VielseitigkeitsreitenEin Sport kämpft um sein Image

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Drama in Luhmühlen: Maj-Jonna Ziebell auf Chiquita, kurz bevor es zum folgenschweren Sturz kommt und das Pferd sich einen „nicht operablen“ Schulterbruch zuzieht.
Drama in Luhmühlen: Maj-Jonna Ziebell auf Chiquita, kurz bevor es zum folgenschweren Sturz kommt und das Pferd sich einen „nicht operablen“ Schulterbruch zuzieht. (Foto: Nordphoto/Witke/Imago)

Beim internationalen Vielseitigkeitsturnier in Luhmühlen stürzt ein Pferd schwer und muss eingeschläfert werden. Trotz neuer Sicherheitsmaßnahmen befindet sich die Reiterszene in einer kontroversen Debatte.

Von Gabriele Pochhammer, Luhmühlen

Ein sonniger Morgen im Heidedörfchen Luhmühlen, hier leben fast mehr Pferde als Menschen, und hierhin pilgert jedes Jahr die gar nicht so kleine Fangemeinde der Vielseitigkeit, rund 20 000 Menschen sollen am Samstag in dem weitläufigen Wiesengelände unterwegs gewesen sein. Internationales Vielseitigkeitsreitturnier in Luhmühlen bei Lüneburg, Niedersachsen: die perfekte Kulisse für einen Sport, der für seine Fans die „Krone der Reiterei“ ist.

Nach den beiden Geländeprüfungen am Samstag vor dem abschließenden Springen wurden die Pferde am Sonntag noch einmal Richtern und dem Tierarzt vorgestellt. Ein elegantes Paar trabt herbei, Julia Krajewski, die Olympiasiegerin von Tokio 2021, nur noch zwölf Parcourshindernisse von ihrem vierten nationalen Titel entfernt. Statt Stiefel und Reithelm trägt sie ein buntes Sommerfähnchen, ein eleganter Strohhut komplettiert das Outfit. Neben ihr läuft frisch und munter der elfjährige Nickel.

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Ein schönes Bild, wie schon am Tag zuvor, als man den braunen Holsteiner durchs Gelände fliegen sah, leichtfüßig, die Ohren gespitzt und jedes Hindernis mit Können, Kraft und Eifer meisternd. Solche Bilder sehen die Freunde des Sports am liebsten. Aber es gibt leider auch die anderen. Ein Pferd fehlte beim sogenannten Vetcheck. Wie am Samstagabend bekannt wurde, musste die 13-jährige Stute Chiquita nach einem Sturz in einer nahe gelegenen Tierklinik eingeschläfert werden.

An Hindernis 14 der internationalen Viersterneprüfung, in der auch der nationale Champion ermittelt wurde, fand sie den richtigen Absprung an einer Buschhecke nicht, rollte über den Sprung und fiel so unglücklich auf die Schulter, dass sie sich einen Trümmerbruch zuzog. Er wurde als nicht operabel eingestuft. Die 29-jährige Reiterin Maj-Jonna Ziebell kam mit einer Schulterprellung davon. Das Paar, das beim Olympiareiter Andreas Dibowski trainiert, galt als erfahren, hat mehr als 40 internationale Starts zu verzeichnen, auch vordere Platzierungen auf Viersterneniveau.

Schwere Stürze verdunkeln immer wieder das Bild des Vielseitigkeitssports in der Öffentlichkeit, da hilft es wenig, dass es auch beim Spazierenreiten oder anderen sportlichen Betätigungen zu Verletzungen und Unfällen kommt, die keiner nachzählt. Die Reiterverbände tun vieles, um Bilder von stürzenden Pferden oder Reitern zu vermeiden. Jeder Sturz führt zum sofortigen Ausschluss, Missbrauch der Peitsche wird geahndet, so auch in Luhmühlen bei einer österreichischen Reiterin. Die Hindernisse werden so gebaut, dass Pferde allenfalls vorbeilaufen. Dann bekommen sie eine zweite Chance, beim dritten vergeblichen Versuch ist Schluss.

Immer mehr Hindernisse werden mit einer Sicherheitsvorrichtung ausgestattet, genannt „Mim“ nach dem Erfinder, die sich öffnet, wenn das Pferd an ein Hindernis hart anschlägt. Das gibt elf Strafpunkte, soll aber schwere Stürze, vor allem die gefürchteten Überschläge, verhindern. Rund die Hälfte der Hindernisse in Luhmühlen war „gemimt“, viermal wurde das System in der Fünfsterneprüfung (6289 Meter lang mit 28 Hindernissen) ausgelöst, darunter bei der besten deutschen Reiterin in dieser Prüfung, Malin Hansen-Hotopp. Sechste wurde sie insgesamt. Ihr 13-jähriger Holsteiner Schimmel Carlitos Quidditch touchierte ein Hindernis vor einem Wassereinsprung leicht mit den Hinterbeinen. „Es gab noch nicht mal einen Ruck“, sagte die Reiterin, will aber den Sinn der Sicherheitssysteme nicht infrage stellen.

Eine neue Einrichtung namens „Mim“ soll Stürze verhindern

Dass die Mim-Einrichtungen nicht nur dazu eingesetzt werden, Stürze zu verhindern, sondern auch, um das Starterfeld auseinanderzuziehen, indem Fehler provoziert werden, räumt kein Funktionär offen ein, es wird unter Reitern aber heftig diskutiert. Denn der Sport verändert sich dadurch, man benötigt andere Pferde und eine andere Art des Reitens. Das war auch in Luhmühlen zu sehen, nicht mehr großräumige Galoppierer mit Rennpferdeblut, sondern reine Springpferde, die jede Hecke, statt durchzuwischen, sauber überspringen und entsprechend kontrolliert zum Hindernis geritten werden müssen, um jede Berührung mit den Stangen zu vermeiden.

Die Fünfsterneprüfung wurde zur leichten Beute der Briten, die mit nicht weniger als 25 Reitern gekommen waren: auf dem Podium zwei Mannschaftsolympiasiegerinnen, Rosalind Canter auf Izilot vor ihrer Schülerin Samantha Lissington (Neuseeland) auf Ricker Ridge Sooty und der Paris-Dritten Laura Collett auf dem Holsteiner London, die den Sieg durch einen Abwurf im Springen verpasste. Die erfolgreichen Britinnen haben, anders als die Deutschen, eine große Auswahl an guten Pferden, selbst Olympiasieger Michael Jung, in Luhmühlen nicht am Start, hat kein gleichwertiges Pferd im Stall, das den 17-jährigen Chipmunk in naher Zukunft ablösen könnte.

Ihren vierten nationalen Titel sicherte sich Julia Krajewski auf Nickel mit einem fehlerlosen Parcours vor Emma Brüssau auf Dark Desire. DM-Bronze ging an Calvin Böckmann auf Altair de la Cense, insgesamt Fünfter hinter den beiden Australiern Andrew Cooper und Clarke Johnstone.

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