Süddeutsche Zeitung

VfL Wolfsburg:Schürrle sucht sich selbst

  • Es läuft nicht für André Schürrle beim VfL Wolfsburg: Mittlerweile wird er von seinem Trainer offen kritisiert.
  • Schürrles erschreckende Bilanz zuletzt gegen Hannover: null Tore, null Torschüsse, null Torvorlagen, null Torschussvorlagen.
  • Hier geht es zu Wolfsburgs Gruppe in der Champions League.

Von Carsten Eberts

Am Dienstag ist der VfL Wolfsburg nach Manchester geflogen, zu einem dieser Duelle, die für das neue Selbstverständnis des Klubs stehen. Nach fünf Jahren Pause darf sich der VfL mit den besten Klubs in der Champions League messen und Werbung für den eigenen Standort betreiben. Denn es steht ja zu befürchten, dass im Nordwesten Englands noch immer nicht alle wissen, dass auf dem flachen Land zwischen Hannover und Berlin ziemlich anständiger Fußball gespielt wird.

Für diese Abende in schillernder Champions-League-Atmosphäre wurde im Februar auch André Schürrle verpflichtet, doch es ist derzeit so eine Sache zwischen dem Nationalstürmer und dem VfL. Die Beziehung hakt, obwohl sich beide Seiten wohlgesonnen sind. Sie hakt so sehr, dass sich Trainer Dieter Hecking erstmals veranlasst sah, seinen 32-Millionen-Kauf einer öffentlichen Einzelkritik zu unterziehen.

Null Tore, null Vorlagen

"Wir haben eine Erwartungshaltung an ihn, die besser sein muss, als das, was er bisher gezeigt hat", hat Hecking im Doppelpass moniert. Seine Worte schlugen ein, so harsch war der Weltmeister, der vom FC Chelsea kam, in Wolfsburg noch nicht angegangen worden. Gut möglich, dass der sonst so loyale Hecking Gefallen an dieser Form der Spielermotivation gefunden hat: Vor kurzem warf er Stürmer Bas Dost vor, die falsche Einstellung zu seinem Beruf zu haben ("Egoismus pur"). Das Ergebnis: Dost trifft beständig, auch am vergangenen Samstag gegen Hannover. Bei fünf Saisontoren ist er nach sieben Spieltagen angelangt.

Schürrle hingegen steht derzeit bei null Treffern, auch bei null Torvorlagen. Seine Bilanz gegen Hannover war mitleiderregend: null Tore und null Torschüsse, auch null Torvorlagen und null Torschussvorlagen. Die beiden Flanken, die er schlug, missrieten ihm. Und das, obwohl er über 75 Minuten auf dem Platz rackerte. Die Frage ist, ob Heckings Art der Spielermotivation auch bei ihm funktioniert.

Lange haben sie in Wolfsburg die Hand über Schürrles Leistungen gehalten. Hecking und Manager Klaus Allofs hatten Gründe, ihren Spieler zu schützen, denn sie wissen, dass Schürrles Spiel ein Spezielles ist. Der Nationalspieler braucht Freiräume, die er mit seinem gewaltigen Antritt erkunden kann, gleichzeitig aber vollkommene Bindung zum Spiel - das Gefühl, wo ein Mitspieler steht und wo nicht.

Funktioniert das, ist Schürrle eine offensive Waffe, die nur schwer zu kontrollieren ist. Dann ist kaum einer schneller mit dem Ball, und dringt Schürrle in den Strafraum ein, kommt ihm zugute, dass er gerade zu Beginn seiner Karriere häufig als reiner Stürmer agiert hat. Wie gefährlich Schürrle sein kann, hat er im WM-Finale gegen Argentinien der ganzen Welt gezeigt, als er über links den entscheidenden Treffer von Mario Götze herausragend vorbereitet hat. Doch so voller Esprit und Selbstvertrauen haben sie Schürrle in Wolfsburg nur selten erlebt.

Ihm fehlen die zündenden Momente, er wirkt gehemmt. Ein halbes Jahr versuchte Schürrle sich auf die Laufwege und Ideen von Kevin De Bruyne einzustellen, bis dieser den Klub verließ. Nun muss er sich am neuen Taktgeber Julian Draxler orientieren, der ganz andere Ideen mitbringt. Häufig sitzt der gebürtige Ludwigshafener auf der Bank oder wird nur eingewechselt. Gegen Hannover verhedderte er sich zu häufig in Eins-gegen-eins-Situationen, von denen er die allermeisten verlor. Das Publikum murrt, wenn sich Schürrle wieder und wieder festrennt.

"Er grübelt vielleicht zu viel"

Schürrle wirkt frustriert, spricht kaum, will sich nicht öffentlich rechtfertigen. "Er hat im Moment nicht das Gefühl für die Situation, wo er dann erfolgreich sein kann", erklärt Hecking. Deshalb könne er Schürrle auch vor der Kritik nicht schützen. Hecking setzt auf die Einsicht seines Spielers, der sich ja kritisch hinterfrage. "Er grübelt vielleicht zu viel", vermutet der Trainer, das habe er Schürrle auch persönlich gesagt. Wenig deutet darauf hin, dass es bei dem 24-Jährigen gegen Manchester United (Mittwoch, 20.45 Uhr, Liveticker auf SZ.de) "klick" macht und es danach wie von selbst läuft.

Seinen besten Auftritt der vergangenen Wochen hatte Schürrle nicht auf dem Platz, sondern im Studio eines Internet-Fernsehsenders. Der Nationalspieler machte bei einem Scherz der Redaktion von Rocket Beans TV mit und setzte sich zur Moderatorin aufs Sofa, die ihn fälschlicherweise für einen szenebekannten Computerspieler hielt. Die arme Frau stellte dem Fußball-Weltmeister eine Gamer-Nerd-Frage nach der anderen - Schürrle spielte mit, ehe er sich vor Lachen auf dem Sofa krümmte.

Es tat ihm gut, für ein paar Momente einfach mal nicht André Schürrle zu sein.

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