Schiedsrichter:So funktioniert der Videobeweis bei der WM

Fußball WM 2018 - Kontrollraum für Videobeweis

Roberto Rosetti, Leiter des VAR-Projekts, präsentiert den Kontrollraum für den Videobeweis bei der Fußball-Weltmeisterschaft in Russland.

(Foto: dpa)
  • In Russland gibt es erstmals den Videobeweis bei einer WM.
  • Einige Dinge verändern sich im Vergleich zum System in der Bundesliga, unter anderem wird das Videoassistenten-Team größer.
  • Außerdem können die Zuschauer live mitverfolgen, was gerade entschieden wird.

Von Christopher Gerards

Wer die strittigsten Schiedsrichterentscheidungen der Fußballgeschichte finden will, muss nicht lange suchen. Sie erscheinen in Bildergalerien im Internet: das Wembley-Tor 1966, Maradonas bzw. "Gottes" Hand 1986, das nicht gegebene Tor des Engländers Frank Lampard 2010 gegen Deutschland - solche Momente zum Beispiel. Wenn es nach dem Weltverband geht, soll diese Liste künftig nicht mehr länger werden, jedenfalls hoffen das die Verantwortlichen der Fifa.

Denn zur WM in Russland wird es - wie schon in der jüngsten Bundesligasaison - erstmals den Videobeweis geben. Aber wie genau wird das ablaufen? Was ist anders als in Deutschland? Wie ausgereift ist das System? Dazu zusammengefasst die wichtigsten Fragen und Antworten:

Warum gibt es bei der WM in Russland den Videobeweis?

Kurze Antwort: Weil es das Fifa-Council im März so entschieden hat. Längere Antwort: Weil der Weltverband - anders als der europäische Fußballverband Uefa - von dem visuellen Hilfsmittel offenbar überzeugt ist. Fifa-Präsident Gianni Infantino hat in der Welt auf eine Studie verwiesen, wonach bei Anwendung des Videobeweises 99 Prozent der Schiedsrichterentscheidungen richtig seien. Die Neuerung sei "ganz objektiv gesehen eine Hilfe". Noch sei "nicht alles perfekt", er erwartet aber "sicherlich keine wirklich schlimmen Fehler".

Wird der Videobeweis bei der WM genauso ablaufen wie in der Bundesliga?

Klares Jein. Der Videobeweis wird auch bei der WM generell nur in vier entscheidenden Situationen zum Einsatz kommen: bei Torszenen, Elfmeterszenen, roten Karten und Verwechslungen von Spielern.

Was ist anders als in der Bundesliga?

Drei Dinge. Erstens hat der Videoassistent ein größeres Team um sich herum. In der Bundesliga helfen ihm nur zwei Video-Techniker, bei der WM sind es vier. Vor allem aber unterstützen ihn, im sogenannten Video Operation Room in Moskau: ein Assistent, der nur die Livekamera beobachtet (auch während der Videoassistent sich eine Szene noch mal anschaut); ein Assistent, der sich nur um Fragen rund ums Abseits kümmert; und ein Assistent, der den Videoassistenten bei der Beurteilung von Szenen und in der Kommunikation mit dem Abseits-Assistenten unterstützen soll. Anders ist zudem, dass sogenannte kalibrierte Abseitslinien zum Einsatz kommen - sie sollen bestimmen helfen, ob ein Spieler im Abseits stand oder nicht. In der Premierensaison in Deutschland stand diese kalibrierte Linie den Videogutachtern in Köln noch nicht zur Verfügung.

Wer sitzt noch im Videoraum?

Ein Fifa-Mitarbeiter - und das führt zur dritten Neuerung. Denn bei der WM sollen auch die Zuschauer im Stadion und am TV erfahren, warum das Spiel gerade pausiert. Also: warum eine Szene strittig ist, warum das Schiedsrichterteam sie begutachtet. Der zuständige Fifa-Mitarbeiter, ausgestattet mit einem Tablet, informiert die Fernsehsender über den Vorgang. Er kann nämlich laut Fifa-Auskunft hören, was die Schiedsrichter sagen - und sehen, was die Kameras im Kontrollraum zeigen. Außerdem sollen automatisch "VAR-spezifische" Bilder an die Sender und auf die Leinwand im Stadion gehen. VAR steht als Abkürzung für: "Video Assistant Referee".

Kommt der Videobeweis eine WM zu früh?

Wie viele Videoassistenten sind insgesamt bei der WM im Einsatz?

13. Zwei von ihnen kommen aus Deutschland: Bastian Dankert und Felix Zwayer. Auf dem Rasen leiten 35 Schiedsrichter die Spiele - einziger Bundesliga-Schiedsrichter in Russland ist der turniererfahrene Münchner Felix Brych.

Haben alle WM-Videoschiedsrichter Erfahrung mit dem Videobeweis?

Kommt darauf an, wie man Erfahrung definiert. Die Videoassistenten und Referees aus Deutschland, Italien oder Portugal kennen das Verfahren aus ihren heimischen Ligen oder dem nationalen Pokal. Doch das trifft bei Weitem nicht auf alle Schiedsrichter und Videoassistenten aus insgesamt 37 Ländern zu. Der deutsche Videoassistent Dankert glaubt dennoch, dass jeder von ihnen gut vorbereitet ist. Er verweist auf die einjährige Vorbereitung, auf den Confed Cup im vergangenen Jahr, auf die Klub-WM, die U-20-WM und auf mehrere Lehrgänge. "Wir haben seit Februar weitere fünf Wochen zusammengearbeitet", sagte er der SZ. Hinzu kämen weitere Vorbereitungstage in Russland.

Die Schiedsrichter und Videoassistenten kommen aus vielen verschiedenen Ländern: aus Bolivien, Deutschland, Japan, Senegal oder den USA. Könnte es zu Sprachproblemen kommen?

Dankert glaubt das nicht: "Jeder Schiedsrichter und jeder Videoschiedsrichter spricht Englisch", sagt er. Zudem kenne jeder die Fachwörter. "Wenn ich sage: 'On-field review' - dann läuft keiner zu den Zuschauern, sondern geht an den Monitor am Seitenrand und schaut sich eine Situation noch mal an."

Gab es nicht einige Probleme mit dem Videobeweis in der Bundesliga?

Durchaus - weshalb es verschiedene Prognosen für den Einsatz bei der WM gibt. Im Rückblick auf die erste Bundesligasaison bilanzierte Schiedsrichterchef Lutz-Michael Fröhlich, es habe 64 Eingriffe gegeben, "die in Ordnung waren" - und 16 Fehler, die trotz Videobeweis nicht korrigiert wurden. Vor allem zu Saisonbeginn blieb oft unklar, in welchen Fällen der Videoassistent eingreift und welche Kompetenzen er hat. Fröhlich verwies aber auf eine "deutlich geringere Fehlerquote" in der Rückrunde. Doch das wirft die Frage auf: Hätte die Fifa nicht noch warten sollen, bevor sie den Videobeweis bei einer WM einführt? Der frühere Spitzenschiedsrichter Urs Meier aus der Schweiz sagte der Abendzeitung: "Das ganze System ist noch nicht ausgereift. Man hätte die Testphase, die es gab, etwa in der Bundesliga, erst einmal aufarbeiten müssen: Was war gut, wo gibt es Verbesserungsbedarf? Und dann hätte man den Video-Schiedsrichter bei der nächsten WM einsetzen können."

Auch die Verantwortlichen der Fifa betonen zwar den grundsätzlichen Nutzen des Videobeweises - aber sie räumen auch ein, dass es in Russland ab und zu Probleme geben könnte.

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