hast du keine Chance." Andererseits sagt der in dieser Saison schon viermalige Weltcup-Sieger auch: "Ich habe keinen Druck, ich habe einfach Lust zu springen."

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Daniel-André Tande

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Im Dezember 2015 war es noch eine Mitfavoriten-Mannschaft. Vier bis fünf Springer aus Norwegen hatten sich nach Podestflügen zuvor für die Vier-Etappen-Reise empfohlen. Am Ende wurde Kenneth Gangnes Dritter, und als Mannschaft wurden die Norweger drei Wochen später Skiflug-Weltmeister. Heute ist davon nur noch einer als Favorit übrig: Daniel-André Tande, der Zweite des Gesamtweltcups.

Gangnes zog sich im Training einen Kreuzbandriss zu, der Rest leidet unter rätselhaften Schwankungen. Andreas Stjernen (Elfter im Gesamt-Ranking) und Anders Fannemel (23.) pendeln im vorderen Mittelmaß, Robert Johansson (30.) und Tom Hilde (34.) im mittleren und Johann Andre Forfang (40.) gar im hinteren Mittelmaß. Tande ist vom Einbruch des Teams aber unberührt. Er hat sich als Einziger weiterentwickelt und zeigt derzeit nach Domen Prevc den offensivsten Flugstil. Ein Schnellstarter ist er nicht, aber auch kein Spätberufener, Tande hat mit 22 Jahren 25 Top-Ten-Plätze erreicht. Doch gerade das könnte sein Vorteil sein. Er hat sich immer weiter stabilisiert und kann auch über einen längeren Zeitpunkt Bestleistungen bieten. Vielleicht sogar jetzt schon, über die neun Tage dieser Tournee.

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Stefan Kraft

Ski Jumping World Cup in Engelberg

Quelle: dpa

Im Skispringen, in dem viele mit großer Anstrengung nach Lockerheit suchen, gibt es nur wenige wie Stefan Kraft. Während ein Großteil seiner Kollegen in äußeren Einflüssen Störungen wittert, sagt der Bischofshofener Kraft zum Beispiel: "I gib' gern Interviews." Der Kraft Stefan, kurz Krafti, ist ein völlig normaler Typ, der seinen Eltern bei seinem Tourneesieg vor zwei Jahren verbot, mit Glücks-Plüschtieren im Zielraum zu wedeln, und der trotzdem eine Menge Spaß zu haben scheint. "Ich genieße den Rummel der Tournee", sagt er, "dieses gewisse Deutschland-Österreich-Spiel ist immer cool." Aktuell ist er Gesamtdritter und zählt zusammen mit seinem Zimmerkollegen Michael Hayböck zu den ersten Verfolgern von Domen Prevc. Krafts Vorteil: Lockerheit muss er nicht einüben.

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Kamil Stoch

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Wer der Beste ist, lässt sich grundsätzlich schwer sagen, wenn man alle Faktoren bedenkt: Glück, Trainer, Ausrüstung. Ein Olympiasieg ist schon mal ein ganz guter Ausweis für den Besten, erst recht der Doppel-Olympiasieg. Der polnische Doppel-Olympiasieger Kamil Stoch stand 2014 in Oberstdorf vor der Presse und redete voller Optimismus. Es gehe ihm gut, rief er. Okay, er hatte diese Knöchelverletzung samt einer Operation vier Wochen zuvor, aber Stoch wollte durchstarten und rief: "Am Fuß liegt es nicht!" Tatsächlich wollte der Fuß dann aber nicht durchstarten. Bis Kamil Stoch, 29, wieder zu den Besten zählte, dauerte es fast zwei Jahre.

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Kamil Stoch

Ski Jumping World Cup in Engelberg

Quelle: dpa

Sein neuer Nationaltrainer, der Österreicher Stefan Horngacher, sagt: "Kamil ist ein extrem ehrgeiziger Sportler." Werde er Zweiter, dann gerate er schon ins Grübeln. Stoch, 2014 auch noch Gesamtweltcupsieger, grübelte also und entfernte sich immer weiter vom Durchstarten, bis Horngacher im Frühjahr 2016 kam und die Knoten des Grübelns nach und nach löste: "Er hat erkannt, dass er nicht von heute auf morgen wieder super springen kann." Stoch ist nun wieder da, und zwar nicht alleine. Ein versteckter Tourneesieg-Kandidat ist auch Maciej Kot, ebenfalls aus Zakopane, Sechster im Weltcup-Ranking. Und Stoch wurde zweimal Vierter in dieser Saison, einmal Zweiter und einmal Erster, Tendenz steigend. Skispringen ist eben kompliziert und verwirrend. Denn um der Beste zu sein, muss man fleißig sein, Glück, gute Trainer und eine gute Ausrüstung haben - und es dann auch noch beherrschen, manchmal nur der Zweitbeste zu sein.

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Severin Freund

Ski Jumping World Cup in Engelberg

Quelle: dpa

Hin und wieder schnellte sie schon hoch, die linke Faust von Bundestrainer Werner Schuster, nicht nur zaghaft, sondern durchaus mit Schmackes, als wollte sie gleich zwei, drei weitere Hiebe in die Luft setzen. Aber das wäre zu viel gewesen. Schusters Freude auf dem Trainerstand der Dezember-Schanzen blieb bruchstückhaft wie die Leistungen seiner Springer.

Severin Freund, der Wahl-Münchner und Zweite der Tournee 2015, hatte gleich zu Saisonbeginn in Kuusamo gewonnen, was Schuster sofort als Ausrutscher nach oben erkannte. Denn Freund war nach einer Hüftoperation noch nicht voll beweglich in jenem Bereich, der fürs Aufklappen in die Flughaltung so wichtig ist. Dafür entwickelte sich Markus Eisenbichler erstaunlich rasant, er wurde einmal Dritter. Und auch Richard Freitag und Andreas Wellinger zeigten manche weiten Sprünge, aber nie konstant, sondern nur entweder im ersten oder im zweiten Durchgang.

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Severin Freund

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Es sind eben Teilflüge, die die Deutschen bisher boten, sie gelten als Außenseiter, trainiert hat das Team dennoch lange und systematisch auf ein Ziel: die Tournee mit dem ersten Wettkampf am Freitagnachmittag. "Ich hoffe, dass der Plan aufgeht und wir gut reinstarten", sagt Schuster. Vielleicht sogar mit zwei richtigen linken Haken in die Luft am Schattenberg von Oberstdorf.

© SZ vom 28.12.2016/fued
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