VfL Wolfsburg:Unter Labbadia tut sich: nichts

VfL Wolfsburg: Ein Retter? Wolfsburgs Trainer Bruno Labbadia.

Ein Retter? Wolfsburgs Trainer Bruno Labbadia.

(Foto: AP)
  • Drei Szenarien sind für den VfL Wolfsburg in dieser Saison noch denkbar: Klassenerhalt, Relegation, Abstieg.
  • Im Umfeld glaubt kaum noch jemand an den Verein.
  • Die Fans singen wiederholt: "Wir steigen ab, wir kommen nie wieder, wir haben Bruno Labbadia."

Von Javier Cáceres, Wolfsburg

Die Stimmung beim VfL Wolfsburg? Blendend! Natürlich gehe das, was in und um den Verein herum passiert, nicht spurlos an einem vorbei, aber: "Es läuft sehr gut im Moment bei uns!", sagt der Trainer am Dienstag. Jedoch: Es ist nicht der Männer-Coach Bruno Labbadia, der da spricht. Sondern Stephan Lerch, der Trainer des Frauenteams, das am Mittwoch gegen Freiburg spielt und noch das Triple gewinnen kann: die Meisterschaft, den Pokal, die Champions League.

Die VfL-Frauen fahren am 24. Mai nach Kiew, um sich im Königsklassen-Finale mit Olympique Lyon zu messen. Die Männer dürfen, wenn sie am Samstag gegen Köln nicht noch den 16. Tabellenplatz verspielen, nach Kiel. Zum Relegationsspiel gegen den Dritten der zweiten Liga.

Allein die Personalkosten liegen jenseits der 80 Millionen Euro

Dass den Verantwortlichen die Lage der Männermannschaft die Röte ins Gesicht treibt, war schon am Samstag zu beobachten gewesen. Tim Schumacher, der VfL-Geschäftsführer, trug Flecken im Gesicht, als er nach dem 1:4 bei RB Leipzig durch die Mixed Zone stapfte, und lehnte jeden Kommentar ab. Dass der VfL es noch in der eigenen Hand hat, die vor rund 20 Jahren erworbene Erstliga-Zugehörigkeit zu halten, war die positive Conclusio eines Samstags gewesen, an dem der VfL zum wiederholten Mal wie ein Absteiger spielte. Man merke, dass immer weniger Menschen an den VfL glauben würden, sagte Trainer Labbadia später. Und das Schlimme, aus Wolfsburger Sicht, war: das Gefühl, dass unter den Menschen, die nicht mehr an den VfL glauben, allmählich auch immer mehr VfL-Profis sind. Profis, die verpflichtet worden waren, um den Ruhm des größten Autobauers der Welt zu mehren. Denn der VfL Wolfsburg ist eine Volkswagen-Tochter, zu einhundert Prozent.

Man mag es für eine Ironie eines solch abstrakten Begriffs wie Schicksal halten oder nicht: dass der Abstieg des VfL mit der Krise des VW-Konzerns zusammenfällt, ist so augenscheinlich, dass es fast schon Angst macht. Lange wusste VW nicht so recht, was man mit dem VfL anfangen sollte, bis 2007 ein Game-Changer an die Spitze des Konzerns kam: Martin Winterkorn, ein Mann, der den Fußball schätzte, den VfL mit mehr Geld versorgte als seine Vorgänger - und Rendite einstrich.

Der VfL Wolfsburg wurde 2009 Meister, 2015 Pokalsieger, in der Champions League maß man sich mit Real Madrid. Dann kam, 2015, die "Diesel-Affäre" um manipulierte Abgaswerte, milliardenschwere Strafen in den USA, der Verschleiß von Vorstandschefs. Und während sich VW im Dickicht der Negativ-Schlagzeilen verfing, blieb auch beim VfL kein Stein auf dem anderen. Der Mann, der als Manager den Höhenflug initiierte, Klaus Allofs, wurde von seinen Aufgaben entbunden; extrem teure Spieler wie Kevin De Bruyne, André Schürrle oder Julian Draxler wurden wieder verkauft.

Den Umbruch dirigierte Allofs' vormaliger Assistent Olaf Rebbe, der 100 Millionen Euro für Transfers in die Hand nahm und immer neue Trainer holte. In dieser Saison: Andries Jonker, Martin Schmidt, Labbadia. Trainer unterschiedlicher Stilausprägungen also, die nur eines gemein haben: Dass sie mit dem Kader nichts anfangen konnten, den Rebbe zusammengestellt hatte. Rebbe ist nun auch schon wieder weg, der Verein faktisch führungslos, seit Tagen ist die verbliebene Führung auf Tauchstation, die Elf nervlich am Ende - und das in einer Situation, in der "Fußball für Volkswagen wichtiger denn je" ist, wie VW-Markenvorstand Jürgen Stackmann im WDR sagte.

Hat sich eigentlich jemand damit beschäftigt, wie es weitergeht?

Die Sponsorenverträge mit diversen Bundesligisten, dem Deutschem Fußball-Bund und der europäischen Fußball-Union Uefa lässt man sich angeblich einen mittleren dreistelligen Millionenbetrag kosten. Allein die Personalkosten des VfL liegen geschätzt jenseits der 80 Millionen Euro. Doch werben lässt sich mit dem VfL nicht mal mehr in Wolfsburg: Sogar in der örtlichen WAZ haben sich die VW-Manager als inkompetent abkanzeln lassen müssen. "Fußball ist nicht die Welt der Wiedervorlagemäppchen und distinguierten Meetings bei stillem Wasser", hieß es dort in einem Kommentar, der sich wie ein offener Brief las: Wenn man "zu beschäftigt" sei, "weil ihr die ganze Zeit an euren Auspuffen riechen und eure Sessel im obersten Stockwerk neu sortieren müsst, dann sucht euch wenigstens fähiges Personal!"

Wobei: Sie dachten ja, das mit Labbadia gefunden zu haben. Ihm haftete die Aura des Retters an, er hatte in Stuttgart und Hamburg die Liga gehalten. Nur: Sein Ruf hat Schaden genommen, in Wolfsburg wird allmählich gefragt, wer den Hamburger SV denn 2015 rettete: Labbadia oder doch Schiedsrichter Manuel Gräfe, der dem HSV im Relegationsspiel gegen Karlsruhe jenen Freistoß zusprach, der keiner war und den Marcelo Díaz verwandelte. Unter Labbadias Führung jedenfalls hat der VfL von zehn Spielen eines gewonnen. "Wir steigen ab, wir kommen nie wieder, wir haben Bruno Labbadia", sangen die VfL-Anhänger am Samstag wieder.

Die Anhänger können es immer weniger fassen, dass Konkurrenten wie Werder Bremen und sogar der HSV zumindest so etwas wie fußballerische Zukunftsperspektive entwickelten. Unter Labbadia hingegen tut sich beim VfL: nichts.

Womöglich reicht's am Ende noch, wie schon im vorigen Jahr per Relegation oder auch durch den - theoretisch möglichen - direkten Klassenerhalt. Und wenn nicht? Die Lizenzunterlagen für die zweite Liga sind eingereicht, eine Formalie. Doch beim VfL ist zu hören, dass sich niemand mit der Frage auseinandergesetzt hat, wie es bei Abstieg weitergehen soll. Die Konstante der Saison bleibt: Man will es nicht wahrhaben.

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