VfL Wolfsburg:Missglückter Familien-Besuch

Julian Draxler kehrt zu seinem Jugendklub Schalke 04 zurück - und geht dort mit dem VfL Wolfsburg unter. Ein exemplarischer Fall.

Von Ulrich Hartmann, Gelsenkirchen

Horst Heldt passt in keinen Mafia-Film. Schon vom Typ her nicht, dem Schalker Fußballmanager fehlt das Bitterböse in den Augen. Manchmal aber sagt Heldt Sätze wie aus einem Mafia-Film. Zuletzt am Samstag nach dem Gastspiel von Julian Draxler, der 14 Jahre lang bei Schalke war und nun im Trikot des VfL Wolfsburg in der Gelsenkirchener Arena zurückkehrte. Die Fans haben ihn bei jedem Ballkontakt ausgepfiffen. Draxler hat unbedrängt Bälle ins Aus geschossen. Er war übernervös, aber das dürfte auch daran gelegen haben, dass die Wolfsburger einen miserablen Tag erwischt und 0:3 (0:2) verloren haben. Heldt sagte hinterher lächelnd, man brauche wegen der Pfiffe kein Mitleid mit Draxler zu haben. So seien die Fans nun mal, und die Fußballer wüssten das auch. Dann sagte Heldt im Tonfall eines Mafia-Paten: "Da hat jemand von sich aus die Familie verlassen - und so etwas kommt hier eben nicht gut an."

Der 22-jährige Draxler wechselte Ende August nach Wolfsburg, verdient dort sehr viel mehr Geld und spielt mit dem VfL in der Champions League. Was ihm seither fehlt, sind die "Schalker Familie" und der persönliche Erfolg, denn Draxler hat sein Potenzial in Wolfsburg noch nicht richtig zeigen können. Damit steht er nicht allein. Der Begriff "Krise" ist in der Stadt Wolfsburg derzeit allgegenwärtig. Der Volkswagen-Konzern hat erhebliche Sorgen, und die Fußball-GmbH als seine 100-prozentige Tochter neuerdings auch. "Das ist jetzt etwas anderes als das, was die Spieler in den vergangenen zwei Jahren erlebt haben", sagt der Sportchef Klaus Allofs. Das Null-Drei auf Schalke war für die Wolfsburger das siebte sieglose Ligaspiel in Serie. Die Mannschaft, die am übernächsten Mittwoch im Champions-League-Achtelfinale beim KAA Gent in Belgien spielt, ist in der Bundesliga-Tabelle ins Mittelfeld abgerutscht. Der Rückstand auf den vierten Platz, auf Schalke, beträgt schon sechs Punkte. "Wir machen aus der Champions League jetzt aber kein Tabu-Thema, unser Anspruch darf ruhig hoch bleiben,", sagt Allofs. "Aber dazu müssen wir in den nächsten Spielen wieder mehr arbeiten, mehr investieren und auch bei einem Rückstand die Nerven bewahren."

23 Polizisten von Schalke-Fans verletzt

Randalierende Schalke-Fans haben am Hauptbahnhof Gelsenkirchen am Samstag 23 Polizisten verletzt. Sie warfen nach dem Spiel gegen Wolfsburg Flaschen und Steine auf die Beamten, die gerade die Abreise der Wolfsburger Gästefans sicherten. Das teilte die Polizei mit. Anschließend verschanzten sich die Randalierer in einem nahen Vereinsheim. Die Polizei stellte später die Identität von 143 Fans fest und sprach Platzverweise aus. dpa

Den Wolfsburgern fehlten am Samstag Spieler wie Luiz Gustavo, Maximilian Arnold, Bas Dost und André Schürrle. Verklärenden Wolfsburg-Sympathisanten mag das als Grund dafür dienen, warum es in der Mannschaft nicht lief. Doch der zuständige Manager Allofs verklärt das keineswegs. "Diese Ausfälle reichen mir als Erklärung nicht", sagte er, "wir können es auch in dieser Formation besser spielen." Im Mittelfeld bildeten so namhafte Profis wie Vieirinha, Max Kruse, Draxler und Daniel Caligiuri eine Viererkette, dahinter spielte als Sechser Josuha Guilavogui, davor als Neuner Nicklas Bendtner. Dieses Gebilde zerbrach geradezu, nachdem man den Schalker Klaas-Jan Huntelaar zum Schalker Führungstreffer (24.) teilnahmslos eskortiert hatte. "Wie war denn eigentlich der taktische Plan im Mittelfeld?", wurde Caligiuri nach dem Spiel gefragt. "Wir wollten schon gewinnen", antwortete er.

Immer wieder wurde der 27-Jährige nach den Ursachen der Formschwäche gefragt, nach mentalen Problemen und taktischen Defiziten, aber entweder konnte er darauf nicht antworten - oder er wollte nicht. "Wir müssen uns in den nächsten Wochen als Mannschaft präsentieren, als Einheit", wiederholte er monoton. Wolfsburg ist der schwächste Bundesligist der jüngsten sieben Spieltage und das schlechteste Auswärtsteam der gesamten Saison.

Allofs sieht die Krise als mentale Herausforderung. "Monatelang sind dieser Mannschaft alle Dinge gelungen, aber jetzt ist sie in einer neuen Situation", sagt er. "Damit muss man erst mal klarkommen, aber einige können das noch nicht." Beim Versuch, sich in schwieriger Lage zu stabilisieren, schaut der Sportchef nun genau auf jeden einzelnen Spieler. Allofs will ausloten, welche Profis dem Klub weiterhelfen - und welche nicht: "Auf diesem Weg wird man den einen oder anderen Spieler verlieren, das gehört dazu, wenn man zu einer Spitzenmannschaft wachsen will. Aber ich hoffe, dass es nicht so viele werden." Ein Verlust wiegt noch immer schwer: Dem VfL fehlt nicht nur Kevin De Bruyne, der Antreiber, der zu Manchester City ging, sondern grundsätzlich einer, der die Dinge ordnet. Der VfL, das hat sich auf Schalke bestätigt, hat aktuell ein Führungsspieler-Vakuum.

VfL Wolfsburg: Die einen kämpferisch - die anderen ratlos. Die Szene mit Schalkes Leroy Sane (l.) und Wolfsburgs Josuha Guilavogui symbolisiert die Grundhaltung beider Teams beim Duell in Gelsenkirchen.

Die einen kämpferisch - die anderen ratlos. Die Szene mit Schalkes Leroy Sane (l.) und Wolfsburgs Josuha Guilavogui symbolisiert die Grundhaltung beider Teams beim Duell in Gelsenkirchen.

(Foto: Norbert Schmidt/AFP)

Allofs sagt, Rückschläge auf dem Weg nach oben dürften jetzt niemanden überraschen; er suggeriert, dass Wolfsburg, der amtierende DFB-Pokalsieger, derzeit nur einen Umweg nimmt auf jener Reise, die ihn zurück in den Dunstkreis des FC Bayern führen soll. Gemessen an den jüngsten Leistungen wird es ein sehr weiter Weg.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: