Süddeutsche Zeitung

Videobeweis:"Das menschliche Auge kommt einfach nicht mehr mit"

In den USA muss der Tennis-Schiedsrichter jetzt zweimal hinschauen: Misstraut der Spieler einer Linienrichter-Entscheidung, kann er den Ballwechsel auf die Großbildleinwand holen lassen.

René Hofmann

Für Arlen Kantarian, den Chef der US-Profi-Tennisvereinigung, ist es die "bedeutendste Änderung seit der Einführung des Tie-Breaks". Ab dem Turnier in Miami, das am 22. März beginnt, gelten im Profitennis in Nordamerika neue Regeln. Der Videobeweis ist fortan erlaubt.

Jeder Spieler erhält pro Satz zwei Möglichkeiten, eine Linienrichterentscheidung in Frage zu stellen. Der strittige Ballwechsel wird anschließend auf die Großbildleinwand projiziert, der Stuhlschiedsrichter entscheidet. Hatte der Spieler mit seinem Einwand recht, wird ihm kein Einspruch angerechnet. Hatte er unrecht, darf er nur noch einmal Protest einlegen. In jedem Tie-Break erhalten beide Spieler zusätzlich eine Möglichkeit zum Einspruch.

Videoleinwände erhöhen Unterhaltungswert

"Das menschliche Auge kommt einfach nicht mehr mit", sagt Kantarian, der die Änderung am Montag bekannt gab. "Diese Technologie wird den Sport zuschauerfreundlicher machen", glaubt Larry Scott, der Chef der Frauenprofitour WTA. "Unser Vorstand hat dem Vorschlag unter der Bedingung zugestimmt, dass alle Turniere, welche die Technik verwenden, Videowände installieren müssen, um den Unterhaltungswert für die Fans zu erhöhen", sagt Etienne de Villiers, der Chef der Männerprofitennistour ATP.

Bei der von Frauen und Männern gemeinsam bestrittenen Veranstaltung in Miami wird eine "Hawk Eye" getaufte Technologie verwendet. Das elektronische Falkenauge verarbeitet Bilder, die von acht um das Spielfeld platzierten Kameras stammen. Flughöhe und Geschwindigkeit des Balles werden ermittelt, ein Rechner kalkuliert dessen Flugbahn bis auf drei Millimeter exakt und stellt diese unmittelbar nach dem Ballwechsel grafisch dar.

Das System ist bereits bei vielen Fernsehstationen Standard, die Tennis übertragen; als Grundlage für Entscheidungen diente es bislang nicht. Erst im September 2005 bestand es eine offizielle Prüfung, beim Turnier in Perth wurde es Anfang dieses Jahres erfolgreich getestet.

Den Videobeweis wird es Ende August auch bei den US Open geben. Die New York Times spekuliert, das System, das im Arthur Ashe und im Louis Armstrong Stadion installiert werden soll, dürfte 250000 Dollar kosten. Gemessen an den 15,8 Millionen Dollar Preisgeld, um die es geht, ist das eine überschaubare Investition. Das Turnier in New York wird die erste Grand-Slam-Veranstaltung sein, die auf die Technik zurückgreift.

Hawk-Eye passt nicht zu Wimbledon

Die Australian Open, wo ebenfalls auf Hartplätzen gespielt wird, experimentierten bislang lediglich mit dem Hawk-Eye-System. Bis zum Turnier im kommenden Januar soll dieses oder ein ähnliches zuverlässig genug sein, um eingesetzt zu werden. Bei den French Open und in Wimbledon ist derartiges nicht geplant. In London passt es nicht zum Anspruch der traditionsreichen Veranstaltung, in Paris verraten die Spuren im Sand, wo die Bäll landen.

Die Spieler reagierten positiv auf die Ankündigung. "Die neue Technologie bringt dem Spiel ein ganz neues Element", wird Andre Agassi in einer Pressemitteilung zitiert: "In meinen 20 Jahren als Tennisprofi ist das eine der aufregendsten Neuerungen."

"Ich finde es aufregend, wenn wir neue Technik benutzen und damit experimentieren", sagte der Amerikaner James Blake, derzeit der Vierzehnte der Weltrangliste, in einem Telefoninterview. Der ehemalige Profi Jim Courier prophezeit hingegen: "Wir werden uns alle wundern, wie gut die Linienrichter wirklich sind."

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Quelle:
SZ vom 7.3.2006
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