VfL Wolfsburg:Früher als gedacht

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Eine der begehrtesten Offensivspielerinnen Europas: Pernille Harder, 27, vom VfL Wolfsburg besticht mit ihrer Kreativität und Effizienz. (Foto: POOL/REUTERS)

Wolfsburgs Top-Stürmerin und Fußballerin des Jahres Pernille Harder steht offenbar vor einem Wechsel zum FC Chelsea.

Von Anna Dreher, San Sebastián/München

In dem Gespräch mit dem Telegraph ging es eigentlich um Magdalena Eriksson selbst. Aber die Sätze, die die schwedische Fußballnationalspielerin vom englischen Meister Chelsea LFC der britischen Zeitung vor wenigen Tagen gesagt hat, waren für die gesamte Bundesliga äußerst interessant. "Hier tut sich was, das ist der Ort, an dem man sein muss", sagte Eriksson. Angesichts der Vielzahl von Talenten, die diesen Sommer in die Women's Super League (WSL) gekommen sind, würde sie "nirgendwo anders sein wollen". Die 26-Jährige ist die Lebensgefährtin von Pernille Harder, Leistungsträgerin des deutschen Doublesiegers VfL Wolfsburg. Seit geraumer Zeit ist es der offen kommunizierte Wunsch des Paares, wieder zusammen leben und spielen zu können. Wenn also Eriksson in London bleiben will, dann...?

Dass Harder, 27, als eine der international gefragtesten Offensivspielerinnen nicht mehr lange von Wolfsburg gehalten werden können würde, war klar. Ausgerechnet einen Tag bevor der VfL im Finale der Champions League am Sonntag im spanischen San Sebastián auf Titelverteidiger Olympique Lyon trifft, wurde nun bekannt: Harder wird die Bundesliga wohl schon nach dem Endspiel verlassen. Übereinstimmenden Medieninformationen zufolge wird sie, entgegen der bisherigen Annahme, ihren im Sommer 2021 endenden Vertrag nicht erfüllen. Die dänische Nationalspielerin soll für angeblich 350 000 Euro zu Chelsea wechseln und also mit Eriksson fortan zusammenspielen. Das berichtete als erstes das Portal Sportbuzzer. Diese Summe wäre eine Rekordablöse in der Bundesliga. Üblich sind Transfers im Frauenfußball nach wie vor ablösefrei bei Ablauf eines Vertrages. Offiziell bestätigt wurde die Nachricht allerdings noch nicht. "Unsere Konzentration gilt dem Finale am Sonntag, wir kommentieren vorher keine Personalien", sagte ein VfL-Sprecher.

Der Wechsel würde zur Entwicklung des europäischen Frauenfußballs passen. Die einst äußerst beliebte Bundesliga hat vor allem aus Spanien, Frankreich und England starke Konkurrenz bekommen. Zwar wechseln Top-Spielerinnen auch innerhalb der Liga wie zuletzt Kathrin Hendrich vom FC Bayern zu Wolfsburg. Viele aber zieht es ins Ausland. Sara Björk Gunnarsdóttir verließ den VfL diesen Sommer Richtung Lyon und begegnet ihren Ex-Mitspielerinnen nun kurioserweise im Champions-League-Finale. Den FC Bayern verließen die deutschen Nationalspielerinnen Sara Däbritz (zu Paris Saint-Germain) und Melanie Leupolz (zu Chelsea). Die Münchner hatten in vorherigen Spielzeiten bereits insgesamt allein fünf Spielerinnen an Arsenal WFC abgegeben.

Die Klubs der britischen Profiliga sind überhaupt sehr eifrig dabei, die Stars des Frauenfußballs zu sich zu holen. Manchester City verpflichtete nun die US-Weltmeisterinnen Sam Mewis und Rose Lavelle. 2019 war Australiens Ausnahmetalent Samantha Kerr bereits aus den USA zu Chelsea gewechselt. Harder wäre ein weiterer großer Gewinn für die WSL - und ein schwerer Verlust für die Bundesliga.

Vier Mal hat Harder mit dem VfL das Double gewonnen. In dieser Saison trug die Torschützenkönigin mit 27 Treffern in 22 Partien maßgeblich zum Gewinn der Meisterschaft bei. Insgesamt waren es in bislang 113 Spielen für den VfL 105 Treffer. In der Champions League sind es diese Saison neun, nur die bereits ausgeschiedene Niederländerin Vivianne Miedema (Arsenal WFC, zuvor FC Bayern) hat einen mehr. Seit Harder im Januar 2017 nach Wolfsburg kam, hat sie sich zur absoluten Leistungsträgerin entwickelt. 2018 wurde sie zu Europas Spielerin des Jahres und 2020 zu Deutschlands Fußballerin des Jahres gekürt, als erste ausländische Spielerin.

Mit ihrer Spielintelligenz, Übersicht und Technik steht sie im offensiven Mittelfeld für Kreativität. Auch ihr Ehrgeiz wirkt sich auf ihre Mitspielerinnen aus. "Es ist dieses Gesamtpaket, das sie zu einer der besten, wenn nicht sogar zur besten Spielerin der Welt macht", hat Wolfsburgs Trainer Stephan Lerch über sie gesagt.

Es hatte eigentlich danach ausgesehen, dass Harder trotz sicherlich einiger Offerten bis 2021 bleiben würde. Kolportiert wurde eine Ausstiegsklausel mit einer festen Ablösesumme, wie auch, dass die Frist dafür im Frühjahr bereits verstrichen sei. Wolfsburgs Sportlicher Leiter, Ralf Kellermann, sagte damals, der Verein plane mit Harder für die nächste Saison. Dass sie über ihr Vertragsende zu halten sein würde, schloss er bereits aus. Es wäre ein schönes Ende dieser Geschichte, wenn Pernille Harder mit dem VfL Wolfsburg im Finale der Champions League noch jenen Titel gewinnen würde, der ihr bislang fehlt. "Das war mein bestes Jahr in Wolfsburg", hatte sie Ende Juni gesagt. Nun also könnte ihr bestes auch ihr letztes Jahr in der Bundesliga gewesen sein.

© SZ vom 31.08.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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