VfL Wolfsburg: Tuncay Sanli:Attraktion aus Anatolien

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Der kampfstarke Türke Tuncay Sanli soll das dröge Spiel des VfL Wolfsburg vitalisieren. Der trainierte einst unter Werner Lorant - und entspricht gar nicht dem Klischee türkischer Fußballer.

Tobias Schächter

Tuncay Sanli, das haben sie in Wolfsburg schnell gemerkt, ist nicht irgendwer in seiner Heimat. Seit der türkische Nationalspieler am vorigen Montag einen Vertrag beim VfL unterschrieben hat, herrscht am Trainingsgelände reger Betrieb. Deutsch-Türken, die ihr Idol einmal leibhaftig bewundern wollen, und natürlich viele türkische Journalisten werden seither im nicht gerade als Touristenziel bekannten Wolfsburg gesichtet.

Stolzer Türke: Tuncay Sanli bei der EM 2008. (Foto: REUTERS)

Das von ihm selbst scherzhaft in die Welt gesetzte Gerücht, er wolle die nun bei türkischen Fans stark gefragten Tickets für VfL-Spiele selbst bezahlen, hat Tuncay allerdings schnell wieder revidiert: "Sonst kann ich mein Gehalt ja gleich wieder abgeben." Ja, es wurde viel gelacht bei der Vorstellung von Tuncay Sanli in Wolfsburg, wo es zuletzt kaum Anlass für gute Stimmung gegeben hatte.

Tuncays Ankunft in Deutschland ist eine der interessantesten Geschichten dieser Wechselperiode. Gekommen ist er für vier Millionen Euro von Stoke City aus England, dort war er zuletzt meist nur Reservist. Für die zuletzt oft leblos Fußball spielenden Wolfsburger könnte sein mitreißender Stil dennoch vitalisierend wirken.

Tuncay selbst erhofft sich durch einen Stammplatz in der Bundesliga eine Stärkung seiner Position in der türkischen Nationalelf. Mit 80 Einsätzen ist der schnelle 29-Jährige dort mittlerweile ein Veteran. Vor dem Debakel vorigen Herbst in der EM-Qualifikation in Berlin, als die Türkei 0:3 gegen Deutschland verlor, hatte es jedoch Kritik von der türkischen Presse gegeben, weil Tuncay in der Nationalmannschaft spiele, aber keinen Stammplatz in Stoke habe.

Trainer Guus Hiddink will das Team nun verjüngen, bislang war Tuncay gesetzt. Hiddink setzte den vielseitigen Offensivspieler zuletzt als einzige Spitze ein. Tuncays Stärken wie Schnelligkeit und Draufgängertum kommen aber besser zum Tragen, wenn er aus der zweiten Reihe mit Anlauf die Stürmer unterstützt.

In Wolfsburg haben sie jetzt in Patrick Helmes, Grafite und Dieumerci Mbokani drei klassische Stürmer. Im Prinzip kann Tuncay alles spielen, bei der EM 2008 stand er gegen Tschechien sogar für die letzten Minuten im Tor der Türken; Keeper Volkan war vom Platz gestellt worden. Die Wolfsburger Konkurrenz scheut er nicht: "In der Türkei habe ich mich früher aufgeregt, wenn ich nicht gespielt habe. Mittlerweile habe ich Geduld gelernt. Das wichtigste ist guter Teamgeist", sagt er.

Das sagt wohl jeder Profi, wenn er irgendwo anheuert, aber weil Tuncay Tuncay ist, fügt er an: "Mir ist klar, dass es mein Trikot nicht einfach so gibt, sonst könnte ich ja in den Fanshop gehen."

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Tuncay entspricht nicht dem Klischee türkischer Fußballer. Er ist ein spektakulärer Spieler, der nie einen Ball verloren gibt, immer aufmunternd auf Mitspieler und Fans einwirkt und so seine manchmal unbeholfen wirkenden Aktionen mit Einsatz wettmacht. Er ist technisch gut, aber kein Künstler - vielleicht deshalb, weil er erst mit 14 Jahren begann, Fußball zu spielen. Bei Fenerbahce Istanbul wurde er Publikumsliebling: "Cesur yürek" (Brave Heart) und "Fenerbahce'nin ruhu" (Die Seele von Fenerbahce) nannten sie ihn dort, nachdem er 2002 vom Zweitligisten Sakaryaspor zu den "Kanarienvögeln" gekommen war.

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Ein gewisser Werner Lorant war Tuncays erster Trainer bei Fenerbahce. Der deutsche Zampano erkannte Tuncays Talent und machte ihn zum Stammspieler. Geprägt hat Tuncay auch die Zusammenarbeit mit Christoph Daum, mit dem er zwei Meisterschaften bei "Fener" feierte. In Murat Kus unterstützt nun ein Bekannter aus jener Zeit Tuncay in Wolfsburg. Kus war Daums Co-Trainer bei Besiktas und Fenerbahce und in Köln unter Daum kurzzeitig Sportmanager.

Tuncay gehört zu einer Generation türkischer Spitzenspieler, die - anders als ihre Vorgänger - ihre Chance im Ausland suchen. 2007 wechselte er nach England, zum FC Middlesbrough. Die Fener-Fans verhöhnten bei schlechten Spielen noch lange nach seinem Weggang die eigenen Profis mit den Worten: "Wir haben nur einen Spieler, das ist Tuncay."

Der Sprung zu einem Top-Klub gelang aber nicht; 2009 wurde Tuncay zwar von den Middlesbrough-Fans zum Spieler der Saison gewählt, doch der Klub stieg ab. Nach anderthalb Jahren in Stoke will Tuncay nun in den nächsten dreieinhalb Jahren mit Wolfsburg zurück ins internationale Geschäft. In der Champions League erzielte er für Fenerbahce einmal einen Hattrick gegen Manchester United.

Es war ein langer Weg für Tuncay von Werner Lorant zu Steve McClaren. Skandale lieferte er auf dieser Strecke keine, jetzt will es der lebensfrohe Türke noch einmal wissen. "Der VfL hat einen guten Ruf", sagt er, Angebote aus der Türkei habe er abgelehnt. Von seinem neuen Trainer McClaren, der wie er einst in Middlesbrough wirkte, habe er in England viel gehört: "Nur Gutes", sagt Tuncay. Eine Loge wollte er übrigens in der VfL-Arena kaufen, für seine Familie und Freunde - so wie sein brasilianischer Kollege Diego. Hat nicht geklappt, sind alle verkauft. Kein Witz.

© SZ vom 03.02.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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