Süddeutsche Zeitung

Wolfsburg in der Champions League:Ob diese Chance so schnell wiederkommt?

Der VfL Wolfsburg hadert mit dem verlorenen Finale gegen Lyon - zumal eine der besten Spielerinnen weltweit vor dem Absprung steht. Zur Verarbeitung der Enttäuschung bleibt nur wenig Zeit.

Von Anna Dreher

Wendie Renard gab die Richtung vor, gemeinsam mit Eugénie Le Sommer und Amandine Henry. Die Spielerinnen von Olympique Lyon hüpften vergnügt auf der Stelle vom linken Bein aufs rechte, sie riefen "eins, zwei, drei, vier, eins, zwei, drei, vier, eins, zwei, drei, vier, eeeeeh!", machten danach ein paar Schritte zur Seite und begannen wieder von vorne. Eine bestens einstudierte und schon oft in den verschiedensten Kabinen Europas gezeigte Darbietung, festgehalten in einem Video. Die Zählweise bei dem traditionellen Siegestanz der Französinnen allerdings passte nicht so ganz zu diesem Abend, an dem doch alles auf die Zahl sieben ausgerichtet war.

Auf einem Holztisch in der Mitte des Raumes waren Sektflaschen versammelt - und Lyons Fixpunkt dieser Saison. Den mit geschwungenen Henkeln verzierten silbernen Pott hatte Renard bei der Siegerehrung ein paar Minuten vor der Umkleidenparty als Erste in die Hände bekommen. Auch da tanzte sie, dann stemmte sie die Trophäe im blau-weißen Lamettaregen in den Nachthimmel. Wenige Meter entfernt standen die schwer enttäuschten Spielerinnen des VfL Wolfsburg auf dem Rasen, in einer Reihe, manch eine mit Tränen in den Augen oder gar abgewandt von der ausgelassenen Feier der anderen. So sehr waren sie davon überzeugt gewesen, dass sie es dieses Jahr sein würden, die im Konfettiregen tanzen. Aber in dieser Nacht war Lyon wieder einmal unbezwingbar gewesen.

Das Finale der Champions League entschied Olympique im Estadio Anoeta von San Sebastián 3:1 (2:0) für sich und hat damit Historisches geschafft. Zum siebten Mal hat die Auswahl den wichtigsten europäischen Klubtitel bei den Frauen gewonnen, fünfmal gar in Serie. Diese Bestmarke hatte bis zuletzt allein Real Madrid gehört, dessen Fußballer von 1956 bis 1960 an der kontinentalen Spitze thronten - wie nun die Fußballerinnen von Lyon, die seit 2016 branchenführend sind und am Sonntag weitere Rekorde aufstellten.

54 Jahre lang war Reals herausragender Außenstürmer Francisco Gento die einzige Person, die in diesem Wettbewerb sechs Mal als Sieger die Trophäe überreicht bekam. Lyons Renard, Le Sommer und Torhüterin Sarah Bouhaddi haben dies nun als erste in der Geschichte dieses Sports je sieben Mal geschafft. Für die deutsche Nationalspielerin Dzsenifer Marozsán war es der fünfte Erfolg. "Meine Spielerinnen", sagte ihr Trainer Jean-Luc Vasseur, "wollten Geschichte schreiben. Sie haben vor ein paar Jahren damit angefangen und ich glaube nicht, dass wir bald aufhören."

Während die Siegerinnen ausgelassen tanzten und lachten, biss sich Alexandra Popp bei der Pressekonferenz auf die Lippe. Ihr leerer Blick war in die Ferne gerichtet, bevor sie sich bemühte, Worte zu finden. "Wir haben eine tolle Saison gespielt, wir können stolz auf uns sein", sagte Wolfsburgs Kapitänin schließlich: "Wir hatten die Möglichkeit, Lyon zu schlagen. Das hat man gesehen, wenn wir vorne Druck gemacht haben. Leider haben wir wieder mal zu spät damit angefangen." Warum sie zu spät damit angefangen hatten, obwohl im Viertelfinale der FC Bayern genau auf diese Weise Lyon in Schwierigkeiten gestürzt hatte? "Es ist nicht unser Anspruch, eine andere Mannschaft zu kopieren", erklärte der neben Popp sitzende Trainer Stephan Lerch. "Unsere Stärken liegen im Umschaltspiel, und Lyons Qualität ist gerade im Aufbauspiel bekannt. Uns haben einfach ein paar Prozente gefehlt."

Vor diesem Endspiel war Wolfsburg in 40 Partien ungeschlagen gewesen. Zuletzt hatte der VfL im Champions-League-Viertelfinale 2019 verloren - gegen Lyon. Im Duell der beiden Doublesieger verpassten es die Wolfsburgerinnen nun auch, zum zweiten Mal nach 2013 das Triple zu holen. Wie damals wäre es ein deutscher Doppelerfolg gewesen, nachdem eine Woche zuvor die Männer des FC Bayern in der Champions League vorgelegt hatten.

Aber das Team von Lerch fand einfach nicht in seinen Rhythmus, bei der dritten Niederlage im vierten Finale gegen die Französinnen. Lyon trat im Gegensatz zu den ersten, nervösen Spielen dieses Turniers präsent und dominant auf - obwohl wichtige Akteurinnen verletzt oder gesperrt fehlten. Selten rissen die Wolfsburgerinnen das Spiel an sich, meist agierten sie zu hektisch und machten Fehler.

Das 1:0 von Le Sommer in der 25. Minute - ihr 47. Tor in der 75. Europacup-Partie - folgte auf einen Pass der überragenden Delphine Cascarino, die den Wolfsburgerinnen immer wieder entwischte. Das 2:0 von Saki Kumagai (44. Minute) bereitete die 23-Jährige mit einer Flanke vor. Auf den Anschlusstreffer von Popp per Kopfball (57.) folgte die bittere Pointe. Ausgerechnet Sara Bjork Gunnarsdóttir, die bis vor ein paar Wochen noch das Trikot des VfL trug, machte in der 88. Minute alle Hoffnung ihrer früheren Mitspielerinnen auf eine Wende zunichte. Le Sommer schoss aufs Tor, Gunnarsdóttir lenkte den Ball zum 3:1 hinein. "Sie hat sich bei mir entschuldigt dafür", erzählte Popp später: "Aber das war ja nicht der Grund, warum wir das Spiel verloren haben."

Ob diese Chance so bald wiederkommt? Im europäischen Wettbieten um die Besten sind inzwischen andere führend. "Wenn wir es schaffen, uns in den nächsten Jahren mit diesen großen Klubs für das Viertelfinale zu qualifizieren, dann haben wir vieles richtig gemacht", hatte Ralf Kellermann, Sportlicher Leiter des VfL, dem Deutschlandfunk vor dem Finale gesagt: "Manchester United gibt extrem viel Gas, Real Madrid ist jetzt mit dabei, die Italiener schlafen auch nicht." Pernille Harder, Wolfsburgs überragende Stürmerin, wird wohl zum englischen Meister Chelsea LFC umziehen, wo sie auf Melanie Leupolz trifft, die vom FC Bayern ebenfalls nach London wechselte. Der VfL kündigte für Dienstag eine offizielle Mitteilung dazu an. Ein schwerer Verlust auch für die Bundesliga, der zum Auftakt an diesem Freitag (19.15 Uhr, Eurosport) eines ihrer bekanntesten Gesichter fehlen dürfte. Den Wolfsburgerinnen bleibt nur wenig Zeit, ihre Enttäuschung zu verarbeiten: Sie eröffnen die Saison gegen die SGS Essen.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5015911
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 01.09.2020/ska
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.